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Stopp Ramstein - Fragwürdiges Friedensbündnis

Bei der Friedensbewegung denkt man eigentlich an linksorientiere Menschen, die mit weißen Tauben auf blauen Fahnen demonstrieren. Doch seit Putin die Ukraine angegriffen hat, gerät die Bewegung zunehmend ins Wanken. Während manche Pazifisten inzwischen sogar für das Recht auf bewaffneten Widerstand der Ukrainer plädieren, radikalisieren sich andere Teile der Bewegung. Diese schmieden fragwürdige Allianzen mit Putin-Freunden, Querdenkern und Rechtsradikalen. Auf dem jährlichen Treffen beim Luftwaffenstützpunkt der NATO in Ramstein kamen sie kürzlich zusammen, um gegen die USA zu demonstrieren – der in ihren Augen "eigentliche Aggressor" in diesem Krieg.

Anmoderation: Die Friedensbewegung – das war eine regenbogenfarbene Mischung aus Hippies, Christen und Grünen. Nichts ging ihnen damals über Abrüstung. Petra Kelly, Friedenstauben. Petting statt Pershing-Parolen... Sie wissen schon. Im besten Sinne: Harmlos war das, was da Hunderttausende auf die Straßen brachte. Davon ist nicht viel übrig in diesen Kriegszeiten. Die Friedensbewegten etwa, die derzeit an der Airbase in Ramstein auflaufen, sind deutlich weniger zahlreich. Und darunter haben sich jetzt auch die gemischt, die verbal aufrüsten. Da wird vereinzelt sogar vom Einmarsch Russlands geträumt um uns von der faschistischen Bundesregierung zu befreien. Glauben sie nicht? Am besten, sie hören selbst, was Markus Pohl und Silvio Duwe zusammengetragen haben.

Ramstein Ende Juni. Während Russland seit Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, demonstrieren "Friedensbewegte" gegen einen Stützpunkt der US-Luftwaffe. Hauptredner ist Eugen Drewermann, ein bekanntes Gesicht der deutschen Friedensbewegung.

Eugen Drewermann, Friedensaktivist:
"Der Krieg in der Ukraine ist in jeder Hinsicht moralisch verwerflich und er ist politisch irrsinnig. Putin bekommt genau das Gegenteil von dem, was er wollte. Aber dass wir ihn in die Enge getrieben haben, das er so handelte, ist wirklich unsere Schuld. Soll ich jetzt Papst Franziskus zitieren? Hätte die NATO nicht so laut vor Moskau gebellt, wäre der Ukrainekrieg nicht gewesen."

Viele hier relativieren die russische Schuld am Krieg in der Ukraine – oft mit wüsten Verschwörungserzählungen.

Demonstrant:
"Es war irgendwie Notwehr in meinen Augen. Man kann die Waffen, Atomwaffen nicht bis an die Grenze von 'nem anderen Land schaffen, weil Versprechungen und Verhandlungen von vorne weg auch anders waren."

Reporter:
"Also Russlands Überfall auf die Ukraine ist aus Ihrer Sicht Notwehr?"

Demonstrant:
"Das würde ich so sehen, ja."

Westliche Atomwaffen an der russischen Grenze, wie von diesem Demonstranten behauptet, gibt es nicht.

Dieser "Friedensbewegte" verurteilt zwar den russischen Einmarsch – relativiert aber sofort mit einem großen Aber. Wie so viele hier.

Demonstrant:
"Aus meiner Sicht gab es da eben einen Putsch, einen US-amerikanischen inszenierten Putsch. Und seitdem ist ja Bürgerkrieg in der Ukraine."

Er hier zweifelt, dass islamistische Terroristen mit Flugzeugen das World Trade Center in New York zum Einsturz gebracht haben – und sieht die Amerikaner auch in der Ukraine am Werk.

Reporter:
"Aber inwiefern sind die Amerikaner da?"

Demonstrant:
"Also es wurden ja schon Söldner erwischt und Generäle festgesetzt, die in Biolaboren gearbeitet haben. Man könnte mal das auch aufarbeiten. Dann können auch die Russen gehen."

Diese und andere angebliche Verschwörungen des Westens, sie werden offenbar von vielen Stopp Ramstein-Demonstranten immer wieder als Rechtfertigung des russischen Angriffskrieges genutzt.

Einen russischen Angriff auf Deutschland wünscht sich eigentlich niemand, doch dieser Aktivist hat dazu eine spezielle Meinung:

Demonstrant:
"Insofern ist das eine Befreiungsaktion, so wie er das auch sagte. Genauso wie ich es auch sehen würde, wenn Russland jetzt nach Deutschland kommen würde und hier die Bundesregierung einkassieren würde, dann würde ich das genauso sehen. Das sind für mich genauso Faschisten irgendwo, die weg müssen."

Reporter:
"Das würden sie als Befreiungsaktion sehen wenn Russland Deutschland überfällt?"

Demonstrant:
"Das wird leider nicht passieren."

Der Demonstrant, der sich wünscht, die Bundesregierung möge von dem Autokraten Putin militärisch gestürzt werden, ist kein Unbekannter: Oliver Becker, Aktivist aus der Berliner Querdenken-Szene. Hier auf einer Kundgebung im Oktober 2020.

Pia Lamberty ist Expertin für Verschwörungsideologien. Sie sieht den Antiamerikanismus als Bindeglied zu Teilen der Friedensbewegung.

Pia Lamberty:
"Wenn man eben sieht, dass die USA als das Böse gelten, als die da oben, das ja oft auch dann wieder mit antisemitischen Narrativen angereichert wird, mit einer angeblichen Kapitalismuskritik. Und Russland wird in diesem Weltbild ganz häufig romantisiert, steht für das Bodenständige. Das sieht man auch im esoterischen Milieu immer wieder, dass es so eine Verklärung gibt von Russland."

Auf der Bühne werden derweil die "Kriegstreiber" präsentiert: Barack Obama, Annalena Baerbock und Wladimir Putin stehen bei diesem Spektakel als Gehilfen des Todes quasi auf einer Stufe. Auch Journalist*Innen werden pauschal an den Pranger gestellt.

Kilez More:
"Einen Sonderapplaus für die NATO-Kriegspresse!"

Presse als Feindbild – das erinnert an die verschwörungsideologischen Querdenken-Demonstrationen. Und tatsächlich: auf der Bühne moderiert – als Tod verkleidet – der Rapper Kilez More – mit bürgerlichem Namen: Kevin Mohr. Ein bekannter Stimmungsmacher der Querdenken-Szene. Hier auf einer Querdenken-Kundgebung im August 2020 in Berlin. Dort ebenfalls auf der Bühne: Einer unserer Interviewpartner von der Demo. Hardy Groeneveld, ein ehemaliger AfD-Kreistagsabgeordneter.

Dass hier so viele Querdenker zusammenkommen, hat System: Abseits der großen Bühne vor der Airbase, auf einem Campingplatz, findet ein Vernetzungstreffen zwischen "Stopp Ramstein" und der Querdenken-Szene statt.

Ein Vertreter von "Stopp Ramstein" leitet das Treffen ein:

Aktivist:
"Man hat sich gefälligst nach rechts abzugrenzen, und wer das nicht tut, ist selbst ein Nazi und dergleichen mehr."

Verschiedene Aktivisten stellen hier ihre Projekte vor: einer plant die Übernahme der Tagesschau, ein anderer berichtet von Mailbomben – also automatisierten Massenmails an Bundestagsabgeordnete.

Hendrik Sodenkamp – Initiator von verschwörungsideologischen Protesten gegen die Corona-Politik in Berlin – der nur wenig Berührungsängste mit Rechtsextremen hat – findet jede Abgrenzung nach rechts falsch.

Hendrik Sodenkamp:
"Dann haben wir eine wahnhafte Impfkampagne, die zu tausenden Leben gekostet hat, Menschen verstümmelt hat, behindert hat, und jetzt haben wir als nächstes die Aufrüstung der Bundesrepublik mit 100 Milliarden plus X. Und ich soll jetzt aber in Anbetracht dessen, von dieser faschistoiden Bundesregierung, soll ich Gesichtskontrolle machen?"

Reiner Braun, ein bekannter Aktivist der traditionellen Friedensbewegung ist ebenfalls dabei. Ihn scheint die radikale rechte Rhetorik nicht zu stören. An Sodenkamp gerichtet wünscht er sich: "solidarisch miteinander versuchen, die Zukunft zu gestalten."

Pia Lamberty:
"Wenn man eben sieht, das sind Menschen, die keine Berührungsängste mit Rechtsextremen haben, verliert es eben für die gute Sache, in der sie sich wähnen, in denen es eben vollkommen legitim ist. Dann kann man ja davon ausgehen, dass diese Bewegung sich, wenn sie an Fahrt aufnehmen sollte, immer mehr auch nach rechts verschiebt und gleichzeitig aber vielleicht noch als bürgerlich wahrgenommen wird. Was ja in der Regel bedeutet, dass die Gesellschaft Probleme hat, das einzuordnen."

Rechte Ideologie im bürgerlichen Gewand - das ist nichts Neues bei "Stopp Ramstein". Schon 2017 fiel der bekannte Verschwörungsideologe Daniele Ganser mit Tönen auf, die sonst eher im rechtsradikalen Spektrum zu hören sind.

Daniele Ganser:
"Deutschland wird immer nieder gedrückt mit dem Stichwort Hitler, Nationalsozialismus. Das ist eine psychologische Kriegsführung, die sie schon seit vielen Jahren erleiden. Und da sage ich, man müsste eigentlich diese Verbindung Deutschland-Hitler, die müsste man kappen, und man müsste machen: Deutschland-Goethe."

2017 auch auf dieser Bühne: der Theologe und Friedensaktivist Eugen Drewermann. Was sagt er heute zu Gansers Rede?

Reporter:
"Ich würde Sie gerne noch nach Daniele Ganser fragen."

Eugen Drewermann:
"Nein, gar nichts mehr. Das ist mein Freund und jetzt ist Schluss."

Ein Friedenscamp als rechtes Vernetzungstreffen? Was sagt der Sprecher der "Stopp Ramstein"-Kampagne, Pascal Luig - ein ehemaliger Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten der Linkspartei – dazu?

Pascal Luig:
"Ich bin Demokrat. Und ich bin der festen Überzeugung, dass es in diesem Land eine Meinungsfreiheit gibt. Ich muss nicht jede Meinung teilen. Und ich muss sagen: Wenn diese Menschen zu uns kommen und wenn sie über solche Themen reden, dann ist es mir lieber, als wenn sie zur AfD gehen. Denn bei der AfD wird man ihnen auf die Schulter klopfen, bei uns kriegen sie halt Gegenwind."

Diesen Gegenwind haben wir bei unserer Recherche vor Ort nicht gesehen. Pia Lamberty warnt davor, Verschwörungsideolog*innen als Bündnispartner für die Friedensbewegung zu verstehen.

Pia Lamberty:
"Die verschwörungsideologischen Bewegungen der letzten zwei Jahre sind gefährlich. Die haben zu einer Verrohung der Gesellschaft geführt, die haben zu Morden geführt. Es gab unglaublich viele Angriffe auf alle möglichen Menschen. Das ist nicht harmlos. Wenn man aber sich jetzt eine Person aus diesem Milieu sucht als Partner, um Frieden zu wollen, dann ist das schon grotesk. Und dann muss man sich schon damit auseinandersetzen, was Frieden für einen überhaupt bedeutet, und ob das tatsächlich der richtige Weg ist."

Beitrag von Silvio Duwe und Markus Pohl

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