Gas steigt nach den Explosionen der Pipelines auf. Bild: Airbus DS 2022
Airbus DS 2022
Bild: Airbus DS 2022

Anschlag auf Nord-Stream-Pipelines - Neue Erkenntnisse

Ein Recherche-Team von Kontraste, ARD-Hauptstadtstudio, dem SWR und der Wochenzeitung die ZEIT hat herausgefunden, wie sich der Anschlag aus Sicht der deutschen Ermittler zugetragen haben soll. Er soll von deutschem Boden aus gestartet worden sein - im Zentrum steht eine Jacht, die der Generalbundesanwalt hat durchsuchen lassen. Das Kommando soll aus fünf Personen bestanden haben, ihre Nationalität ist bislang unklar.

Der Anschlag auf die beiden Nord-Stream-Pipelines auf dem Meeresgrund der Ostsee – lange war weltweit gerätselt worden, wie die Täter vorgegangen sind.

Doch jetzt lichtet sich langsam der Nebel – Recherchen von Kontraste, dem ARD-Hauptstadtstudio, dem SWR und der Wochenzeitung die Zeit haben aufgedeckt, was Ermittler zu dem Sabotageakt herausgefunden haben.

Michael Götschenberg, ARD-Terrorismusexperte

"Man braucht natürlich nicht nur Taucher, die in der Lage sind, das technisch durchzuführen, sondern man braucht auch Personen, die bereit sind, einen Terroranschlag zu verüben."

Ermittlungen werden in Schweden, Dänemark und Deutschland geführt, auch Geheimdienste sind daran beteiligt: die CIA, die schwedische SÄPO und der niederländische Militärgeheimdienst etwa. In Deutschland führt der Generalbundesanwalt das Verfahren – der Tatvorwurf: Verdacht der "vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion" und "verfassungsfeindlichen Sabotage".

Der Generalbundesanwalt hat Bundespolizei und BKA mit den polizeilichen Ermittlungen beauftragt.

Michael Götschenberg, ARD-Terrorismusexperte

"Am Ende war das klassische Polizeiarbeit. Der Durchbruch war sicherlich, dass es gelungen ist, das Schiff zu identifizieren. Man hat die Route rekonstruieren können, wo das Schiff gewesen ist und auf diese Weise ein ziemlich gutes Bild über den Hergang bekommen."

Und auch über die Zusammensetzung der Tätergruppe.

Michael Götschenberg, ARD-Terrorismusexperte

"Das Anschlags Kommando bestand aus sechs Personen. Den Ermittlungen zufolge: Einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauch-Assistenten und einer Frau, die von den Ermittlern als sehr zierlich beschrieben wurde. Und man geht davon aus, dass diese Frau die Ärztin in dem Team gewesen ist."

Die Gruppe soll am 6. September von deutschem Boden aus, in Rostock, das Kommando gestartet haben - Ermittler gehen davon aus, dass der Sprengstoff mit einem weißen Lieferwagen zum Boot gebracht wurde.

Hier im exklusiven Yachthafen "Hohe Düne" wird das Boot vermietet. Und offenbar ist es diese Charter-Yacht, hier zu sehen auf einem Segelvideo. Ein 15 Meter langes Boot der Bavaria-Klasse, Platz für elf Personen, in fünf Kabinen. Der Name: Andromeda. Angemietet von einer Firma auf Rügen. Nachfrageversuch:

Kontraste: "Guten Tag, eine Frage für die ARD, für Kontraste."

Vermieter: "Kein Kommentar. Wir dürfen keine Auskünfte geben."

Kontraste: "Keine Auskünfte. Sie wissen aber schon worum es geht?"

Vermieter: "Wir wissen, worum es geht, aber wir dürfen im laufenden Ermittlungsverfahren keine Auskünfte geben."

Kontraste: "Und war die Polizei auch bei Ihnen?"

Vermieter: "Ja, deswegen haben wir ja die Anweisung, wir dürfen keine Auskunft geben."

Kontraste: "Sie dürfen gar nichts sagen."

Vermieter: "Ja."

Die Identität der sechs Verdächtigen bleibt unklar – sie haben jedoch Spuren hinterlassen – vermutlich wurden bei der Anmietung des Bootes Passkopien angefertigt.

Den Ermittlern sollen jedenfalls zwei professionell gefälschte Pässe bekannt geworden sein: Aus welchen Ländern diese Pässe vermeintlich stammen bleibt für uns unklar. Es soll sich jedoch nicht um gefälschte ukrainische, russische oder deutsche Pässe handeln.

Kontraste: "Aber bezahlt worden sind sie?"

Vermieter: "Das ist bezahlt worden, ja, ansonsten hätten sie das Boot nicht bekommen."

Kontraste: "Braucht man einen Segelschein für sowas?"

Vermieter: "Ja."

Kontraste: "Das waren Leute, die sich auskannten mit Schiffen, gehen sie von aus?"

Vermieter: "Müssen wir."

Später soll das Boot Andromeda nochmal an der deutschen Küste lokalisiert worden sein. Zunächst hatten wir auf Basis mehrerer Quellen berichtet, das Boot sei in Wieck am Darß geortet worden - tatsächlich scheint die Route aber über Wiek auf Rügen geführt zu haben. Der Hafenmeister von Wiek bestätigt Kontraste heute, dass das BKA vor drei Wochen bei ihm war – mehr dürfe er nicht sagen.

Schließlich konnten die Ermittler das Boot noch einmal bei der dänischen Insel Christiansoe verorten – das kleine Eiland nordöstlich von Bornholm liegt direkt an einer der beiden Pipelines.

Im dänischen Fernsehen erzählte der Hafenmeister von Christiansoe gestern davon, wie die Polizei bei ihm war.

Søren Thiim Andersen, Hafenmeister Christiansoe

"Wir haben der Polizei bei den Ermittlungen geholfen, die im Dezember begannen, als wir gebeten wurden, Informationen über ein Boot weiterzugeben, ein bestimmtes Boot, das im Hafen von Christiansoe lag. Und wir haben der Polizei mit Informationen aus dem Hafenautomaten geholfen, der für die Registrierung und die Zahlung der Hafengebühren verwendet wird."

Das Boot soll schließlich ungereinigt an die deutsche Vermieter-Firma zurückgegeben worden sein – warum bleibt unklar. Untersucht wurde es offenbar zwischen dem 18. und 20. Januar. Kriminaltechniker sollen auf dem Tisch in der Kabine Spuren von Sprengstoff festgestellt haben.

Viele Fragen zum Tathergang bleiben weiter offen, etwa ob noch weitere Schiffe beteiligt waren – dies ist durchaus möglich – und auch die wichtigste Frage bleibt unklar: Wer steckt hinter dem Anschlag?

Laut den Ermittlungen führen Spuren in Richtung Ukraine.

Michael Götschenberg, ARD-Terrorismusexperte

"Das Boot ist angemietet worden von einer polnischen Firma. Und diese polnische Firma soll zwei Ukrainern gehören. Das ist eine der Spuren. Tatsächlich ist es so, dass diese Firma in Polen finanzielle Unterstützung bekommen haben soll von einer anderen Firma im westlichen Europa. Und diese Firma soll einen ukrainischen Geschäftsführer haben."

Es soll noch weitere Spuren in die Ukraine geben. Doch das alles heißt NICHT, dass es sich um einen Anschlag im Auftrag des ukrainischen Staates oder eines anderen staatlichen Akteurs gehandelt haben muss.

Der ukrainische Verteidigungsminister reagierte gestern auf die Recherchen, damit habe man nichts zu tun:

Oleksii Reznikov, Verteidigungsminister Ukraine:

"It’s like a compliment for our special forces, but this is not our activity."

"Es wäre ein gewisses Kompliment für unsere Spezialeinheiten, aber so etwas tun wir nicht."

Möglich wäre auch eine sogenannte "false flag operation", bei der gezielt falsche Fährten ausgelegt werden. Doch dafür gibt es bislang offenbar keinerlei Hinweise.

Eine dritte Möglichkeit: eine pro-ukrainische Gruppe verübte den Anschlag – ohne Befehl der Regierung. Der Anschlag wäre demnach privat organisiert worden.

Die New York Times berichtete am Dienstag, Geheimdiensterkenntnisse ließen auf einen Anschlag einer solchen Gruppe schließen.

Mehrfach hat es bereits offenbar solche Anschläge gegeben. So gilt beispielsweise der Mord an der russischen pro-Kreml-Aktivistin Darja Dugina durch eine Autobombe in Moskau im vergangenen Oktober als Tat einer solchen pro-ukrainischen Gruppe.

Michael Götschenberg, ARD Terrorismusexperte

"Wo das Geld herkam, ist eine ganz entscheidende Frage. Und diese Frage ist bisher noch nicht beantwortet. Natürlich spielt es eine Rolle. Wenn es darum geht, Was ist die hintere Ebene. Die Ebene der Auftraggeber. Woher das Geld kam für diese Geheimoperation."

Beitrag von Pune Djalilevand, Georg Heil, Kaveh Kooroshy, Daniel Laufer und Lisa Wandt

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+++ Anschlag auf Nord-Stream-Pipelines: Neue Erkenntnisse +++ Rechtsextremismus: Hat der BND ein Problem? +++ Steuern für Superreiche: Wie der Staat jährlich 40 Milliarden mehr einnehmen könnte +++ Moderation: Eva-Maria Lemke