Steuern für Superreiche -
Energiewende, Bildung, Militär: vor Deutschland liegen gigantische staatliche Investitionen. Wie diese zu finanzieren sind, darüber tobt ein Streit in der Ampel. Während Wirtschaftsminister Habeck über Steuererhöhungen nachdenkt, will Finanzminister Lindner lieber sparen. Dabei gibt es eine kleine Gruppe, die seit Jahren immer reicher wird: die Superreichen. Bei ihrer Besteuerung gäbe es großes Potential: Ein Mix aus Reichen-, Erbschaftssteuern und einer neu eingeführten Vermögensteuer könnte etwa 40 Milliarden Euro jährlich zusätzlich in die Staatskasse spülen, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet. Doch an die Vermögenden traut sich hierzulande seit jeher keiner so richtig ran. Warum eigentlich? Und was sagen betroffene Millionäre dazu?
Anmoderation: So … jetzt wird’s nochmal kurz unangenehm: Wir müssen über Geld reden. Macht man ja eigentlich nicht. Aber: Müssen wir tatsächlich, bei allem, was uns finanziell so in Haus steht: Der höhere Bundeswehr-Etat etwa, die Energiewende wird ordentlich was kosten – in die Bildung mehr investiert werden. Aber wo soll all das zusätzliche Geld herkommen? Da wird gerade ein Vorschlag lauter, der zwar nicht gänzlich neu ist ... aber umstritten wie eh und je: Steuern auf die großen Vermögen nämlich – denn gerade die sind in den vergangenen Jahren besonders kräftig angewachsen.
Mareike Schneider ist Assistenzärztin im Klinikum Stuttgart. Sie arbeitet viel und verdient dabei ganz gut – vor allem mag sie den Umgang mit den Patienten.
Mareike Schneider, Assistenzärztin
"Hallo, ich würde einmal mit dem Ultraschall auf den Bauch draufgucken, gell?"
Patient
"Ja."
Wieder geht es für sie in die Überstunden. Schnell kommen 60 Arbeitsstunden die Woche zusammen. Von ihrem guten Gehalt – rund 65.000 Euro brutto – kann sie trotzdem nur wenig zurücklegen. Steuern und Sozialabgaben kosten sie etwa 28.000 Euro jährlich.
Mareike Schneider, Assistenzärztin
"Wir haben ein hohes Stresslevel, wir haben sehr, sehr viel Verantwortung. Bei uns geht es tagtäglich um Leben und Tod. Und von dem Geld, was wir bekommen, geben wir ja auch schon große Teile in unserer Gehaltsklasse ab."
Als Angestellte wird ihr die Lohnsteuer automatisch abgezogen. Weniger Steuern zu zahlen, geht nicht.
Er hingegen konnte ein Vermögen bilden und sich dabei auch steuersparender Schlupflöcher bedienen – ganz legal. Rainer Zitelmann ist mehrfacher Millionär und bewohnt ein Berliner Penthouse. Die Wohnung darunter hat er ebenfalls gekauft.
Rainer Zitelmann, mehrfacher Millionär
"Millionär sein ist immer besser als nicht Millionär sein erst einmal und das ist überall auf der Welt so, also sonst wollten es ja auch nicht so viele Menschen."
Multimillionäre konnten die letzten Jahre ihr Vermögen stark vergrößern, Kapital anhäufen.
Teile dieses Geldes würden dem Bundeshaushalt guttun, denn der Staat muss die nächsten Jahre große Herausforderungen stemmen: die Energiewende, die Finanzierung der Bundeswehr oder die geplante Kindergrundsicherung. Für den Haushalt kommen dabei schnell Zusatzkosten im zweistelligen Milliardenbereich jährlich zusammen.
Über die Finanzierung gibt es heftigen Streit in der Regierung. Statt zu reden, schicken sich Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner Briefe. Für die Öffentlichkeit waren die nicht gedacht, Kontraste liegen sie vor.
Habeck fordert, über "Einnahmeverbesserungen zu beraten" und versichert, "die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse nicht in Frage zu stellen".
Lindner entgegnet spitz, er habe "mit Erleichterung festgestellt, dass die Grünen das Grundgesetz nicht in Frage stellen" und erklärt: auch Steuererhöhungen seien "... ausgeschlossen.”
Doch das wird so nicht gehen, meint der Steuerexperte im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Der Staat brauche schlicht mehr Geld:
Stefan Bach, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
"Die großen Herausforderungen für die Staatshaushalte bedeuten, dass man wohl an Steuererhöhungen nicht vorbeikommt. Nun sind die Steuern einschließlich der Sozialbeiträge in Deutschland ja schon recht hoch, auch gerade in den Mittelschichten und auch bei den Besserverdienenden. Deswegen spricht auch einiges dafür, dass man zumindest moderate Steuererhöhungen stärker dann auch auf die wohlhabenden Kreise der Bevölkerung konzentriert."
Und dort wäre tatsächlich mehr Geld zu holen: Die Zahl der Millionäre nimmt rasant zu.
Trotz Corona und Wirtschaftskrise sind die Superreichen noch reicher geworden. Laut einer Erhebung von Oxfam gingen 81 Prozent des gesamten Vermögenszuwachses von 2020 bis 2021 an lediglich ein Prozent der Bevölkerung – die Reichsten.
Beim DIW hat der Steuerexperte ausgerechnet, was eine höhere Besteuerung der Reichen dem Staat einbringen würde.
Stefan Bach, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
"Man könnte mit einem ausgewogenen Mix aus moderaten Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und Vermögen durchaus ein Mehr-Aufkommen von 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr erzielen."
Doch was sagen die dazu, die betroffen wären? Rainer Zitelmann gehört zu den wenigen Multi-Millionären, die öffentlich über ihren Reichtum sprechen. Er rechnet vor, wieviel Steuern er schon gezahlt hat.
Rainer Zitelmann, mehrfacher Millionär
"Also ich habe in der Zeit, wo ich jetzt unternehmerisch aktiv war, was zusammenrechnet, ungefähr die Hälfte von allem, was ich verdient habe, ging ans Finanzamt. Und wir wissen ja auch, dass in Deutschland 1 Prozent der reichsten Leute, also wo ich dazu gehöre, dass die 22 Prozent der Einkommenssteuern zahlen. Verbunden mit dem laufenden Vorwurf, die Reichen sollten endlich auch mal was beitragen?!"
Kontraste
"Das heißt, Sie sehen keine Spielräume, bei vermögenden Menschen etwas mehr zur Gesellschaft beizutragen?"
Rainer Zitelmann
"Nein, sehe ich überhaupt nicht. Ich bin der Meinung, es wird die, die leisten sowieso überproportional viel."
In seinen Büchern verteidigt der 64Jährige leidenschaftlich den Kapitalismus. Der ehemalige Firmengründer hatte eine PR-Agentur, beriet Immobilienunternehmen. Auf Instagram gibt er Tipps dazu, wie man erfolgreich wird.
Kontraste
"Wie haben Sie sich denn gefühlt, als Sie Ihre erste Million gemacht haben. Was hat das mit Ihnen gemacht?"
Rainer Zitelmann
"Habe ich mich gut gefühlt, weil ich hatte es mir als Ziel vorgenommen. Da habe ich damals 10 Millionen DM, war das noch aufgeschrieben. Also das heißt, das war mir schon klar, dass es nicht bei der ersten dann bleibt. Sind jetzt ein paar Millionen."
Assistenzärztin Mareike Schneider hat hingegen wenig Verständnis in diesen Zeiten für diejenigen, die viel übrighaben, aber nicht mehr für die Allgemeinheit beisteuern wollen.
Mareike Schneider, Assistenzärztin
"In meiner Gehaltsklasse oder vielleicht sogar noch bei Leuten, die weniger verdienen, macht es natürlich deutlich schneller einen Unterschied im alltäglichen Leben. Was kann ich mir denn noch leisten? Mit was für Einschränkungen muss ich leben? Und ich glaube, jemand, der wirklich Millionen verdient, der wird es nicht so schnell merken, wenn da ein Ticken mehr abgeht."
Eine deutliche Schieflage im deutschen Steuersystem sieht Julia Jirmann. Sie ist Expertin für Steuerrecht und Steuerpolitik.
Julia Jirmann, Netzwerk Steuergerechtigkeit
"In Deutschland besteuern wir Arbeitseinkommen vor allem mittlere Arbeitseinkommen mit Abgaben zusammen so hoch wie wenige andere westliche Industrieländer. Und gleichzeitig machen wir das genaue Gegenteil bei Vermögen. Wir besteuern die so niedrig wie kaum ein anderes Land."
Der mehrfache Millionär Zitelmann vermehrte sein Geld vor allem mit Immobilien. Als Privatinvestor kaufte und verkaufte er Wohnungen und Häuser. Der Staat ging dabei oft leer aus, weil nach zehn Jahren die Spekulationsgewinne aus dem Verkauf steuerfrei bleiben.
Rainer Zitelmann, mehrfacher Millionär
"Klar kann man darüber diskutieren, wäre das richtig dann da auch eine Steuer zu zahlen. Wenn man dann sagt, den letzten Vorteil, den du noch hast, den es gibt, den nehmen wir dir jetzt auch noch weg!?"
Reiche haben in Deutschland noch ein weiteres Privileg, denn Vermögen – ob private Jachten oder Geld- und Aktiendepots – werden hier nicht eigens besteuert.
Steuer-Experte Stefan Bach hat Ideen, wo man bei den Vermögenden ansetzen könnte:
Stefan Bach, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
"Man könnte den Spitzensteuersatz moderat erhöhen. Man sollte Privilegien bei der Erbschaftssteuer, bei den Unternehmen, bei der Immobilienbesteuerung beseitigen."
Millionär Zitelmann lehnt all das rundweg ab – er argumentiert mit dem klassischen Argument gegen vermögensbezogene Steuern:
Rainer Zitelmann, mehrfacher Millionär
"Wenn man jetzt immer mehr Geld wegnimmt den Leuten, dann wir immer mehr in die Staatskasse gespült, da darf man sich nicht wundern, wenn dann die Leute irgendwann auch aus Deutschland gehen."
Ein Blick in die Schweiz, die Vielen als Steuerparadies gilt. Manche Kantone wie Zürich aber bitten Reiche zur Kasse. Hier wird sogar Firmenvermögen besteuert. Ein Vorbild für Deutschland?
Wenn es ums Erben geht, ist Deutschland ein Steuerparadies.
Jahr für Jahr wird Vermögen von geschätzten 300 Milliarden Euro vererbt. Nicht mal 10 Mrd. Euro davon gehen an den Staat. Der Grund: Betriebsvermögen werden bei der Erbschaftssteuer weitgehend verschont.
Das schwäbische Unternehmen Trigema beschäftigt 1.200 Menschen. Hier steht ein Generationswechsel an. Der Gründer Wolfgang Grupp – bekannt als Werbefigur für seine Textilien – ist 80 Jahre alt.
Seine Tochter Bonita Grupp soll die Geschäfte übernehmen. Hält sie das Unternehmen zehn Jahre lang bei gleicher Beschäftigtenzahl, geht das komplette Betriebsvermögen steuerfrei an sie. Die Millionenerbin findet das richtig.
Bonita Grupp, Geschäftsleitung Trigema
"Das, sage ich mal, stärker zu besteuern, sehe ich als Schwierigkeit. Ich denke, da muss man immer unterscheiden, ist es, sage ich mal, Barvermögen, das ich erbe oder ist es, als Beispiel wie im Fall von meinem Bruder und mir, eine Firma, denn ich meine an der Firma, Sie können sich ja nicht einfach ein Stück abbeißen, ja, das sind Werte, die sind fest verankert. Sie haben Investitionen, die gemacht werden müssen. Sie müssen auch mit Krisen zurechtkommen."
Das Markenzeichen von Trigema ist "Made In Germany." Eins steht für Bonita Grupp daher fest. Auch bei Steuererhöhungen würde sie ihre Firma nicht ins Ausland verlegen.
Bonita Grupp, Geschäftsleitung Trigema
"Wir sagen, wir stehen zu unserer Region und zu den Arbeitskräften hier in Deutschland, vor allem hier in Baden-Württemberg. Daran werden wir nicht rütteln. Dann müssen wir eben andere Möglichkeiten finden, weiter hier zu bestehen."
Bis jetzt konnte die Lobby deutscher Familienunternehmer höhere Steuern auf Vermögen und Erben verhindern.
Ihr zentrales Argument: durch die hohen Unternehmenssteuern seien sie schon jetzt stark belastet.
Der ehemalige SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, selbst lange Finanzminister in NRW, versuchte immer wieder höhere Steuern für Vermögende durchzusetzen – vergeblich.
Norbert Walter-Borjans, ehem. SPD-Bundesvorsitzender
"Wir haben in der Vergangenheit, uns als Politik, immer durch diese Macht der Lobby dazu treiben lassen – dazu gibt es sogar Untersuchungen –, dass Steuerreformen bestenfalls allen gegolten haben, das heißt allen etwas gebracht haben. Ich wage die These, dass der allergrößte Teil derer, die in der Politik tätig sind und sich nicht jeden Tag mit Finanzen beschäftigen, das genauso wenig mitgekriegt hat wie der Großteil der Bevölkerung und selbst dem Argument glaubt, die Steuern seien ja stetig gestiegen."
Bleiben Superreiche auch in diesen Krisenzeiten von Steuererhöhungen verschont? Kontraste fragt nach beim Finanzminister.
Kontraste
"Die Steuern ein bisschen zu erhöhen bei den Reichen, wäre doch eine Option."
Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister
"Keine steuerliche Maßnahme ist ohne negative Wirkung. Wir müssen doch Eigenkapital stärken in der Wirtschaft. Wir müssen investieren in grüne Transformation, in Digitalisierung, müssen Arbeitsplätze sicher erhalten in einer Zeit des globalen Wettbewerbs. Die dürfen wir nicht schwächen. Tschüss!"
Wieder einmal, bleibt alles beim Alten.
Beitrag von Sascha Adamek, Simone Brannahl, Chris Humbs und Lukas Kuite