Sarah Wagenknecht im Gegenlicht. Bild: Ulrich Baumgarten
Ulrich Baumgarten
Bild: Ulrich Baumgarten

An der 5-Prozent-Hürde gescheitert - Die Linke vor der Spaltung?

Gerade mal 2,7 Prozent holt die Linkspartei bei den niedersächsischen Landtagswahlen. Ein desaströses Ergebnis, das sich seit Monaten schleichend angekündigt hat und die Partei nun mit voller Wucht trifft. Doch es ist keine Überraschung, denn die Linke ist seit längerem fast nur noch mit sich selbst beschäftigt. Vor allem die Frage des Umgangs mit Russland spaltet. Während die Parteispitze Sanktionen größtenteils mitträgt, werfen die Anhänger von Sahra Wagenknecht Deutschland einen Wirtschaftskrieg vor. Der Konflikt verunsichert auch die Basis, manche Landesverbände beklagen einen regelrechten Mitglieder-Exodus. Mitten im sozialen Krisenherbst bekommt die linke Protestpartei also keinen Fuß auf den Boden. Würde ihr ein Weggang von Wagenknecht helfen? Wäre eine Spaltung ein erfolgversprechender Neuanfang?

Anmoderation: Die Linke - gerade erst bei der Niedersachsenwahl fiel mal wieder auf - wie wenig sie so auffällt. Alle redeten über die AfD-Gewinne, CDU-Verluste - Wie miserabel die Linke da dastand - Schon wieder. Und: Immer noch - diesmal überdeutlich unter der 5-Prozent-Hürde - wunderte im Grunde keinen. Nächste Ausfahrt: Bedeutungslosigkeit. Und das mitten im Krisenherbst. Als linke Protestpartei. Doch es gibt da diesen einen dunklen Schatten, der einfach nicht weichen will – und den sie gleichzeitig nicht loswerden kann.

Wahlkampf der Linken am Wochenende in Oldenburg. Schon da zeichnet sich das katastrophale 2,7-Prozent-Ergebnis in Niedersachsen ab: Nur ein versprengtes Häuflein ist gekommen. Die Vorsitzende ahnt, weshalb die Partei selbst im sozialen Krisenherbst keinen Fuß auf den Boden bekommt: Die Linke zerlegt sich gerade selbst.

Janine Wissler (Die Linke), Parteivorsitzende

"Wenn wir demokratische Mehrheitsbeschlüsse fassen, wenn wir demokratische Willensbildungsprozesse haben, dann sind die natürlich witzlos, wenn prominente Personen, wer auch immer, sich an die nicht gebunden fühlt."

Es geht um Sahra Wagenknecht - Dauergast in den Talkshows, aber weiten Teilen der Partei längst entfremdet. Die Gräben noch einmal vertieft hat Wagenknechts demonstrativ Kreml-freundliche Haltung, schon vor dem Angriff auf die Ukraine.

Wagenknecht vom 20.2. bei Anne Will

"Ich meine, Russland, das ist ja relativ deutlich, haben faktisch kein Interesse daran, in die Ukraine einzumarschieren, natürlich nicht."

Eine Aussage – fernab der Realität: Vier Tage später greifen russische Truppen die Ukraine an. Wagenknecht aber relativiert weiter die russische Kriegsschuld.

Auf dem Parteitag der Linken im Juni bringen sie und ihre Unterstützer einen Antrag ein. Der NATO soll eine Mitverantwortung für den Krieg gegeben werden.

Andrej Hunko (Linkspartei), Bundestagsabgeordneter

"Ja, dieser Krieg ist verbrecherisch, das wird auch in diesem Änderungsantrag gesagt, er ist auch durch nichts zu rechtfertigen, aber er hat auch eine konkrete Vorgeschichte."

Die große Mehrheit des Parteitags lehnt den Antrag ab. Wagenknecht aber teilt weiter aus.

Anfang August twittert sie gegen die Grünen, denen sie einen "wahnsinnigen Krieg gegen Russland" vorwirft.

Prominente Linken-Abgeordnete im Bundestag reagieren empört. Martina Renner etwa antwortet: "Konsequent wäre, die Fraktion trennt sich von Wagenknecht". Und Anke Domscheit-Berg schreibt an Wagenknecht gerichtet: "Dein Austritt ist überfällig"

Trotzdem darf Wagenknecht in der Haushalts-Debatte Anfang September für die Linksfraktion ans Podium. Und provoziert erneut.

Wagenknecht, 08.09.2022

"Das größte Problem ist ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen."

Seit diesem Auftritt laufen der Linken die Mitglieder davon. Die Partei geht nach Kontraste exklusiv vorliegenden Zahlen von mindestens 809 Austritten seit der Rede aus und konstatiert:

"Eine solch hohe Zahl der Austritte gab es zu keinem Zeitpunkt zuvor."

Vielfach sei explizit Wagenknecht als Grund genannt worden, hören wir aus der Geschäftsstelle.

Wir treffen Bastian Lahrmann, Gemeinderat in Großenkneten. Auch er hat kürzlich sein Parteibuch zurückgegeben – auch er wegen Wagenknecht.

Bastian Lahrmann, Gemeinderat Großenkneten

"Russland ist hier das Problem, Russland ist hier der Aggressor. Kein Krieg zu wollen, ist ja richtig, aber man kann ja auch nicht sagen: Ukraine, bitte ergebt euch, ihr macht dit schon, ist ja gar nicht so schlimm, ihr gehörtet ja irgendwann schon mal zur UdSSR, das wird schon werden."

Bei manchen ist es aber gerade Wagenknecht, die sie in der Partei hält. Volker Külow saß zehn Jahre für Die Linke im sächsischen Landtag. Heute engagiert er sich in der Leipziger Lokalpolitik - und betreut in der Geschäftsstelle der Partei eine Gedenkstätte zu Ehren Karl Liebknechts.

Volker Külow

"Ja, hier sind wir ganz stolz. Hier haben wir also die Schreibmaschine von Karl Liebknecht, gewissermaßen die beste Reliquie.

Külow ist ehemaliger SED-Mann, er war inoffizieller Mitarbeiter der Stasi – und steht dazu.

Russlandsanktionen lehnt er im Gegensatz zur Partei-Mehrheit kategorisch ab.

Volker Külow

"Der Riss hat auch eine emotionale Komponente, der derzeit durch die Mitgliedschaft geht. Viele, vor allen Dingen Ältere, sind noch mit der Freundschaft zur Sowjetunion großgeworden."

Russland jetzt als Aggressor zu sehen, fällt ihnen schwer. Später an diesem Tag besucht Külow noch den Stadtparteitag der Leipziger Linken.

"Ich bring euch mal ins Westfernsehen, hihi."

Ginge es nach Külow, bräuchte es in seiner Partei mehr Menschen vom Schlage Wagenknechts.

Volker Külow

"Sahra Wagenknecht ist bereit und in der Lage, auf intellektuell hohem Niveau sich mit der Politik der Herrschenden in diesem Land ganz klar und klug überlegt auseinanderzusetzen, spricht dabei die Sprache breiter Bevölkerungsschichten."

Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer sieht hinter dem Streit um Wagenknecht einen Grundsatzkonflikt. Es gehe darum, was heute noch links sei.

Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler

"Ein Teil der Linken, insbesondere die sogenannte großstädtische Linke, vertritt ein Konzept einer modernen Linkspartei: Toleranz, weltoffen, Fragen von Geschlechtergerechtigkeit, politische Ziele wie Umwelt und Klimapolitik. Die traditionellen, durch Frau Wagenknecht repräsentierten Zirkel in der Linken vertreten Positionen, die eine stärkere Rolle des Staates verlangen, die autoritär orientiert sind, die das Nationale gegenüber dem Internationalen bevorzugen."

…Und die oftmals von den Positionen weit rechts kaum zu unterscheiden sind. O-Ton Wagenknecht in der Flüchtlingsdebatte:

Sahra Wagenknecht, 11.01.2016

"Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt."

Wagenknecht schimpft auch auf die Klimaschützer von Fridays for Future - und in Corona-Debatten verweist sie darauf, sie selbst sei ungeimpft.

Längst versuchen sie auch offene Rechtsextremisten zu vereinnahmen, etwa kürzlich auf einer Montagsdemonstration in Leipzig.

"Sahra, Sahra, Sahra."

Ähnlich das Bild in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter ist Wagenknecht eine Macht. Mehr als 620.000 Nutzer folgen ihr. Wir haben eine Stichprobe von gut 5.000 Accounts untersucht, die seit Kriegsbeginn Tweets von Wagenknecht geteilt haben: Wessen Inhalte haben diese Nutzer sonst noch verbreitet?

Das Ergebnis ist vielsagend.

Am häufigsten von Wagenknecht-Anhängern geteilt wurde Querdenker-Ideologe Stefan Homburg. 56 Prozent der Nutzer retweeteten ihn.

Tweets von Niklas Lotz, einem rechtsradikalen Youtuber, teilten 44 Prozent.

Und von Alice Weidel, der AfD-Fraktionsvorsitzenden, waren es 32 Prozent.

In der Bundestagsfraktion wissen sie, dass Wagenknechts Popularität nicht unbedingt auf die Linke einzahlt.

Kathrin Vogler (Die Linke), Parlamentarische Geschäftsführerin Bundestag

"Ja, Sahra Wagenknecht ist sehr bekannt und in Teilen eben auch sehr beliebt in der Öffentlichkeit. Das führt aber nicht dazu, dass die Linke unbedingt mehr Stimmen generieren kann, denn sonst hätten wir ja in Nordrheinwestfalen nicht bei der letzten Bundestagswahl die Hälfte unserer Abgeordnetenmandate verloren."

Dort war Wagenknecht Spitzenkandidatin. Und dennoch scheuen die Parteioberen den offenen Bruch mit ihr. Der Grund: Verlässt Wagenknecht mit nur zwei Getreuen aus dem Bundestag die Partei, verliert die Linke wohl ihren Fraktionsstatus – und damit viel Geld und politischen Einfluss.

Und es scheint bereits Absetzbewegungen zu geben: Gründungsversammlung des Karl-Liebknecht-Kreises Brandenburg Anfang Oktober. Eine der Rednerinnen ist Lydia Krüger, seit Jahren enge Mitarbeiterin von Sahra Wagenknecht. Es hört sich an, als hätte sie mit der Partei schon gebrochen.

Lydia Krüger, Mitarbeiterin Wagenknecht

"Ich denke, die Linke leidet an einer schweren Autoimmunerkrankung. Eine Autoimmunerkrankung ist nicht heilbar. Ich könnte jetzt polemisch sagen, ich vermute inzwischen auch ein paar grüne Viren auch als Auslöser."

Die eigene Partei unheilbar krank. Später sehen wir die Wagenknecht-Mitarbeiterin auf einer "Friedensdemo" in Berlin. Die Landes-Linke hat dazu nicht aufgerufen, wohl aber die DKP, die Deutsche Kommunistische Partei. Seit Wochen halten sich Gerüchte, das Wagenknecht-Lager plane gemeinsam mit der DKP eine Konkurrenzpartei zur Linken.

Wagenknecht gibt uns kein Interview, bestreitet aber schriftlich solche Absichten:

"Wenn ich mich durch Beschimpfungen von mehr oder minder prominenten Mitgliedern der Linken aus der Partei drängen ließe, wäre ich schon seit Jahren nicht mehr dabei."

Die Linke in einem Dilemma: Es geht wohl nicht ohne Wagenknecht – aber auch nicht mehr mit ihr.

Beitrag von Daniel Donath, Kaveh Kooroshy und Markus Pohl