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Vor zwanzig Jahren fällte der Deutsche Bundestag eine damals sehr umstrittene Entscheidung: ein Mahnmal soll an die sechs Millionen in Europa ermordeten Juden erinnern. Ein riesiges Feld mit 2711 Stelen und einem Dokumentationszentrum wurde südlich des Brandenburger Tors gebaut – Millionen von Besuchern kamen seither. Zwischen den Stelen herrscht allerdings nicht nur Gedenken. Viele Besucher wissen gar nicht, wo sie sich aufhalten. Einige rasten, ruhen oder springen über die Stelen und regelmäßig verunglücken Besucher. Immer wieder provoziert das Denkmal Rechtsextremisten oder Islamisten zu Straftaten. Für Holocaust-Überlebende ist das kaum auszuhalten. Andererseits beabsichtigte der Architekt Peter Eisenman genau diese Auseinandersetzung im Alltag.
Anmoderation: Hier in Berlin kommt man an IHM nicht vorbei – so groß ist und so mittendrin liegt es: das Mahnmal für die Ermordeten Juden Europas. Tonnenschwerer Name, steingewordene Verbeugung. Aber eben nicht gedacht, um davor nur Kränze abzulegen. Alle sollen reingehen und gucken, was das mit ihnen macht. Nur gehen eben so viele rein und gucken, dass das Mahnmal an schönen Tagen zum Erinnerungs-Erlebnispark wird. Wie viel stilles Gedenken ist bei der Lautstärke da eigentlich noch möglich? Sascha Adamek, Jo Goll und Norbert Siegmund haben Antworten von allen Seiten.
Henry Schwarzbaum (98), Auschwitz-Überlebender
"Ich bin überrascht, wie groß das ist, wenn man so nahe kommt. Aber es ist ja sehr groß, diese Katastrophe, die die Menschen erlebt haben. In meiner Familie sind ungefähr 35 Menschen umgekommen, 35 Familienangehörige. Alles Menschen, die man geliebt hat. … Man muss sich das ja vorstellen, so wie diese Stelen hier stehen, so standen die Baracken in Auschwitz. Eine Baracke hinter der anderen. Und in allen Baracken waren Häftlinge, waren Menschen. Und ich stand da und guckte raus. Und was sah ich: einen SS-Offizier. Und ich sah auf dem Lastwagen nackte Menschen. Nackt. Die weinten, beteten, schrien und glaubten, dass der liebe Gott ihnen hilft. Sie sind eine halbe Stunde später alle tot gewesen."
Kontraste
"Weiß jemand von Euch, was das ist für ein Denkmal?
Schüler
"Ein Denkmal zum Nationalsozialismus?"
Kontraste
"Das Denkmal ist für die ermordeten Juden Europas. Habt Ihr das vorher gewußt?"
Junge
"Nein"
Junge
"Ich glaub, das war uns davor noch nicht bewusst, dass das Judengräber waren, also für die Juden, für 6 Millionen Juden. Jetzt, wo wir´s wissen, ist das respektlos, was wir gemacht haben eigentlich."
2. Junge
"Hat trotzdem ein bisserl Spaß gemacht."
Sicherheitsfrau
"Hallo, Entschuldigung. Fahrräder sind hier drinne leider nicht erlaubt. Bikes is no erlaubt. Can you go outside, please?“ – „Hallo, kommen Sie bitte runter? Dankeschööön."
"Die steigen einfach rauf und wollen Fotos machen. Die wissen meist nicht mal, was es ist. Die wollen einfach nur Fotos machen."
Shahak Shapira, Deutsch-Israelischer Künstler
"Dass Du Selfies in dem Holocaust-Mahnmal machst, das ist, als würdest Du ein Selfie in einem richtigen KZ machen. Ich behalte mir das Recht vor, Leute zu verarschen, die meiner Meinung nach sich daneben benehmen. Die Leute aus den Selfies haben mit ziemlich viel Verständnis tatsächlich drauf reagiert. Die haben sich alle entschuldigt. Bis auf eine Person. Eine Person hat mir eine böse Mail geschrieben, dass das ihre Kunst ist. Und ich hab gesagt, es ist meine Kunst, ihre Kunst zu verarschen."
Kontraste
"Was denken Sie, wenn Sie so ein Foto sehen?"
Henry Schwarzbaum
"Das ist kein Ruheplatz. Das ist kein Spielplatz. Das ist ein Mahnmal für die ermordeten Menschen. Bitte benehmt Euch passend danach."
Peter Eisenman, Architekt (2015)
"Mir gefällt es. Schaun Sie: Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust gehört inzwischen zum täglichen Leben dazu. Es geht nicht darum, dass die Deutschen jeden Morgen mit Schuld aufwachen. Ich wollte den Holocaust in das normale tägliche Leben der Deutschen integrieren, und das ist gelungen."
Uwe Neumärker, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
"Dies ist kein Friedhof. Das ist ein symbolischer Ort im Herzen der Hauptstadt, an dem wir dieses Denkmal errichtet haben. Hier sind keine Menschen umgebracht worden. Ich hatte auch mal einen Überlebenden zu Besuch, der gesagt hat: Ja genau dieses Kinderlachen ist der Triumph über die Barbarei."
Kontraste
"Architekt Peter Eisenman sagt: Es soll ein offenes, ein belebtes Mahnmal sein, und er hat kein Problem mit spielenden Kindern. Wie ist das bei Ihnen?"
Henry Schwarzbaum
"Man sollte vielleicht hier überall Schilder aufstellen, dass ein Mahnmal ist, überall müsste man Schilder aufstellen. Das ist ein Mahnmal und die Menschen sollten sich demnach auch benehmen. Nicht mit nacktem Oberkörper hier rumlaufen oder sowas."
Sicherheitsmann
"Madame, You have to come down please." – "Oh, I´m sorry" – "Thank you"
1. Sicherheitsmann
"Verstöße, ja: Hundebesitzer, die Ihre Hunde frei laufen lassen, was wir natürlich auch nicht in Ordnung finden. Übermäßiger Alkoholgenuss mit Flaschen, das wollen wir auch nicht. Liebespärchen haben wir, natürlich."
2. Sicherheitsmann
"Es wurde schon Überreste gefunden von der Reinigung von Liebespärchen und so."
1. Sicherheitsmann
"Wenn wir die Statistik bemühen, dann müssen wir sagen, dass wir im Jahresdurchschnitt drei Unfälle haben pro Monat. Das sind Schnittwunden, Kopfverletzungen. Man rutscht ab. Die Kanten sind scharfkantig. Manche können nicht hören. Manche wollen sich beweisen, und dann kommt es zu solchen Unglücken. Leider!"
Kontraste
"Warum habt Ihr eigentlich da hingespuckt?"
Mann, der gespuckt hat
"Was interessiert Dich das? Was interessiert Dich das? Verpiss Dich"
Kontraste
"Es kommen auch immer wieder Islamisten, Rechtsextremisten hierher und machen dann Ihre Propaganda.
Nazi-Musikvideo (seit 2012 online):
"Gegen die EU-Zionisten schreiten wir vereint in den Krieg. Tragen stolz den Glauben im Herzen, von unserer Freiheit, unserem Sieg"
Was empfinden Sie dabei, wenn Sie sowas mitbekommen?"
Henry Schwarzbaum
Denen würd ich an die Gurgel gehen. Ich finde das beschämend. Wenn ich so sehe, "was es heute so für Parteien gibt, die wieder den Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit so verbreiten, sich so benehmen. Wie viele Menschen müssen noch umgebracht werden, um das zu lassen?"
Beitrag von Sascha Adamek, Jo Goll und Norbert Siegmund