"Königreich Deutschland" -
Vor zehn Jahren haben Reichsbürger in Sachsen-Anhalt ein "Königreich Deutschland" ausgerufen - einen Scheinstaat, in dem die Gesetze der Bundesrepublik angeblich nicht mehr gelten. Die Gruppierung hat großen Zulauf und verfügt neben Kontakten in die rechtsextreme Szene offensichtlich über erhebliche finanzielle Mittel, um ihr so genanntes Staatsgebiet auszuweiten. Nach einem Schloss im Erzgebirge gibt es nun Expansionspläne in Brandenburg. 44 Hektar Land hat das "Königreich" im kleinen Dörfchen Rutenberg bei Lychen nun im Visier. Für den idyllischen Ort ist das nicht die erste Begegnung mit den Feinden der Demokratie: Schon länger versuchen sich einige Lychener gegen ein Siedlungsprojekt der völkischen Anastasia-Bewegung zu wehren. Bislang erfolglos.
Anmoderation:
Reichsbürger – mit ihrer düsteren Gedankenwelt haben wir gerade erst nähere Bekanntschaft gemacht. Vor sieben Wochen wurde ein mutmaßlicher Putschversuch aus ihren Reihen vereitelt. Bei der bundesweiten Razzia Anfang Dezember wurden insgesamt 25 Verdächtige festgenommen, darunter eine ehemalige AfD-Abgeordnete und der mutmaßliche Rädelsführer: Heinrich Prinz Reuss. Der Vorwurf: Bildung einer terroristischen Vereinigung und Hochverrat. Vor wenigen Tagen dann setzt es noch eine Anklage gegen – die so genannten "Vereinten Patrioten". Auch diese Gruppe plante offenbar einen Staatsstreich. Außerdem wollten sie wohl Bundesgesundheitsminister Lauterbach entführen. Momentan kommen sich verschiedene Auswüchse der rechten Szene näher und vermischen sich regelrecht, warnt die Vize-Präsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Felor Badenberg, Bundesamt für Verfassungsschutz
"Wenn man sich die Gruppe um Prinz Reuss anschaut oder aber auch die Gruppe Vereinte Patrioten, dann stellt man fest, dass wir sowohl Personen und Organisationen aus der rechtsextremistischen Szene haben. Wir haben aber auch Personen und Organisationen aus dem Reichsbürger Selbstverwalter Milieu. Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen diesen Personen und Gruppen, die aus ganz unterschiedlicher Motivation heraus agieren ist die Demokratiefeindlichkeit."
Anmoderation:
Da braut sich also richtig was zusammen. Solange es gegen den Staat und die Demokratie geht arbeitet auch die AfD-Frau mit dem Reichsbürger Seit an Seit. Und in dieser schrankenlosen neuen rechten Groß-Szene finden auch die sogenannten völkischen Siedler einen Platz. Die, wie wir rausgefunden haben, schon an 80 Orten deutschlandweit zu finden sind. Die hippieske Anastasia-Bewegung etwa die in bodenlangen Röcken ihre Felder bestellt. Äußerlich eint sie wenig mit den Reichsbürgern vom "Königreich Deutschland" – weltanschaulich dafür umso mehr – unverhohlener Antisemitismus kommt bei beiden gut an. Man versteht sich also. Und man hilft sich, noch mehr Land zu gewinnen. Im brandenburgischen Lychen aber regt sich jetzt Widerstand gegen die neuen Nachbarn.
Rutenberg in der Uckermark, im Norden Brandenburgs. Vergangenen Samstag treffen sich die Dorfbewohner im ehemaligen Pfarrhof zur Krisensitzung mit dem Verfassungsschutz. Der schlägt Alarm: Offenbar planen Reichsbürger vom "Königreich Deutschland", sich hier im Ort anzusiedeln
Christian Pfennig, Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg
"Das Königreich Deutschland versucht sozusagen, nicht nur hier, durch Landzukäufe das eigene angebliche Staatsgebiet zu vergrößern. Das ist halt eben einfach die Gefahr, die wir sehen, dass immer mehr Immobilien in die Hände dieser Extremisten gelangen."
Eine geplante Landnahme, gegen die sich Widerstand regt. Ralf Deistler verteilt Flugblätter im Dorf, um die Nachbarn aufzurütteln. Mit Gleichgesinnten will er eine Bürgerinitiative gründen, um den Reichsbürger-Coup doch noch zu vereiteln.
Ralf Deistler, Anwohner
"Sie haben ja jetzt selber mitbekommen, wie groß Rutenberg ist, sind 180 Einwohner. Wenn die dann hier mal plötzlich mit 30, 40, 50 Leuten da sind, dann können die im Prinzip hier die komplette Dorfgemeinschaft kippen."
Die Sorge gilt dem "Königreich Deutschland": ein Phantasiestaat, 2012 ausgerufen in einer bizarren Zeremonie.
Ruf: "Reichsapfel und Zepter"
Hier sollen die Gesetze der Bundesrepublik nicht gelten, stattdessen herrscht ein Imperator: Peter Fitzek, genannt Peter der I.
Peter Fitzek, Reichsbürger
"Hiermit schwöre ich den Heiligen Eid, dem Schöpfer allen Seins, seiner Ordnung und den Menschen zu dienen."
So skurril Fitzek bisweilen auch wirken mag: Er ist ein gefährlicher Hetzer und Antisemit.
In diesem kürzlich veröffentlichten Video etwa behauptet er, jüdische Familien schürten Kriege, um eine satanistische Weltordnung zu schaffen.
Peter Fitzek, Reichsbürger
"Diese Fronten sollen aufgebaut werden und sie werden von einer im Hintergrund stehenden Organisation aufgebaut, die man Chabad nennt. Die Chabad ist eine messianisch-jüdische Endzeit-Sekte, die darauf wartet, dass der Messias wiederkommt. Wenn man sich mal anschaut, von wem Herr Putin erzogen wurde, dann weiß man, dass Herr Putin von Chabad weitestgehend erzogen wurde. Wenn man mal schaut, wer Herr Selensky ist. Er war früher ein Schauspieler und er hat den Präsidenten gespielt. Das macht er ja offensichtlich ganz gut, genau. Aber er ist im Prinzip auch jüdischer Abstammung und Teil der Chabad."
Antisemitischer Wahn von einem, der sich selbst als Wegbereiter einer besseren Welt inszeniert.
Und dessen Pseudo-Monarchie expandiert: In diesem Video präsentieren sich Fitzeks Anhänger, wie sie ein Schloss im sächsischen Bärwalde renovieren. Erst vergangenes Jahr hat Fitzek das Anwesen erstanden und es sogleich per Dekret in sein "Königreich" ein- sowie aus der Bundesrepublik ausgemeindet.
Peter Fitzek, Reichsbürger
"Ab heute greift hier BRD-Baurecht nicht mehr, eine Interaktion mit BRD-Institutionen oder Dienststellen ist auch nicht mehr erforderlich."
Neben Spenden finanziert sich Fitzek unter anderem über kostenpflichtige Seminare zum angeblichen "Systemausstieg". Beim Verfassungsschutz geht man von sprudelnden Einnahmequellen des Pseudo-Monarchen aus.
Jörg Müller, Leiter Verfassungsschutz Brandenburg
"Das Königreich Deutschland spricht selbst von circa 5.000 Anhängern oder Staatszugehörigen oder Staatsangehörigen, die natürlich durch ihre permanente Ausbeutung, indem sie kostenlos arbeiten für ihn oder eben auch Seminare teuer erstehen müssen, jedes Visum oder jede Antragsstellung wird finanziert, dass das größere Mengen an Geld sind. Ein Seminar für 300 Euro bei 5.000 Leuten sind 1,5 Millionen im Jahr."
Und nun wollen die Reichsbürger um Fitzek offenbar in Rutenberg investieren. Im Dorfkern stehen derzeit mehrere Häuser zum Verkauf. Nach Kontraste-Informationen sind die Reichsbürger bereits kurz davor, eine landwirtschaftliche Genossenschaft zu übernehmen. Dieses Anwesen sowie 44 Hektar Äcker und Wälder gehören dazu.
Publik wurden die Pläne durch ein Internetvideo des "Königreichs Deutschland" von Ende vergangenen Jahres:
Marco Ginzel, "Königreich Deutschland"
"Und jetzt gibt es eine Premiere: Es gibt eine Gemeinschaft, die schon einige Zeit besteht, die jetzt in unseren Rechtekreis wechselt mit ihren Gütern, mit ihrem Land, die sind schon in dem Bereich Landwirtschaft tätig."
Auf den Bildern zu sehen: Peter Fitzek samt Gefolge bei einer Ortsbesichtigung in Rutenberg. Tatsächlich können die Reichsbürger im Dorf auf vorhandenen Strukturen aufbauen. Denn die Genossenschaft ist schon länger in der Hand rechter Siedler.
Bereits 2019 berichtete Kontraste über völkische Umtriebe in Rutenberg. Am Waldrand hatten sich Anhänger der sogenannten Anastasia-Bewegung niedergelassen.
"Filmen sie jetzt gerade? Dann machen Sie bitte mal den Film aus!"
Den ideologischen Hintergrund der Siedler bilden die antisemitischen Anastasia-Bücher aus Russland. In der 10-bändigen Reihe wird eine Art Blut-und-Boden-Ideologie propagiert - auch wenn die Anhänger oft wie esoterisch angehauchte Öko-Hippies anmuten, weniger wie Rechtsextreme.
Der Rutenberger Wortführer zeigte sich offen im Fernsehen: in den Wochenendtipps des MDR - als Biogärtner:
"So auch André Proetel, er gärtnert zum Beispiel nach Mondphasen ganz ökologisch und er braucht dafür auch keinen künstlichen Dünger."
"Und dann später decke ich es mit Heu ab oder auch mit Rasenschnitt, je nachdem, was da ist."
Eine Aussteigerin aus der Anastasia-Siedlung, die unerkannt bleiben will, berichtet uns von ganz anderen Tönen Proetels:
Aussteigerin
"Herr Proetel sagt auch, dass Deutschland eine Firma ist, und dass man den Führerschein zurückgibt und den Pass zurückgibt und dann sich eben dann in einem entsprechenden Reichbürgeramt eigene Papiere ausstellen lässt."
Gedankengut, das mit dem des "Königreichs Deutschland" kompatibel ist, wie die Vize-Chefin des Bundesamtes für Verfassungsschutz betont.
Felor Badenberg, Vizepräsidentin Bundesamt für Verfassungsschutz
"Völkische Siedlungsbestrebungen sind ein Beispiel für sogenannte Mischszenen. Auch da haben wir Personen und Gruppen aus unterschiedlichen Phänomen-Bereichen die zusammenkommen, da sie ein gemeinsames Ziel verfolgen. Und bei völkischen Siedlungsbestrebungen ist das gemeinsame Ziel die Schaffung von Rückzugsräume, um ein Leben unter Gleichgesinnten zu ermöglichen. Gleichgesinnte, das sind Personen, die als nicht fremd wahrgenommen werden. Damit meine ich Personen, die ohne Migrationshintergrund als Urdeutsche gelten."
So wie auch andere völkische Siedler schickt André Proetel seine Kinder seit Jahren nicht zur Schule – und kann auf die Passivität der Behörden zählen. So akzeptierte das Schulamt in Frankfurt-Oder ein dubioses Attest einer Psychologin, das Kontraste vorliegt. Die Frau, die laut Briefkopf in England praktiziert und Mitglied in einem Heilpraktikerverband ist, befreite das Kind wegen psychischer Probleme für ein komplettes Jahr vom Schulunterricht.
Nachdem sich die Anastasia-Siedler bereits eingerichtet haben, droht Rutenberg nun auch noch der Zuzug des "Königreichs Deutschland".
Wir fahren nach Bärwalde, zum Schloss der Reichsbürger. Uns empfängt Marco Gintzel, Pressesprecher und zweiter Mann im Phantasiestaat. Bei der Frage nach dem Siedlungsprojekt in Rutenberg wird der Sprecher schmallippig:
Marco Ginzel, "Königreich Deutschland"
"Dazu kann ich derzeit nichts sagen. Da bin ich nicht so tief involviert, dass ich da was Kompetentes dazu sagen könnte."
Kontraste
"Aber es gibt die Kontakte zumindest?"
Marco Ginzel, "Königreich Deutschland"
"Ja klar."
Niemand müsse sich Sorgen machen, versichert Ginzel. Das Königreich sei am Gemeinwohl orientiert und keineswegs radikal.
Marco Ginzel, "Königreich Deutschland"
"Wenn man Staatsbürger des Königreichs Deutschland ist, ist man vielleicht Königreichsbürger. Aber das ist was anderes als ein Reichsbürger, so wie sie ihn verstehen. Wir haben nichts zu tun mit Rechtsextremen oder mit Gewaltfantasien oder mit irgendwie solchen Dingen, gar nichts."
Der Verfassungsschutz sieht das anders. Nicht nur wegen Fitzeks Antisemitismus beobachtet man seine Bewegung schon seit Jahren:
Jörg Müller, Leiter Verfassungsschutz Brandenburg
"Das ist das Ziel von den Akteuren im Königreich Deutschland, unsere Demokratie abzuschaffen und ein eigenes Königreich, also einen rechtsfreien Raum zu schaffen. In Abspreche dessen, dass unser Staat ein Existenzrecht hat. Für uns ist sie eine Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung."
Es geht um die Demokratie und manchmal auch um ein ganzes Dorf. In Rutenberg haben sie jetzt Angst, was dem Ort nach den Anastasia-Jüngern noch alles bevorsteht. Tischler Mathias Duwenhögger hat resigniert.
Mathias Duwenhögger, Anwohner
"Keiner wird ein Haus kaufen, in der Aussicht darauf, dass er als Nachbarn das Königreich Deutschland hat. Also für mich steht im Grunde fest, dass ich hier nicht mehr glücklich werden werde und deshalb zwangsläufig das Feld räumen werde."
Ralf Deistler dagegen will weiterkämpfen. Viel zu lange habe man in Rutenberg dem Treiben rechter Siedler tatenlos zugesehen.
Ralf Deistler, Anwohner
"Wenn man sich andere Beispiele und andere Entwicklungen nicht nur in Brandenburg, sondern bundesweit anguckt, merkt man, dass die sich immer da niederlassen, wo es für sie bequem ist. Man kann es ihnen aber auch unbequem machen durch konsequente Schulpflicht, durch konsequente Durchsetzung der Bauordnung und so weiter und so fort, wo einfach die Kommunalpolitik auch gefordert ist."
Gefordert ist die Politik – aber auch eine aktive Zivilgesellschaft.
Beitrag von Silvio Duwe, Kaveh Kooroshy und Markus Pohl