Kein Haus oder Baum ist mehr auf dem Gelände des ehemaligen Dorfes Lützerath zu sehen. Der Rückbau der Keller, Leitungen und Kanäle wird aber laut RWE noch dauern. Bild: Henning Kaiser/dpa
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Die Kohle unter Lützerath - Was steckt hinter dem Deal mit RWE?

Um die Versorgungssicherheit von Deutschland mit Strom zu garantieren, braucht es die Kohle unter Lützerath nicht. Das belegen wissenschaftliche Berechnungen. Das war ein Argument für die umstrittene Räumung des Dorfes. Und auch mit dem Argument der Grünen, ihr Deal mit dem Energieriesen sei gut für den Klimaschutz, hat der vorgezogene Ausstiegstermin aus der Braunkohle im Rheinischen Revier nicht viel zu tun. Denn Braunkohleverstromung wird ab 2030 wegen der immer teurer werdenden CO2-Zertifikate unrentabel. Was also steckt dann hinter dem Deal mit dem Energiekonzern RWE? Kontraste über ein teures und schmutziges Geschäft.

Anmoderation: Lützerath ist nicht mehr – längst ist das umkämpfte Dorf dem Erdboden gleich gemacht. Der Streit, der sich an ihm entzündete aber, der bleibt bestehen: Warum haben sich die Grünen – ausgerechnet – darauf eingelassen dieses Dorf der Braunkohle zu opfern - komplett gegen ihren Markenkern als Klimaschutz-Heilige. Ihre offizielle Begründung war ja ein schulterzuckendes: "Es ging nicht anders". Wir kommen allerdings zu einem anderen Schluss: Es musste nicht sein, es ging anders. Aber sie erhoffen sich etwas anderes im Gegenzug. Worum es in diesem schmutzigen Deal wirklich ging, sehen sie jetzt.

Lützerath vor knapp zwei Wochen. Ein Symbol für den Kampf um den Klimaschutz. Und der gescheiterte Versuch, eine politische Entscheidung zu kippen. Die ausgerechnet auch von grünen Politikern getroffen wurde.

Mittendrinnen: Die grüne Aktivistin Luisa Neubauer.

Luisa Neubauer, Klimaaktivistin

"Wir brauchen ganz dringend Parteien, die ökologische Linien ziehen, dort, wo sie liegen und dann auch verteidigen. Und dass die Grünen in diesem Augenblick an der Spitze das nicht machen, ist fatal."

Im Weiler Lützerath treffen wir während der Räumung die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger. Sie ist als parlamentarische Beobachterin vor Ort und zeigt sich enttäuscht von ihrer Partei.

Kathrin Henneberger (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsabgeordnete

"Den Satz 'Der Deutsche Bundestag befürwortet den Erhalt von Lützerath am Tagebau Garzweiler.' Das haben wir im Parlament so beschlossen. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass meine Parteifreund:innen dem Beschluss des Bundestages gefolgt wären und sich weiterhin eingesetzt hätten mit mir zusammen, dass genau das hier nicht passiert, dass Lützerath bleibt."

Auch er ist Mitglied bei den Grünen: Polizeipräsident Dirk Weinspach, zuständig für die Räumung.

Dirk Weinspach, Polizeipräsident Aachen

"Ich glaube, für Grüne, aber auch für die beiden grünen Minister war das eine Zumutung, solch eine Entscheidung zu treffen. Aber sie haben diese Verantwortung wahrgenommen. Und das nötigt mir Respekt ab."

Für einen Polizeipräsidenten eine ungewöhnlich politische Äußerung.

Auch das zeigt, wie gespalten die Grünen sind. Lützerath ist auch ein Symbol für die Glaubwürdigkeit der Partei. Die Rettung des Klimas – ihr großes Versprechen.

Hier sind viele enttäuscht von der aktuellen Politik. Mancher spricht schon von einem Hartz-IV der Grünen.

Ein Profiteur aber steht schon fest: RWE, der Konzern kann sich über riesige Gewinne freuen.

Doch wieso haben die Grünen da mitgemacht?

Rückblick: Oktober 2022

Bundesklimaschutzminister Habeck freut sich und behauptet, man müsse zwar Lützerath opfern, aber das Vorziehen des Braunkohleausstiegs sei ein Erfolg:

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klima

"Es ist ein guter Tag für den Klimaschutz. Es ist ein guter Tag auch für die klimaneutrale Versorgungssicherheit für Deutschland und NRW."

Genau das widerlegt das Energieinstitut Aurora:

Die Kohle, die im alten Ausstiegsplan ab 2030 verbrannt werden sollte, würde nach aktuellen Be-rechnungen gar nicht verbrannt werden. Wegen des dann zu hohen Preises für CO2-Zertifikate, wäre das Verfeuern zu teuer. Das Vorziehen des Datums hat keinen positiven Effekt auf das Klima.

Casimir Lorenz, Energieexperte, Aurora Energy Research

"Der vorgezogene Ausstieg aus der Braunkohle hat im wahrscheinlichsten Szenario eben keine Klimaauswirkungen. Die Begründung oder die Aussage 'Wir schützen damit das Klima' und reduzieren Emissionen, dem können wir nicht zustimmen."

In Lützerath sind sich die Besetzer eines Hauses sicher: Der Deal sei eine Klimasünde. Vor über zwei Jahren sind sie hierhergezogen, um etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen.

Indigo, Klimaaktivistin

"Dieser Kompromiss ist eine Mogelpackung. Die Kohle soll einfach früher verbrannt werden. Das heißt wir haben keine Emissions-Einsparung ... Dafür müssen wir hier verweilen und uns hier rauszerren lassen von hunderten bewaffneten Polizisten. Und das macht mich völlig fassungslos."

Eine andere Begründung Lützerath abzubaggern: Die Kohle brauche es, damit in Deutschland nicht die Lichter ausgehen. Das zumindest sagt die Grüne Wirtschaftsministerin von NRW Mona Neubaur.

Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, NRW

"Dementsprechend muss, damit die Energieversorgungssicherheit jetzt, in diesem und im nächsten Winter gewährleistet werden kann, Lützerath geräumt werden und eben auch die Kohle da drunter zur Verfügung gestellt werden."

Zahlreiche Experten sehen das anders. Mehr als 700 Wissenschaftler forderten ein Moratorium für Lützerath. Denn: Ihnen zufolge wird diese Kohle für die Versorgungssicherheit überhaupt nicht gebraucht.

Prof. Pao-Yu Oei, Umweltwissenschaften, Universität Flensburg

"Unsere Studien zeigen auf, dass wir noch sehr viel Kohle aus dem Tagebau Garzweiler gewinnen können, ohne das Dorf Lützerath abzubaggern. Mit diesen 160 oder 170 Millionen Tonnen, die wir aus Garzweiler gewinnen können, können wir noch ohne Probleme die nächsten vier bis fünf Jahre die Stromversorgung in den Kraftwerken und Garzweiler herum sicherstellen."

Lützerath abzubaggern war also nicht alternativlos. Die Entscheidung hätte man je nach Versorgungslage auch in einigen Jahren fällen können. Energieexperte Michael Sterner ist der Ansicht, es ging schlicht ums Geld.

Prof. Michael Sterner, Energiesysteme, Ostbayerische Hochschule Regensburg

"Letztendlich ist es eine wirtschaftliche Frage, weil es im Sommer unter diesen Vorzeichen, unter den Annahmen, unter denen die Politik entschieden hat, einfach wirtschaftlich ist, diese Braunkohle abzubaggern. Das ist momentan eine Gelddruckmaschine."

Es scheint bei Lützerath also weder um Klimaschutz noch um Versorgungssicherheit zu gehen.

David Dresen weiß, warum RWE unbedingt wollte, dass Lützerath abgerissen wurde. Seine Familie lebt seit Jahren in der Nähe des Tagebaus, zudem sitzt er im kommunalen Braunkohleausschuss.

David Dresen, Bürger im Ausschuss für Braunkohle, Stadt Erkelenz

"Unter Lützerath sind die Kohleflöze ganz besonders dick. Und deswegen ist es für RWE wesentlich profitabler, dort Kohle zu fördern, als rechts oder links daneben."

Seit fünf Jahren verfolgt David Dresen intensiv den Streit um den Kohleausstieg von Nordrhein-Westfalen. Akribisch hat er die Vereinbarung zwischen RWE, Land und Bund gelesen. Dabei fiel ihm auf: Hier geht es um mehr als Lützerath.

David Dresen, Bürger im Ausschuss für Braunkohle, Stadt Erkelenz

"Aus meiner Sicht steckt hinter der Eckpunktevereinbarung zwischen RWE und den grünen Ministerien ein versteckter Deal, bei dem RWE der Einstieg in Gaskraftwerke und Wasserstoff ermöglicht werden soll und gleichzeitig die Energiesicherheit der Industrie in den nächsten zwei Jahren sichergestellt werden soll. Mit Klimaschutz hat das aus meiner Sicht erst mal nichts zu tun."

Im Eckpunktepapier zum Kohleausstieg geht es auffällig oft um Gas. Offenbar war das das Haupt-motiv für den Deal.

David Dresen, Bürger im Ausschuss für Braunkohle, Stadt Erkelenz

"Ich finde die Kommunikation der Grünen sehr unehrlich und ich bin mir sicher, dass sie diese Kommunikation wählen, weil sie wissen, dass sie ihrem Wähler:innenklientel einen Gaseinstiegsdeal nicht verkaufen können. Deswegen war es für die Grünen wichtig, ein Symbol nach vorne zu stellen, die Zahl Kohleausstieg 2030, um dahinter vertuschen zu können, dass die Kohlekraftwerke hochfahren und danach den Gaseinstig mit RWE zusammen machen."

Kontraste gegenüber bestätigt das Bundeswirtschaftsministerium das Gasprojekt.

Zitat: Wir werden "Erdgaskraftwerke brauchen, um die Versorgungssicherheit in der mittleren Sicht zu gewährleisten".

Die Idee dahinter: Es sollen durch den Gaseinstieg solche Gaskraftwerke gebaut werden, die so die Hoffnung, bis 2035 auf Wasserstoff umgeschaltet werden können. Auf Kontraste Nachfrage gibt die grüne Parteivorsitzende offen zu, dass es bei Lützerath um mehr als den Kohleausstieg ging.

Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen), Parteivorsitzende

"Ich finde, das ist richtig, dass das wir in Situationen, wo wir über den Ausstieg sprechen, also den Ausstieg aus Kohle, auch über den Einstieg sprechen. Da wo jetzt auch Gas-Infrastruktur gebaut wird, muss die umrüstbar sein auf Wasserstoff. Da reden wir auch über zukunftsfähige Arbeitsplätze."

Der neue Sound der Klimaschutz-Partei?

Auch mit freundlicher Unterstützung der Grünen erklärte sich RWE in der Vereinbarung zum vorzeitigen Kohleausstieg bereit. Und konnte komfortabel verhandeln.

Der Konzern stellte Bedingungen. Wollte nur

Zitat: "… bei gegebener Wirtschaftlichkeit ..." groß ins Gas und Wasserstoffgeschäft einsteigen.

Damit das klappt, gab das Ministerium Garantien. Es werde hierfür

"… den erforderlichen Rahmen schaffen …"

Und plant daher

"… den Bau flexibler Kraftwerke zu ermöglichen …"

Es scheint, als ob mit Steuergeldern der Betrieb und die Infrastruktur, auch die Pipelines finanziert werden. Den Erlös steckt offenbar der Energieriese ein.

Dass bei RWE die Kassen klingeln, garantiert der Staat. Und zwar bei Kohle und Gas.

Lützerath ist inzwischen dem Boden gleich gemacht. Die Kohle unter dem ehemaligen Dorf soll RWE laut Experten rund eine Milliarde Euro einbringen.

Der Deal mit der Industrie hat nicht nur die Proteste in Lützerath befeuert – sondern auch die Grünen gespalten. Die Parteijugend ist desillusioniert.

Sarah-Lee Heinrich, Bundessprecherin Grüne Jugend

"Dass eine grüne Partei nicht aus sich heraus es alleine schafft die Klimakrise zu bekämpfen … Da war halt viel Hoffnung drinnen für viele Menschen und da gibt es viel Enttäuschung. Das merkt man ja auch innerhalb der Grünen Partei, dass man da total mit der Rolle hadert, die man gerade hat."

Timon Dzienus, Bundessprecher Grüne Jugend

"Und in dem Fall hat man sich ehrlich gesagt schon auch für die für RWE bequemste Variante entschieden. Und deswegen glaube ich, dass der Riss am Ende nicht nur zwischen den Grünen, der Klimabewegung oder innerhalb der Grünen verläuft, sondern zwischen Politik und Wirklichkeit ein Stück weit. Und offensichtlich das System, in dem wir leben, die Art und Weise, wie wir Politik machen, aktuell nicht in der Lage ist, unsere Lebensgrundlage so zu schützen, wie es eigentlich müsste."

Beitrag von Simone Brannahl, Julian von Bülow, Anne Grandjean und Chris Humbs

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Kontraste-Logo + DGS (Quelle: rbb)

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+++ "Königreich Deutschland": Auf Expansions-Kurs +++ Die Kohle unter Lützerath - was steckt hinter dem Deal mit RWE? +++ Die Radikalisierung des Hans-Georg Maaßen +++ Moderation: Eva-Maria Lemke