Polizeibeamte ergreifen Maßnahmen gegen Aktivisten in Berlin. Bild: Michael Kuenne/PRESSCOV via ZUMA Press Wire
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Klimawandel - Die Letzte Generation: Reportage aus Berlin

Kleben für das Klima! Kaum etwas polarisiert Deutschland so sehr wie die aktuellen Straßenblockaden der Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation". Ihr jüngstes Ziel: Die Hauptstadt lahmlegen und die Regierung zum Handeln zwingen. Doch schafft der Protest wirklich Aufmerksamkeit für den Klimaschutz? Kontraste hat Aktivisten begleitet - bei ihren Konfrontationen mit Autofahrern, bei Gesprächen mit Passanten und bei Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Anmoderation: Kontraste aus Berlin, hallo. Woran denken Sie, wenn Sie diese Bilder sehen? Nur ein Wort, spontan, was fällt Ihnen ein? Kleber? Chaos? Konfrontation? Was jetzt vielleicht kaum jemand gesagt hat, ist: Klima. Und genau das ist womöglich das große Missverständnis hier: die einen denken, wenn das Anliegen nur wichtig genug ist, dann ist auch extremer Protest erlaubt. Und die anderen kriegen vor lauter Protest von dem Anliegen gar nichts mehr mit. Kann man gerade täglich erleben auf den Straßen der Hauptstadt.

Berlin Konstanzer Straße vor zwei Tagen. An einer Autobahnabfahrt versucht die sogenannte Letzte Generation ihr groß angekündigtes Ziel in die Tat umzusetzen: Die Hauptstadt lahmlegen. Auf die Straße kleben fürs Klima. Es ist eine von über 70 Blockaden in dieser Woche, die die Gemüter erhitzt.

Autofahrer

"Warum soll ich nicht schreien, ich muss arbeiten gehen, warum soll ich nicht schreien? Sag mir mal einen Grund, warum ich nicht schreien soll? Hä? Oder zahlst du meine Miete? Dann soll Politik doch was machen. Was soll das? Verstehen Sie, das ist, das ist wirklich falsch. Wo sind die Leute, die wir gewählt haben? Was machen die denn? Und ich war immer Grün-Wähler. Die bekommen das von mir! Nix mehr. Also, bei der Scheiße überlege ich so langsam, AfD zu wählen. Ich bin Türke, aber das ist nicht mehr normal. Das ist scheiße."

Während dieser Mann auch wütend auf die Politik ist, sind es die meisten Leute hier vor allem auf die Aktivisten.

Älterer Mann

"Ich finde keine Worte. Ich habe eine kranke Frau zu Hause, die weiß nicht, was los ist. Ich wollte eigentlich nur zehn Minuten kurz mal zur Tankstelle gehen und jetzt sitzt sie zu Hause und hat irgendwie, ja, Panik."

Mutter

"Ich finde es richtig scheiße. Ich muss zu meinem Baby. Ich kann jetzt gerade nicht hinfahren. Die haben mich von der Kita angerufen und ich kann nicht hinfahren. Scheiß Aktion!"

Die Klimakleber wollen die Politik zum Handeln zwingen – aber kann das so funktionieren?

Autofahrer

"Ihr wollt die Welt retten. Dann klebt euch an einen Baum. Das ist aber mein Auto hier. Warum tun Sie nichts? Lassen Sie mich das machen. Die Anzeige nehme ich in Kauf. Kein Problem. Eine mehr oder weniger, passiert auch nichts. Türkische Polizisten in der Türkei hätten dich totgeschlagen. Das können sie nicht in der Türkei machen. Das können Sie auch nicht in Frankreich machen. Haben Sie doch gesehen, was die in Frankreich veranstalten? Aber was sollen Sie machen? Wollt ihr noch was zu trinken haben oder was zu essen? Fragt doch die Polizei, die bringt ihnen was."

Seine Sehnsucht nach einem autoritären Staat wird von der Polizei hier nicht erfüllt. Üblich sind zunächst Ansprachen, bevor die Straße geräumt wird.

Autofahrer

"Sollen sie doch eine Politik gründen? Warum gründen sie nicht eine eigene Politik? Dann können sie doch werben. Ist doch nützlich, oder? Eine eigene Politik zu gründen. Denke ich mal. Aber so?"

Älterer Mann

"Die verstärken die Vorurteile gegenüber Klimaaktivisten."

Carla Hinrichs ist die Sprecherin der Letzten Generation und damit eines der Gesichter der Bewegung. Sie finanziert sich über private Spenden.

Carla Hinrichs, Letzte Generation

"Warum setzen sich Menschen auf die Straße und unterbrechen den Verkehr?"

Polizist

"Warum schreien Sie so?"

Carla Hinrichs, Letzte Generation

"Wenn ich mir die Wissenschaft angucke, dann befinden wir uns in einer Krise. Dann rasen wir gerade in eine absolute Katastrophe, in der ein Hitzesommer den nächsten jagen wird. In der Extrem-Wetterereignisse unser Leben prägen werden. Und ich habe solche Angst davor, dass ich Widerstand leiste, dass ich mich entschieden habe gegen die Regierung, die gerade unser Leben nicht schützt, unsere Verfassung nicht schützt, Widerstand zu leisten."

Widerstand - die Letzte Generation spricht von zivilem Ungehorsam. Doch auch das können Straftaten sein wie etwa Nötigung oder gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.

Carla Hinrichs, Letzte Generation

"Ich selber stand schon vor Gericht, wurde auch schon verurteilt und ich hab’ mal Jura studiert, ich dachte mal, ich würde viel Zeit in Gerichtssälen verbringen, aber auf der anderen Seite der Bank. Und jetzt sitze ich dort teilweise als Angeklagte und das ist wirklich für mich auch ziemlich schockierend."

Seit Monaten blockiert die Letzte Generation Straßen in ganz Deutschland. Das sorgt teils für heftige Szenen. So wie hier in Berlin: Autofahrer schleifen Aktivistinnen an den Haaren von der Straße.

Gesellschaftlich gibt es kaum Akzeptanz für die Klimakleber: In einer aktuellen Umfrage des ZDF sagen 82 Prozent der Befragten, dass Blockaden von Hauptverkehrsstraßen für den Klimaschutz zu weit gehen. Die Aktivisten der Letzten Generation wissen das. Sie machen trotzdem weiter.

Fast generalstabsmäßig planen sie ihre Aktionen. Wie hier in Berlin Lichtenberg vor einer Woche. Simon Schwan ist seit Januar Aktivist, studiert eigentlich technischen Umweltschutz. Er weist Neuzugänge ein und schult sie für den Umgang mit genervten Autofahrern.

Simon Schwan, Letzte Generation

"Versucht euch der Menschlichkeit der anderen auch bewusst zu werden. Hört denen zu, was sie über die Störung ihres Lebens zu erzählen haben. Und versucht das, wenn ihr das könnt, authentisch zu spiegeln. Also zu sagen: Ja, ich verstehe, dass das voll scheiße ist jetzt gerade hier in diesem Stau zu stehen. Entschuldigt euch bei den Leuten aber macht das ehrlich und nicht albern. Es geht wirklich darum, das zu zeigen. Viele von uns, ich würde sagen die meisten, verstehen ja, dass das scheiße ist, da zu stehen und verstehen, dass die Menschen aufgebracht sind."

Simon Schwans erste Klebeblockade am Montagmorgen hält nicht lange an. Die Polizei war hier im Berliner Wedding schnell vor Ort. Mit Pflanzenöl lösen die Beamten die festgeklebten Aktivisten von der Straße.

Autofahrerin

"Das wir was machen müssen, steht für völlig außer Frage. Wissen wir alle. Aber ich glaube, dass ist langsam der falsche Weg. Weil wir müssen alle irgendwie arbeiten und versuchen, unser System aufrecht zu erhalten. Und das ist, glaube ich, der falsche Weg. Weil wir reden nicht nur über den Klimaschutz. Wir reden jetzt nur noch über die Klimakleber."

Während der polizeilichen Maßnahmen versucht ein älterer Herr mit den Aktivisten ins Gespräch zu kommen. Doch die Polizisten möchten das nicht.

Älterer Herr

"Aber sie geben doch kein Redeverbot jetzt, oder?"

Polizist

"Es läuft ja eine polizeiliche Maßnahme. Wenn die abgeschlossen ist, dann können Sie gerne wieder."

Älterer Herr

"Aber ich kann mich doch mal informieren bei den Leuten."

Polizist

"Das geht jetzt gerade mal nicht."

Kontraste

"Verstehen Sie die Frustration von Autofahrern, die davor im Stau stehen?

Älterer Herr

"Nein, das ist ja… Lieber beizeiten demonstrieren als in 20 Jahren das größte Elend haben."

Ein jugendlicher Passant hat weniger Verständnis:

Jugendlicher

"Machen Sie doch andere Sachen… Aber so was?"

Simon Schwan, Letzte Generation

"Wir haben alles andere versucht.

Jugendlicher

"Dann machen Sie alles andere, aber nicht das."

Simon Schwan

"Alles andere hat ja nichts gebracht. Das ist ja das Problem. Bei Fridays for Future waren 1,4 Millionen Menschen auf den Straßen. Die Politik hat darauf reagiert mit einem Klimaschutzgesetz, das verfassungswidrig ist."

Dass alles andere nichts geholfen hat, das glaubt auch die zweifache Mutter Judith Beadle. Sie ist seit letztem Sommer Vollzeitaktivistin.

Judith Beadle, Letzte Generation

"Ich kann es total nachvollziehen, dass Menschen sauer werden, wenn sie halt in ihrem Alltag gestört werden. Ja, es ist einfach notwendig diese Störung des Alltags auch zu haben. Wir können nicht so weitermachen, dann haben wir halt verloren. Es geht wirklich um alles, es muss einfach diese Störung sein, damit sich was ändert und damit wir ins Handeln kommen als Gesellschaft."

Ihren Job als Kommunikationsdesignerin hat Judith Beadle aufgegeben. Sie erzählt, sie lebe seitdem von Erspartem.

Judith Beadle, Letzte Generation

"Ich habe zwei Töchter. Die sind 9 und 12 Jahre alt. Die haben halt einfach keine Stimme im Moment. Also die können sich nicht dafür einsetzen, die können nicht wählen gehen, Petitionen unterschreiben oder… Also die sind ja auf mich angewiesen. Ich habe die Pflicht, mich für sie einzusetzen.

Einige Tage später klebt auch sie sich auf die Straße. Die Polizei hat den Verkehr in Berlin Wilmersdorf umgeleitet. So manche Passanten hier sind aufgebracht.

Passant

"Ihr seid alle Spasten, ja?!"

Kontraste

"Entschuldigung, was halten Sie denn von der Aktion hier?"

Passantin

"Na, zum Kotzen! Ich will nicht wissen, wie viele hier von diesen Idioten nur Flugreisen machen und weiß ich nicht was…"

Im Interview fährt plötzlich ein schwarzer SUV auf die Aktivisten um Judith Beadle zu.

Kontraste

"Vorsicht! Vorsicht, Chris!"

Wie das Auto trotz Sperre auf die Fahrbahn gelangt ist, wissen wir nicht.

Judith Beadle, Letzte Generation

"Ja, ich konnte auch sehen, dass zwei junge Männer drinnen saßen, die auch bisschen gelacht haben. Also die fanden es anscheinend lustig, uns Angst einzuflößen."

Einer der Aktivisten hat gegen den Fahrer eine Anzeige erstattet.

Am Ende wird Judith Beadle festgenommen. Von hier wird sie in die Gefangenensammelstelle gebracht – dort bleiben die Aktivisten oft mehrere Stunden, manchmal sogar über Nacht.

Auch Simon Schwan war kurz in Gewahrsam – und macht danach direkt weiter. Diesmal am Ernst-Reuter-Platz – einem der Verkehrs-Hotspots von Berlin. Auch hier gibt es wieder Staus – aber auch Applaus:

Passant

"Super! "

Während die Polizei meist deeskalierend arbeitet, liefern Beamte aber auch solche Szenen:

Mit Hilfe eines sogenannten "Schmerzgriffes" führen Beamte auch Simon Schwan ab.

Zu diesem Zeitpunkt haben Polizeiexperten dieses Vorgehen bereits als nicht verhältnismäßig kritisiert. Wegtragen wäre demnach die angemessene Maßnahme.

Die Berliner Polizei untersuche aktuell de Anwendung von Schmerzgriffen, heißt es.

Auch heute gab es in Berlin wieder stundenlange Staus und viel Wut auf die Aktivisten. Die haben angekündigt, einfach immer weiterzumachen – bis die Politik ihre Forderungen erfüllt - etwa maximal Tempo 100 auf Autobahnen oder ein 9-Euro-Ticket. Sicher scheint: Die Akzeptanz wird weiter schwinden – die Wut aber wachsen – und damit auch die Gefahr, dass die Gewalt auf der Straße eskaliert.

Beitrag von Simone Brannahl, Anne Grandjean und Chris Humbs

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