Pentagon Leaks -
Ein als "top secret" eingestuftes Dokument aus den "Pentagon-Leaks" legt nahe, dass ein US-Geheimdienst das Bundesverteidigungsministerium ausgespäht hat. Das Dokument, das offenbar nur kurze Zeit im Internet kursierte, hat Kontraste gemeinsam mit der Wochenzeitung "Die Zeit" ausgewertet. Darin wird von einem Treffen von Vertretern des Bundesverteidigungsministeriums mit einer Delegation der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Berlin berichtet – ein durchaus üblicher Austausch im Rahmen der Militärdiplomatie. Das US-Dokument erwähnt auch, wie die deutsche Seite das Treffen im Nachgang bewertet hat. Das Kürzel "SI" für signal intelligence, also Fernmeldeaufklärung, deutet daraufhin, dass ein US-Geheimdienst Kommunikation des Bundesverteidigungsministeriums abgeschöpft haben könnte, etwa durch den Einsatz einer Spionagesoftware.
Anmoderation: Fast genau zehn Jahre ist es her, dass Edward Snowden den sogenannten NSA-Skandal losgetreten hat. Was damals auch das deutsch-amerikanische Verhältnis auf eine harte Probe gestellt hatte, weil schnell klar wurde: Amerikanische Geheimdienste haben auch Deutschland ausgespäht. Tenor: unter Freunden macht man das nicht. Obwohl vermutlich jeder unter den Freunden wusste, dass der andere das auch macht. Öffentlich wurde damals Besserung gelobt. Was aber wenn man zehn Jahre später wieder ertappt wird?
Es ist ein unscheinbares gelbes Blatt Papier, doch seine Existenz birgt politischen Sprengstoff – Und es lässt Erinnerungen wach werden an die NSA-Spionageaffäre. Die Informationen sollen von einem der US-Geheimdienste stammen und könnten Spionage gegen Deutschland belegen.
Kontraste und die Wochenzeitung die ZEIT haben das Papier ausgewertet. Es ist als streng geheim eingestuft und handelt von einem Treffen in Berlin, bei dem sich Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums mit Abgesandten der Volksbefreiungsarmee Chinas getroffen haben.
Das Kürzel SI steht für signal intelligence – die Fernmeldeaufklärung. Ein US-Geheimdienst könnte demnach auf elektronischem Wege an die Informationen gelangt sein, etwa durch den Einsatz einer Spionagesoftware.
Der Experte Gustav Gressel tippt auf mangelhafte IT-Sicherheit im Ministerium.
Gustav Gressel, Militärexperte ECFR
"Wahrscheinlich kommt es aus einem offenen System sollte es aus einem höher klassifizierten Server kommen, dann muss man sich natürlich die Frage stellen wieso wurde das so einfach und so schnell abgeschöpft."
Das geheime Dokument stammt aus den sogenannten Pentagon-Leaks: einer Sammlung von US-Geheimdienstberichten, die im Internet kursieren. Veröffentlicht wurden sie offenbar von diesem Mann, Jack Teixeira, einem 21-Jährigen US-Nationalgardisten. Diese Bilder zeigen seine Festnahme vor zwei Wochen im US-Bundesstaat Massachusetts.
Das Dokument mit Deutschland-Bezug, war nur kurz im Netz. Bei dem Treffen in Berlin am 20. Februar, tauschten sich die Deutschen und die Chinesen über den Krieg in der Ukraine, die Lage im Indopazifik und die UNO aus – ein durchaus üblicher Termin im Rahmen der Militärdiplomatie. Die Deutschen, so heißt es im US-Bericht, hätten den Chinesen klargemacht, dass diese transparenter werden müssten. Eine vertiefte Kooperation sei vorher nicht möglich – die deutsche Seite verstehe ihre Position als Solidarität mit den Amerikanern, notiert der US-Dienst – ein klarer Hinweis darauf, dass nicht die Chinesen ausgespäht wurden, sondern die deutsche Auswertung des Treffens abgeschöpft wurde.
Brisant an dem Papier ist weniger der Inhalt, als vielmehr die Tatsache, dass die USA womöglich immer noch deutsche Regierungsstellen ausspionieren.
Der US-Geheimdienstkoordinator ließ eine Anfrage von Zeit und Kontraste dazu zunächst unbeantwortet.
Gerade mal zehn Jahre ist die NSA-Spionageaffäre her. Damals kam raus, dass der US-Geheimdienst europäische Spitzenpolitiker abhörte, auch das Handy der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel soll abgehört worden sein.
Angela Merkel
"Ausspähen unter Freunden das geht gar nicht und zwar gegenüber niemandem."
Nach Informationen von Kontraste und der Zeit liegt das geheime US-Dokument auch der Bundesregierung vor: Deutsche Sicherheitsbehörden untersuchen den Vorgang. Bislang ist unklar, wie Berlin auf die mutmaßliche Ausspähung reagieren wird. Für den Grünen Innenpolitiker Konstantin von Notz ist aber klar:
Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes
"Es gilt der beabsichtigte, zutreffende, unzutreffende Satz von Frau Merkel 'abhören unter Freunden geht gar nicht'. Gerade in so angespannten Zeiten, wie wir sie derzeit haben, müssen befreundete Dienste gut zusammenarbeiten, Informationen austauschen und sollten sich nicht gegenseitig abhören".
Solange die Hintergründe noch unklar sind, warnt aber der Vorsitzende des deutschen Geheimdienstkontrollgremiums vor vorschneller Aufregung.
Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes
"Man sollte mit den befreundeten Diensten, die die US-amerikanischen ohne jeden Zweifel sind, über solche Vorgänge sprechen."
Wahr ist aber auch: Deutschland ist abhängig von US-Geheimdienstinformationen. In Zeiten des Krieges gegen die Ukraine will man in Berlin die Beziehungen zum wichtigen Partner USA nicht belasten. Den Militärexperten Gustav Gressel überrascht die mutmaßliche US-Spionage nicht. Er meint: Deutschland müsse sich endlich besser schützen. Auch im Hinblick auf Russland und China.
Gustav Gressel, Militärexperte ECFR
"Da ist muss ich sagen die Zeitenwende-Diskussion noch nicht ganz angekommen. Dass auch die deutsche Öffentlichkeit, etwa wenn es dann wirklich um die Befugnisse eigener Nachrichtendienste, um die Verbesserung der Abwehr-Möglichkeiten auch in Deutschland geht, den eigenen Behörden auch wirklich vertraut."
Das Absurde am mutmaßlichen Spionagefall: die deutsche Seite hatte die US-Botschaft auch ganz offiziell über das Treffen mit den Chinesen informiert.
Abmoderation: Heute hat uns am späten Nachmittag eine Stellungnahme aus dem Bundesverteidigungsministerium erreicht, das sich zuvor nicht äußern wollte. Danach geht man dort davon aus, dass es sich nicht um Spionage handelt und dass der US-Geheimdienstbericht auf der offiziellen Unterrichtung der US-Botschaft fußt. Warum aber der US-Bericht als Fernmeldeaufklärung gekennzeichnet ist, konnte man uns nicht erklären. Für die zuständigen Sicherheitsbehörden ist der Fall alles andere als geklärt. Wir bleiben dran!
Beitrag von Pune Djalilevand, Daniel Donath und Georg Heil