Frau auf dem Arbeitsamt (Quelle: rbb)

- Abhängen oder abgehängt werden? Wie allein erziehende Mütter ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen

Allein erziehend und arm – rund ein Drittel der etwa 5 Millionen Hartz IV-Empfänger sind Mütter, die mit ihren Kindern auf sich allein gestellt sind. Soweit die Statistik. Doch wie kommen die Betroffenen damit zurecht? Hindert sie die staatliche Fürsorge, selbst aktiv zu werden? KONTRASTE hat zwei Frauen begleitet, die versuchen, ihr Leben zwischen Job Center und Kindererziehung in den Griff zu bekommen. Wie schwierig das sein kann, haben unsere Autoren Ulrich Kraetzer und Axel Svehla erfahren.

In Deutschland gibt es keine „Unterschicht“! Zu diesem Schluss kamen etliche Politiker, als das Thema vor ein paar Wochen plötzlich auf der Tagesordnung stand. Keiner wollte dieses schlimme Wort benutzen, lieber sprach man vom „abgehängten Prekariat“. Aber selbst davon ist jetzt keine Rede mehr. Dabei leben wirklich viele Menschen in Deutschland an der Armutsgrenze. Besonders oft trifft es allein erziehende Mütter mit ihren Kindern. Ulrich Kraetzer und Axel Svehla haben zwei Frauen getroffen, die ganz klar zur Unterschicht gehören. Über sie kann man sagen: Abgehängt: Ja! Aber sich hängen lassen: Nein! Auch wenn ihre Aussichten höchst bescheiden sind.

Klaus von Dohnanyi (SPD), ehemaliger Bürgermeister Hamburg
„Wir haben ein großes Problem, wir haben ein Problem der Spaltung der Gesellschaft.“

Wolfgang Clement (SPD), ehemaliger Minister für Wirtschaft und Arbeit
„Bei den Jugendlichen sind eben 25 Prozent, die nicht in der Lage sind, eine Ausbildung zu bestehen.“

Markus Söder (CSU), Generalsekretär
„Wir haben natürlich auf der anderen Seite auch eine Gruppierung, die sich damit abfindet.“

Nicole, 22 Jahre
„So helfen tut mir eigentlich kaum jemand außer meinem Papa und sonst hat mir nie jemand geholfen.“

Das sind Lucy und ihre Mutter Nicole. Nicole ist 22 Jahre alt. Sie hat die Hauptschule abgeschlossen, mehr nicht. Keine Lehre, keinen Job – Hartz IV. Als allein erziehende Mutter hat Nicole alle Hände voll mit der Erziehung ihrer Tochter zu tun. Um einen festen Job hat sich Nicole bislang kaum gekümmert. Das soll sich ändern.

Nicole, 22 Jahre
„Ich hab’ mir fest vorgenommen, nächstes Jahr endlich auf eigenen Beinen zu stehen, richtig zum Arbeiten zu gehen und nicht mehr so vom Hartz IV zu leben. Das habe ich mir fest vorgenommen. Das werde ich auch schaffen.“

Berlin, Marzahn-Hellersdorf: Fast 20 Prozent leben in diesem Bezirk von Hartz IV. Hier sind schon viele Träume kaputt gegangen.

Ilona, 42 Jahre
„Meine Idealvorstellung war gewesen: Beide arbeiten, beide verdienen Geld. Und dann wollte ich eigentlich immer irgendwo mal ein Haus bauen oder ein Haus haben, mit nem riesengroßen Grundstück für die Kinder zum Toben.“

Für Ilona ist dieser Traum ausgeträumt. Sie ist arbeitslos, lebt von Hartz IV. Ilona hat fünf Kinder, ist ebenfalls allein erziehende Mutter. Sie hatte einen festen Job, doch das ist mittlerweile fünf Jahre her.

Ilona, 42 Jahre
„Ich habe nie damit gerechnet, dass ich irgendwann mal mit fünf Kindern arbeitslos werde. Klar, man hätte mit rechnen müssen, aber ich habe halt nicht mit gerechnet, dass mal irgendwie was dazwischen kommt, dass eben man halt nicht mehr im Beruf arbeiten kann.“

Ilona hat Näherin gelernt und bis 2001 als Reinigungskraft gearbeitet. Nach einem Bandscheibenvorfall wurde sie entlassen. Heute ist sie wieder auf dem Weg zu ihrem Job-Center. Auch diesmal – keine Angebote.

Ilona, 42 Jahre
„So alle halbe Jahre gehe ich zum Arbeitsamt und frage mal nach, ob doch irgendwo ein Jobangebot da ist. Aber bislang fällt das immer so aus, dass immer keine Angebote. Immer nichts. Immer die gleiche Antwort: Wir haben nichts, kommen Sie noch mal wieder. Ich muss was zu tun haben, ich muss unter Leute, ich muss beschäftigt sein, nur Haushalt, Kinder, Einkauf, Wäsche, ist nicht mein Ding. Ich muss beschäftigt sein, ich muss was zu tun haben.“

Ilona putzt jeden Tag von acht bis eins in der „Arche“, einem kirchlichen Hilfsprojekt für Kinder und Jugendliche. Die Beschäftigung ist befristet, ein so genannter 400-Euro-Job, so wie ihn viele im Bezirk haben.

Ilona, 42 Jahre
„In meinem Bekanntenkreis sind alle Hartz-IV-Empfänger, teilweise arbeiten die auch ehrenamtlich oder 400-Euro-Basis oder 1,50. Die sind alle irgendwo auch beschäftigt.“

Toiletten putzen und Dreck wegmachen für Andere – Ilona ist sich dafür nicht zu schade.

Ilona, 42 Jahre
„Denn alles im Negativen sehen, bringt mich in der heutigen Zeit auch nicht viel weiter. Man muss dass schon alles positiv sehen und versuchen irgendwo weiter zu kommen.“
KONTRASTE
„Was sind denn die positiven Sachen, die sie motivieren?“
Ilona, 42 Jahre
„Zum Beispiel hier meine Arbeit in der Arche. Macht mir Spaß, ich möchte das auch gerne weiter machen. Und hier wird man, hier werde ich gebraucht.“

Ilona - eine Hartz IV-Empfängerin, die sich gebraucht fühlt. Sie hat sich eingerichtet in einem Leben ohne Festanstellung, ohne sicheren Job.

Nicole hat den Kampf um eine feste Stelle noch nicht aufgegeben. Sie träumt von einer Ausbildung als Tierpflegerin.

Nicole, 22 Jahre
„Tiere sauber machen, allgemein auch mit die Hunde mal rausgehen, bisschen toben, und auch die Vögel mal sauber machen, das wäre schon was.“

Heute hat Nicole ein Bewerbungsgespräch im Berliner Tierheim. Erst mal arbeiten, irgendwie.

Michael Begall, Tierheim Berlin
„Schönen guten Tag.“
Nicole, 22 Jahre
„Also, ich wollte mich hier wegen der Stelle bewerben.“
Michael Begall, Tierheim Berlin
„Um was für eine Stelle geht’s denn?“
Nicole, 22 Jahre
„Als Tierpflegerin für Einen-Euro-50.“
Michael Begall, Tierheim Berlin
„Als Tierpflegerin für Einen-Euro-50?“
Nicole, 22 Jahre
„Ja.“
Michael Begall, Tierheim Berlin
„Das was gibt’s bei uns eigentlich gar nicht.“

Ein Missverständnis, gleich zu Beginn des Gesprächs. Aber immerhin: Nicole darf sich kurz vorstellen.
Nicole, 22 Jahre
„Also, ich bin 22, habe meinen einfachen Hauptschulabschluss, bin gleich nach der Schule schwanger geworden, auch in ein Mutterjahr gegangen und bis jetzt keine Lehrstelle und keinen Beruf ausgeübt, aber ich habe schon Erfahrung mit Tieren, ich bin nämlich auch mit Tieren aufgewachsen.“
Michael Begall, Tierheim Berlin
„Haben Sie denn selbst Haustiere und was haben Sie denn da so genau?“
Nicole, 22 Jahre
„Also, jetzt habe ich nen Hund und hatte auch nen Hasen, bloß der ist, weil er so alt war, verstorben.“
Michael Begall, Tierheim Berlin
„Aber wenn das ein Traumberuf von Ihnen ist, und Sie sich das in den Kopf gesetzt haben, dann wäre das eine Mindestvoraussetzung, dass sie einen Realschulabschluss nachholen, aber dies müssen Sie als Voraussetzung haben, um diesen traumhaften Beruf zu erlernen.“
Nicole, 22 Jahre
„Gut zu wissen.“

Ohne Realschulabschluss kann Nicole im Tierheim nicht anfangen. Doch will sie es trotzdem schaffen – irgendwie. Aus dem Bewerbungsgespräch nimmt sie das Positive mit.

Nicole, 22 Jahre
„Als erstes habe ich gedacht, die lehnen mich doch sowieso ab wegen die Kinder, bloß da durch den einfachen Hauptschulabschluss wird man ja auch meistens abgelehnt. Wo er mir die Ratschläge gegeben hat, dass ich das machen könnte, Realschulabschluss und dann da noch mal anfangen, noch mal nachfragen, das hat mich schon ein bisschen motiviert, dass ich das dann machen tue.“

Doch der Realschulabschluss muss warten. Nicole hat die Anmeldefrist für dieses Jahr verpasst, die Chance ist vertan. Nicole lebt weiter von staatlicher Hilfe und von dem, was andere übrig lassen. Neben dem Einkaufszentrum gibt’s Obst und Gemüse für Hartz-IV-Empfänger.

Nicole ist hier nicht nur eine Nummer, an der Essensausgabe trifft sie auch ihre Freunde. Hier leben alle von Hartz IV, hier ist sie wieder im vertrauten Umfeld.

Nicole, 22 Jahre
„Ja, Freunde treffen, austauschen, was man so erfahren hat, finde ich ganz praktisch. Bisschen schämen tue ich mich, bloß, dass wir so ein bisschen über die Runden kommen, gehe ich hierher.“

Nicole wollte raus aus der Welt von Hartz IV. Doch statt Realschulabschluss und Ausbildung zur Tierpflegerin - Geld vom Staat und die Reste vom Supermarkt.

Ilona als allein erziehende Mutter von fünf Kindern wird in die normale Arbeitswelt nicht mehr zurückkehren. Das weiß sie. Und als ständiges Mitglied der großen Hartz- IV-Gemeinschaft hat sie gelernt, damit zu leben – und das Beste daraus zu machen.

Ilona, 42 Jahre
„Die Chance ist gleich Null, in den ersten Arbeitsmarkt wieder zu kommen. Ich gebe mich im Moment erst mal mit einem 400-Euro-Job zufrieden, man wird gebraucht, man muss nicht irgendwo rum sitzen zu Hause, muss nicht sein. Man kann sich sinnvoll beschäftigen. Es geht.“