- Kind gegen Cash: Straffreiheit bei Kinderhandel

Kinderlose Paare warten oft Jahre vergeblich, dass sie ein Kind adoptieren können. Wer nicht warten will, sucht Hilfe im grauen Markt. Kind gegen Geld, gerade in armen Ländern finden Ärzte und kommerzielle Vermittler Wege, den Paaren zu helfen. Aber darf der Mensch als Ware gehandelt werden?

Wer in Deutschland ein Kind adoptieren möchte, wartet mitunter viele Jahre. Denn die Nachfrage ist gross. Erschreckende Konsequenz: viele Paare suchen ein Kind auf dem grauen Markt. Zahlreiche kommerzielle oder private Vermittler bieten Kinder aus ärmeren Ländern an wie eine x-beliebige Ware. Dennoch, man glaubt es kaum: der Handel mit Kindern ist nach deutschem Recht zwar strafbar – aber nicht in jedem Fall. Lisa Wandt hat eine junge Frau getroffen, die uns ihre erschütternde Geschichte erzählt.

Die Wahrheit über ihre Herkunft blieb Sabrina lange Zeit verschlossen. Es ist eine Wahrheit, die aus ihrem Leben eine einzige Lüge macht.

Sabrina Kirsten
„Ich habe mit 16 Jahren erfahren, dass meine Mutter nicht meine leibliche Mutter ist und dann mit 21 habe ich erfahren, dass sie mich 1988 für 2500 D-Mark in der Türkei gekauft hat."

Seitdem ist Sabrina auf der Suche nach ihren Wurzeln. Hunderte Seiten Akten hat sie inzwischen in einen Ordner sortiert. Und Briefe von ihrer Ziehmutter Conny. Als die ihr eines Tages sagt, dass sie gar nicht ihre richtige Mama ist, bricht Sabrinas Welt zusammen.

Sabrina Kirsten
„Ich hab das überhaupt erstmal nicht verstanden, das war für mich ein Horror. ‚Wie du bist nicht meine Mama, was ist denn passiert?' Dann kam sie mir mit der Geschichte, dass sie damals in den städtischen Kliniken gearbeitet hat, dass eine junge Frau mich dort geboren hat, mich da hat halt liegenlassen, und das damals der Professor zu ihr hin ist, also ihr damaliger Chef, und zu ihr gesagt hat: ‚Hör mal Konni, du hast dir doch immer wieder ein Kind gewünscht, bevor wir jetzt das Jugendamt einschalten, nimm du die Kleine doch.'“

Eine von vielen Ausreden für eine brutale Wahrheit: Sabrina war die Ware in einem Kinderhandel - abgewickelt vor über 24 Jahren im Süden der Türkei. Ihre Ziehmutter erfährt damals von einer türkischen Nachbarin, dass es in der Stadt Mersin ein Baby zu kaufen gibt. Ein unverheiratetes Mädchen hatte ein Kind bekommen – möglicherweise eine große Schande für ihre Familie.

Also reist die Ziehmutter nach Mersin und zahlt einer Hebamme 2500 Mark: für das Kind und eine Geburtsurkunde, die bescheinigt, dass sie in der Türkei „ein lebendiges Kind weiblichen Geschlechts zur Welt gebracht" habe. In Istanbul stellt ihr das deutsche Konsulat dann noch den passenden Kinderausweis aus und die Reise geht zurück nach Duisburg - im Gepäck den etwa zwei Wochen alten Säugling, den sie Sabrina nennt.

Sabrina Kirsten
„Also ich weiß aus den Unterlagen, dass meine leibliche Mutter mich wohl geküsst haben soll, auf die Stirn und dass sie dann gesagt hat, ja so ‚tschüss, ich wünsch dir alles Gute.'"

Sabrina wächst in Duisburg Neudorf auf. Die Mutter Krankenschwester, der Vater Bergarbeiter - eine scheinbar heile Welt. Erst als sich die Mutter von ihrem ersten Mann scheiden lässt, erfahren auch die Behörden von dem Kinderhandel. Doch obwohl die Polizei wegen Kindesentziehung ermittelt, gibt es keine Anklage. Ihre Ziehmutter hatte bei der Vernehmung stets beteuert, Sabrina vor dem sicheren Tod in der Türkei bewahrt zu haben. Und somit war der Handel mit Sabrina nicht strafbar. Wie kann das sein?

Kinderhandel steht in Deutschland eigentlich unter Strafe. Allerdings gibt es Ausnahmen, die in Paragraph 236 Strafgesetzbuch geregelt sind: entscheidend für die Strafbarkeit ist, ob „unter grober Vernachlässigung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht" gehandelt wurde.

Das heißt: Wenn der Käufer das Kind aus einer Notsituation gerettet hat, soll er nicht bestraft werden. Ein Ausnahmetatbestand. Professor Hans-Jörg Albrecht, Direktor am Max-Planck-Institut für internationales Strafrecht, hält das für richtig.

Prof. Hans-Jörg Albrecht
Strafrechtler

„Es muss damit klargestellt werden, dass der gewerbliche, der kommerzielle Verkauf von Kindern grundsätzlich unter Strafe steht, dass aber Situationen vorstellbar sind, die mit dem Kindeswohl in Einklang gebracht werden können. Und wenn die Vermittlung selbst und die Übergabe von Kindern in eine Umwelt, die für eine angemessene Erziehung sorgt und für eine angemessene Entwicklung sorgt, wenn das alles in geordneten Bahnen abläuft, ist dagegen nichts einzuwenden. Ist an sich auch dann nichts einzuwenden, wenn gewisse Vermittlungsgebühren bezahlt werden."

Eine Sonderregel, die Kinder schützen soll – gleichzeitig aber immer öfter missbraucht wird: Viele kinderlose Paare besorgen sich lieber ein Baby im Ausland, als lange auf eine Adoption im Inland zu warten. Mit schwerwiegenden Folgen für die Kinder, wie Rudi Tarneden von Unicef weiß.

Rudi Tarneden
Unicef Deutschland

„Kinder sind keine Ware und kein noch so gut gemeintes Motiv kann rechtfertigen, dass man ein Kind gegen Geld aus seinem angestammten Zusammenhang herauszieht. Mit gravierenden Konsequenzen für das ganze Leben."

Warum ihre Ziehmutter mit einem angeblich gut gemeinten Motiv straffrei davongekommen ist, erklärt sich Sabrina so:

Sabrina Kirsten
„Vielleicht weil auch gerade die Behörden sich auch immer damit retten wollen, Mensch, den Kindern geht's doch bei uns in Deutschland besser. Ich bezweifle das, ich bezweifle das wirklich. Klar, vom Lebensstandard her, von der Bildung, na klar, stimmt schon. Made in Germany steht ja nicht ohne Grund für die Sachen. Aber so vom Gefühlstechnischen her, wo geht's einem denn da am besten, natürlich bei seiner Mama."

Ein Dilemma, das mit den Mitteln des Strafrechts allein wohl nicht zu lösen ist.

Rudi Tarneden
Unicef Deutschland

„Das Problem besteht darin, dass oftmals solche Schwierigkeiten erst im Nachhinein herauskommen. Das heißt ein Kind lebt schon lange in einer Familie und dann entsteht eine vollkommen neue Situation. Was ist dann zum Wohl des Kindes am besten?"

Wer kontrolliert, ob jenes Kindeswohl in der deutschen Familie wirklich gewahrt bleibt? Bei Sabrina entscheiden die Behörden, sie bei der Frau zu lassen, die sie einst gekauft hatte. Ob es ihr da auch gut ging, hat das zuständige Jugendamt aber nicht wirklich überprüft. Auf Anfrage von KONTRASTE teilt die Behörde mit, dass zu besonderen Hausbesuchen kein Anlass bestand, da Sabrina von ihren Zieheltern „gut versorgt" worden sei und ihre Erziehung „unproblematisch" verlief.

Mit Sabrina selbst hat das Jugendamt nie gesprochen. Heute studiert sie BWL und lebt mit ihrem Freund zusammen. Sie hat einfach Glück gehabt.

Welche schlimmen Folgen Kinderhandel aber auch haben kann, hat Sabrina ebenso erlebt: Als sie 12 ist lässt sich ihre Ziehmutter erneut illegal Kinder beschaffen. Offenbar fühlte sie sich in ihrem Handeln bestätigt, war sie beim ersten Mal doch straffrei davon gekommen. Deswegen bekam Sabrina zwei Brüder, die sie nicht kannte.

Sabrina Kirsten
„Dann war eines Nachts der Notarzt da, wegen den beiden Kindern, aber der Notarzt hat dann gesagt, also dass es dem Schwächeren richtig schlecht geht, und dass er denkt, dass er auch nicht überleben wird. Und dann, ich weiß nicht mehr genau, wie lange das gedauert hat, und irgendwann war der andere dann weg. Dann ist mein Vater mit ihm irgendwo hin."

Erst als sich ein Nachbar Jahre später bei der Polizei meldet, weil er Kinderschreie hört, werden die Behörden tätig. Und Sabrina erzählt ihre Geschichte auch der Polizei. Zu einer Anklage wegen Mordes oder fahrlässiger Tötung kommt es aber nicht – mangels Beweisen.

Sabrinas zweiten Bruder gab es bis dahin offiziell überhaupt nicht. Er wurde nie krankenversichert und nie in die Schule geschickt. Das Jugendamt erfuhr nur durch Zufall von dem erneuten Kinderhandel und damit von seiner Existenz. Da war er bereits erheblich entwicklungsgestört. Heute lebt Sabrinas Bruder in einer Pflegefamilie.

Sabrina Kirsten
„Das ist für mich auch traurig, wenn ich höre, dass Menschen damit durchkommen, wir haben's aus humanitären Gründen gemacht. Aus humanitären Gründen, damit kommt man durch. Aber wer weiß denn wirklich, ob aus humanitären Gründen gehandelt wurde. Wer kann das denn nachweisen?"

Ja, das stimmt: Die wahren Motive der Kinderkäufer und -verkäufer wird man kaum nachweisen können. Dennoch sind die Behörden in jedem Fall, bei dem Kinderhandel bekannt wird, gefordert. Sie müssen überprüfen, ob wenigstens in der neuen Familie das Kindeswohl tatsächlich gewährleistet ist.

Beitrag von Lisa Wandt