- Der Staat als Erzieher: CDU-Politiker fordern "Elternführerschein"

Wer Auto fahren will, muss vorher nachweisen, dass er das Fahrzeug bedienen kann und die Verkehrsregeln beherrscht. Wer Kinder in die Welt setzt, muss keine "Qualifikation" nachweisen. Doch immer öfter fühlen Eltern sich überfordert. Jetzt fordern CDU-Politiker einen "Elternführerschein" und drohen bei Widerstand mit Strafzahlungen.

Wer Auto fahren will, muss nachweisen, dass er das kann - mit einem Führerschein. Und wer Kinder in die Welt setzt? Braucht der nicht auch Qualifikationen und muss nachweisen, dass er mit Kindern umgehen kann? CDU-Politiker jedenfalls fordern jetzt: Wir brauchen endlich einen "Elternführerschein". Ja, geht‘s denn noch? Wie soll der aussehen? Und was, wenn man durchfällt? Bei genauerer Betrachtung allerdings muss man zugeben: So ganz an den Haaren herbeigezogen ist die Idee nicht. Lisa Wandt und Axel Svehla.

Unterrichtsbeginn beim Deutschen Kinderschutzbund in Düsseldorf-Lierenfeld. Tillmann Schrörs gibt Erwachsenen Nachhilfe in Sachen Kindererziehung.

Tillmann Schrörs
„Wir wollen heute über die Dinge reden, die wirklich wichtig sind in der Erziehung: Und dazu passt unser Motto des Abends: Anerkennung, Liebe und Vertrauen sind der Nährboden für gutes Aufwachsen.“

Seine Zuhörer: alles gute Eltern – mit ganz ähnlichen Problemen.

Mutti
„Ich hatte mit meiner Tochter auf einmal ziemlich viel Stress, weil sie auch in die Pubertät kam, sie ist erst 11, aber es war schon sehr konfliktreich.“
Mutti
„Ich fand, dass man so mit Kindern plötzlich selber an sich Seiten endeckt, die man gar nicht kannte vorher, weil das halt manchmal so stressig sein kann und man kommt an die Grenzen.“
Vati
„Das ist einfach extrem fordernd und es gibt keine Pausen. Es gibt physisch und seelisch absolute Höchstleistungen von einem abverlangt.“

„Starke Eltern – starke Kinder“ heisst der Kurs, den der Deutsche Kinderschutzbund durchführt. Seit fast 30 Jahren. Was hier auf freiwilliger Basis längst Praxis ist, fordert Kai Wegner nun als Pflicht. Der Generalsekretär der Berliner CDU und Mitglied des Bundestages will für alle Eltern einen sogenannten Elternführerschein.

Kai Wegner (CDU)
Generalsekretär CDU Berlin

„Wenn wir über konkrete Maßnahmen sprechen, dann wünsche ich mir verbindliche Vorbereitungskurse im Vorfeld einer Geburt, wo Experten feststellen: sind die Eltern schon in der Lage, ein Kind zu erziehen?“

Ein Elternführerschein für alle? Jörn Wunderlich, familienpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, hält das für Unsinn.

Jörn Wunderlich (Die Linke)
Familienpolitischer Sprecher

„Nach welchen Kriterien soll denn festgelgegt werden, wann Eltern in der Lage sein sollen, Kinder zu erziehen. Und was passiert mit den Eltern, die den Test möglicherweise nicht bestehen? Dürfen die dann keine Kinder bekommen – oder falls sie Kinder haben, werden ihnen dann die Kinder weggenommen? Gibt es dann ein Sorgerechtsentziehungsverfahren? Das sind so abstruse Geschichten.“

Unterstützt wird diese Position – wenn auch aus anderen Gründen - von Maria Steuer. Sie ist im Vorstand des konservativen „Familiennetzwerks“, Kinderärztin und dreifache Mutter.

Maria Steuer
Vorstand „Familiennetzwerk“

„Was soll der Elternführerschein überhaupt beinhalten? Wie wird das abgearbeitet? Wird gesagt, wenn dein Kind schreit, mach A, B, C, D und wenn D nicht funktioniert, gehe zu Frage 2 oder wie? Ich kann mir das auch nicht vorstellen, wie man richtige Erziehung, richtige Liebe bewerten soll.“

Was unter Familien-Experten so heftig umstritten ist, hat der Psychologe Dietmar Langer längst konzeptionell entwickelt. Ein Angebot der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen - für alle Eltern.

Dietmar Langer
Psychologe, Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen

„Wir haben in unseren Kursen Familien aus allen Schichten, von der Hartz IV Familie bis zum Professor sitzen, wir greifen alle Themen auf, die für Eltern interessant sind, angefangen von der Säuglingzeit, nehmen wir mal an die Schlafprobleme, die da auftauchen, vielleicht die Fütterprobleme, dann geht es weiter mit Trotzphasen, es geht weiter in die Grundschulzeit, Konzentration, Selbstwert spielt auch eine wichtige Rolle bei den Kindern, bis in die Pubertät hinein. Also wir decken im Grunde alle Entwicklungsphasen ab.“

Angebote, die wirklich nötig erscheinen. Denn es gibt kaum noch Großeltern, die ihre Erfahrungen weitergeben können, die traditionelle Familie löst sich langsam auf – und es fehlt an Sicherheit. Immer mehr Eltern fühlen sich zunehmend gestresst und orientierungslos – zum Schaden der Kinder.

Deshalb fordert auch der Erziehungswissenschaftler Professor Klaus Hurrelmann verbindliche Kurse für Eltern aus allen sozialen Schichten:

Professor Klaus Hurrelmann
Erziehungswissenschaftler, Hertie School of Governance

„Wir haben aus den Kinder- und Jugendstudien den Hinweis, dass es ein Fünftel, also 20 Prozent der Kinder und auch der Jugendlichen sind, die richtig Schwierigkeiten haben mit ihrer eigenen Entwicklung, mit ihrer Gesundheit, mit ihrer Bildung. Und da wären wir schon mal bei einer Größenordnung, die schon beängstigend ist. Also eine so große Gruppe von Kindern bekommt nicht die Unterstützung und die Hilfe aus dem Elternhaus, die sie bräuchte.“

Im schlimmsten Fall endet die Überforderung der Eltern in Vernachlässigung und Misshandlung. Doch nicht immer hinterlassen die Verletzungen der Kinder sichtbare Spuren. Wenn das Jugendamt erst dann eingreift, ist es meist zu spät.

Elternführerscheine sollen einer solchen Entwicklung vorbeugen. In der Essener KiTa „Friede“ legen Mütter und Väter schon seit Jahren solche Kurse ab. Ganz freiwillig.
Auch Christine Knecht, deren Tochter Luise diese Kita besucht. Sie hatte massive Probleme mit ihrem Kind. Dann lernte sie, dass Luise klarere Regeln braucht.

Christine Knecht
Kita-Mutter

„Das Verhältnis ist viel entspannter geworden, weil die Luise hat nicht mehr drum gekämpft muss ich mit meiner Mutter jetzt ein Machtspiel spielen, sondern die wusste, es gibt eine Zeit, da bin ich mit ihr ganz allein und kann mit ihr sein und dadurch haben sich einfach diese Sachen wie Schlafen, Essen – also da wo Kinder gerne ausbrechen – die haben sich reguliert.“

Der Elternführerschein ist ein Erfolgsmodell. Davon ist Kita-Leiterin Gaby Matthey, Erzieherin seit über 30 Jahren, überzeugt. Einen staatlich verordneten Zwang aber lehnt sie ab.

Gaby Matthey
Leiterin Kita „Friede“

„Ich würde es begrüßen, wenn allen Familien möglich wäre, an Elternführerscheinen teilzunehmen. Und das wäre viel besser, als Menschen unter Zwang von außen zu beurteilen und zu richten und zu sagen, du hast es nötig, du musst da hin, das ist kein guter Zugang und das führt zu gar nichts.“

Doch an die Vernunft zu appellieren, reicht CDU-Mann Wegner längst nicht mehr. Statt dessen droht er uneinsichtigen Eltern mit finanziellen Sanktionen – etwa Bußgeldern.

Kai Wegner
Generalsekretär CDU Berlin

"Nochmal: für mich gilt zuerst das Gespräch suchen, aufsuchende Jugendarbeit, Jugendämter, die diese Eltern dann besuchen. Wenn aber alles nicht greift, kein Gespräch, keine Bitte, keine Einladung, dann muss der Staat über Sanktionen nachdenken. Und das geht am härtesten und am einfachsten, wenn es den eigenen Geldbeutel betrifft und das sind dann finanzielle Sanktionen.“

Dietmar Langer
Psychologe, Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen

„Von Sanktionierung halte ich gar nichts, weil es nutzt mir ja kein Teilnehmer, der im Kurs sitzt und die Augen verdreht und abschaltet. Und das kann man auch durch eine Bestrafung nicht verändern. Also es muss motiviert werden und Motivation erreiche ich durch Anreize.“

Wie weit darf und soll sich der Staat in die Erziehung unserer Kinder einmischen? Was muss getan werden, um wirkungsvoll Kinder zu schützen, zu fördern und ihre Eltern zu bestärken?

Wir in der Redaktion haben lebhaft über diese Fragen diskutiert. Was ist Ihre Meinung? Ist es sinnvoll, einen Elternführerschein zur Pflicht zu machen? Schreiben Sie uns, wir haben einen Blog eingerichtet unter www.kontraste.de.

 

Beitrag von Lisa Wandt und Axel Svehla