Verprügelt, bedroht, beleidigt - Gewalt gegen Lehrer nimmt zu

Lehrer sind zunehmend massiven Anfeindungen und Übergriffen durch Schüler und Eltern ausgesetzt. Sie werden bedroht, beschimpft und tätlich angegriffen. Schulleiter und Schulämter schauen lieber weg, schließlich geht es um den Ruf der Schule. Exakte Zahlen gibt es kaum, die meisten Bundesländer erheben "vorsichtshalber" keine Daten oder versuchen das Problem unter den Teppich zu kehren.

Anmoderation: Nicht nur im Netz, auch im realen Leben wird der Ton immer rauer, sinken Hemmschwellen, geht Respekt verloren. Um andere mundtot zu machen, wird gepöbelt, beleidigt, nimmt die Gewalt zu. Selbst an Schulen wächst die Aggressivität: Immer wieder werden Lehrer körperlich angegriffen. Aber nur die wenigsten riskieren es, über ihre Gewalterlebnisse zu sprechen. Lisa Wandt und Diana Kulozik haben einen Lehrer gefunden, der sich traut.

Ulrich Clemens, Lehrer

"Er hat mich geboxt, er hat mich vorne aufs Brustbein geboxt und an die Seite noch von dem Schulterbereich, mehrmals angeboxt. Und ich war bedroht, so stark, dass ich selbst rausfinden muss hier gegen seine Schläge."

Der Lehrer Ulrich Clemens wurde verprügelt, vom Vater eines Schülers. Selbst drei Jahre danach fällt es ihm noch schwer, an den Ort zu gehen, wo es passiert ist: eine Grundschule in Berlin Charlottenburg. Wir haben seine Erlebnisse nachgestellt:

Es ist Nachmittag, der Unterricht ist vorbei. Und dann passiert es. Der Vater stürmt rein.

Szene nachgestellt

"Ey du Psycho. Schwein."

Im Beisein seiner Söhne bedroht er den Lehrer, schlägt ihn. Die Schüler gucken einfach zu.

Ulrich Clemens, Lehrer       

"Ich habe auch in ihren Augen entdeckt, das ist ein Gefühl so Art des Triumphes, des abenteuerlichen Zuschauens, jetzt ganz was Besonderes zu erleben, wie ein Vater sozusagen ein Exempel jetzt statuiert an ihrem Klassenlehrer."

Nur mit Mühe kann er sich aus der Situation befreien.

Die Zahl körperlicher und verbaler Angriffe von Schülern oder Eltern auf Schulpersonal ist in den letzten Jahren gestiegen. In Berlin haben sich die Vorfälle seit 2010 sogar verdoppelt.

Der Abgeordnete Joschka Langenbrinck kämpft dafür, dass diese Zahlen an die Öffentlichkeit gelangen. Mit seinen Anfragen an den Berliner Senat bringt er das Thema immer wieder auf die politische Agenda.

Regelmäßig hospitiert er an Brennpunktschulen in seinem Wahlkreis Neukölln, spricht mit betroffenen Lehrern.

Joschka Langenbrinck (SPD), Abgeordnetenhaus Berlin  

"Ich finde es wirklich schlimm und es lässt mich persönlich nicht gut schlafen, dass Lehrer mit Angst, nicht alle Lehrer, aber es gibt die Fälle, dass Lehrer mit Angst in die Schule gehen. Es handelt sich um wirklich harte Beleidigungen: du blöde Fotze hast mir nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter, fick dich ins Knie. Dass es eine Arbeitsverweigerungshaltung gibt, die Lehrer kaum dazu in der Lage sind, die 45 Minuten, die sie im Klassenraum stehen, zu unterrichten."

Belege für diese Entwicklung findet man auch im Internet. Hier brüsten sich Schüler damit, wie sie ihre Lehrer beschimpfen und provozieren.

Szene Klassenzimmer (nachgestellt)

"Du sollst das Maul halten, halt die Fresse."

Das ganze Ausmaß der Gewalt zeigt jetzt erstmals eine bundesweite Forsa-Umfrage unter fast 2.000 Lehrern im Auftrag des Pädagogen-Verbandes VBE. Demnach seien knapp ein Viertel aller Befragten schon einmal beleidigt oder bedroht worden. Das sind hochgerechnet fast 175.000 Lehrer. 6 Prozent berichten von körperlichen Attacken, das sind immerhin 45 000 Lehrer.

Mitinitiator der Studie ist der Bayerische Lehrerverband. Hier haben die Ergebnisse keinen überrascht. Seitdem die Zahlen öffentlich sind, suchen noch mehr Lehrer Unterstützung bei der juristischen Beratung.

Hans-Peter Etter, Bayerischer Lehrerverband, Leiter Rechtsabteilung  

"Bei uns in der Rechtsabteilung kommt in der Woche mindestens 1 Fall massivster Gewalt an. Physischer, psychischer Gewalt. Wir hatten einen Fall eines körperlichen Übergriffs einer Mutter, 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn. Die ganze Klasse war schon da und die Lehrerin wurde von dieser Mutter übelst, übelst zusammengeschlagen."

Beim bayerischen Kultusministerium sieht man deshalb aber keinen gesteigerten Handlungsbedarf. Hier führt man keine Statistik zu Gewalt gegen Lehrer – und stellt die Studie des Lehrerverbandes grundsätzlich infrage.

Ludwig Unger, Kultusministerium Bayern

"Ich nehme gar nichts wahr. Sondern ich stelle nur fest, dass eine Umfrage, die keine vorausgehenden Umfragen hat auf der gleichen Basis, dass das jedenfalls sozialwissenschaftlich keine Vergleichswerte hat und deshalb gefühlt, ob lauwarm oder kalt, ihr gefühlter Wert ist. Ich sag nochmal und das ist das Entscheidende: Jede Form von Gewalt an der Schule, jede Form von Gewalt ist zu unterbinden."

So abwiegelnd wie das bayerische Kultusministerium verhalten sich viele Bundesländer. Wir haben bei allen Ministerien nachgefragt: Statistiken werden kaum geführt. Stattdessen Verharmlosung und pädagogische Allgemeinplätze.

Lehrerverbandspräsident Udo Beckmann spricht gar von einem absichtlichen Nicht-Handeln der Politik.

Udo Beckmann, Präsident Verband Bildung und Erziehung

"Es wäre zum Beispiel ganz wichtig, dass die Lehrkräfte einen Anspruch haben, dass diese Fälle dokumentiert werden und wenn diese Fälle dokumentiert werden, hat man automatisch die Daten die man braucht, aber die Ministerien wollen diese Daten nicht haben denn wenn sie die Daten nicht haben, brauchen sie auch nichts tun."

Auch manche Schulleitungen wollen lieber nicht in ein schlechtes Licht geraten. Deshalb lassen sie Lehrer wie Ulrich Clemens mit ihren Problemen alleine.

Direkt nach der Attacke des Vaters flüchtete er damals ins Zimmer der Schulleiterin, bat sie um Hilfe. Doch sie wimmelt ihn einfach ab, erinnert er sich.

Einige Tage später soll sie zu ihm gesagt haben:

Ulrich Clemens, Lehrer       

"Sie brauchen hier nicht zu arbeiten und wenn's Ihnen hier nicht gefällt und Sie haben kein gutes Verhältnis zu ihren Schülern oder zu der gesamten Klasse, dann können Sie eben auch woanders hingehen. Sie müssen hier nicht arbeiten."

Ulrich Clemens lässt sich schließlich an eine andere Schule versetzen. Rückendeckung von der Schulbehörde bekommt er offenbar nicht.

Ein typisches Verhalten in der Schullandschaft, weiß Bildungspolitiker Langenbrinck.

Joschka Langenbrinck (SPD), Abgeordnetenhaus Berlin

"Die Angst steht im Raum, dass Schulen stigmatisiert werden, wenn bekannt ist, dass sie viele Gewaltvorfälle haben. Es ist in der Politik in der Regel nicht gerne gesehen, wenn es negative Schlagzeilen gibt."

Doch Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin von NRW, hat das Problem offenbar erkannt. Kürzlich hat sie eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat eingebracht, die höhere Strafen bei Beleidigungen, Drohungen und Gewalt gegen Lehrer vorsieht.

Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalen

"Man kann Respekt auch mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen. Und ich sage, das ist leider notwendig, denn die Grundstimmung in unserer Gesellschaft wird in einigen Bereichen immer aggressiver. Das bekommen Lehrerinnen und Lehrer, Polizei, aber auch Ehrenamtliche und auch Rettungskräfte täglich zu spüren."

Eine Gesetzesverschärfung allein aber löst noch lange nicht die pädagogischen und strukturellen Missstände an Schulen: Probleme werden vertuscht, es fehlen klare Regeln und harte Konsequenzen.

Ulrich Clemens musste sich selbst helfen und einen Anwalt nehmen. Ein Zivilgericht hat den Vater schließlich zu einer Geldstrafe verurteilt, auf eine Reaktion der Schulbehörde aber wartet er bis heute.

Abmoderation: Wir hätten übrigens gerne die Position der Schulleitung und der Schulbehörde im Fall von Herrn Clemens gehört, - aber man wollte sich zu den Vorwürfen des Lehrers nicht äußern.

Beitrag von Lisa Wandt und Diana Kulozik