Drei Babys, Quelle: rbb
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Hebammen-Mangel trifft auf Baby-Boom - Krise im Kreißsaal

Während für den Intensiv-Bereich oder die Pflege inzwischen Personalschlüssel vorgegeben werden, gilt das für Hebammen in einem normalen Kreissaal nicht. Bis zu vier Geburten müssen sie gleichzeitig betreuen. Die Folge: Überforderte Hebammen flüchten aus den Krankenhäusern und suchen sich eine andere Tätigkeit. 

Anmoderation: In Deutschland werden soviele Kinder geboren wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Ein Babyboom - der kommt uns in Zeiten schrumpfender Bevölkerungszahlen gerade recht. Sollte man denken. Doch in vielen Geburtskliniken werden Hochschwangere keineswegs mit offenen Armen aufgenommen! Der Grund: Es gibt dort einfach nicht ausreichend Hebammen. Für eine Frau in den Wehen kann dieser verhängnisvolle Umstand lebensgefährlich werden - und für ihr Kind!

Die Geburt ihres Kindes - für viele Eltern der glücklichste Tag im Leben. Doch für diese Mutter war der Tag ein Schock. Als Anne Fromm mit starken Wehen in ein Berliner Krankenhaus kommt, wird sie knallhart abgewiesen.

Anne Fromm, Mutter:
"Da hat uns die Hebamme, die dort im Dienst war, aber schon gesagt, sollte das Kind heute Nacht kommen, müssen Sie nach Potsdam oder nach Bad Saarow zum Entbinden, weil alle Berliner Kreißsäle zurzeit voll sind. Ich war total vor den Kopf gestoßen, also einerseits total empört, weil Bad Saarow sind glaub ich 80 Kilometer, Potsdam weiß ich nicht, 50 Kilometer oder so, ich hatte Angst."

Auch Jana Nausedat wurde am Kreißsaal ihrer Klinik abgewiesen. Obwohl sie dort als Risiko-Schwangere bekannt war und viel zu früh heftige Wehen hatte. Ihr Mann musste sie deshalb quer durch die Stadt in ein anderes Krankenhaus fahren.

Jana Nausedat, Mutter:
"Einfach die Angst jetzt beim zweiten, es war ja wieder zu früh, auch viel später, aber trotzdem die Angst, was, wenn jetzt was schiefgeht und, ich mein, wenn ich da im Auto bin oder zuhause, das geht gar nicht. Also da kann ich auch nicht drüber nachdenken, das ist für mich, es geht nicht."

Frauen unter Wehen wegzuschicken, ist unverantwortlich, findet die Chefärztin der Frauenklinik Köln-Porz.

Dr. Patricia Van de Vondel, Chefärztin Frauenklinik Köln-Porz:
"Es ist eine Frage der Zeit, bis eben Frauen dann Komplikationen entwickeln auf dem Weg von einem Krankenhaus zum anderen, wo sie ihr Kind an der Straße, am Straßenrand bekommen, das darf nicht passieren. Das Kind kann zum Beispiel einen Sauerstoffmangel erleiden unter der Geburt und dann entsprechend behindert geboren werden. Es kann, wenn alles ganz schlimm kommt, halt eben auch sterben."

Und dennoch weisen regelmäßig Kliniken Frauen am Kreißsaal ab. Es gibt schlicht nicht genug Hebammen im Krankenhaus. Und das, wo ohnehin immer mehr Kinder in immer weniger Kliniken geboren werden müssen: denn fast die Hälfte aller Kreißsäle haben in den vergangenen Jahren komplett dicht gemacht.

Das Problem ist inzwischen so groß, dass Eltern auf die Barrikaden gehen. Der Verein "Motherhood" kämpft dafür, dass jede Frau ihr Kind sicher zur Welt bringen kann. Doch dafür fehlen in den Krankenhäusern die Hebammen. Inzwischen begleiten einige von ihnen gar keine Geburten mehr. Aber warum?

Wir treffen eine Hebamme mit über 30 Jahren Berufserfahrung. Sie arbeitet in Süddeutschland und berichtet von massenweise Überstunden, fehlenden Pausen, Kolleginnen am Limit. Oft muss sie mehrere Geburten gleichzeitig betreuen, weil sonst einfach niemand da ist.

Hebamme:
"Es wird manchmal wahnsinnig. Das eine Kind, das gerade geboren ist, das stöhnt noch so ein bisschen, da müsste ich eigentlich dabei bleiben und gucken. Im nächsten Kreißsaal: die Herztonkurve sieht nicht hundert Prozent in Ordnung aus. Da müsste ich gucken, ob man die Frau in eine andere Position bringt, ob es dann vielleicht besser wird. Die dritte Frau sitzt im Wehenzimmer und heult, weil sie seit drei Tagen eingeleitet wird, die bräuchte dringend ein Gespräch. Im vierten Kreißsaal, die blutet. Und ich muss jetzt entscheiden, wer ist jetzt am drannsten."

Selbst wenn man also einen Platz im Kreißsaal ergattert hat, heißt das noch lange nicht, dass es dort genug Hebammen gibt. Das zeigen auch viele Berichte von Frauen, die uns über die Eltern-Initiative Motherhood erreicht haben. Ein Auszug:

Facebook-Botschaft:
"Ich habe bis kurz vor der Geburt nicht eine Hebamme gesehen, weil es nur eine einzige in der Nachschicht für 3 Kreißsäle gab!"

Facebook-Botschaft:
"Die Schmerzen waren schrecklich und leider war außer meinem Mann niemand da. Keiner der Hilfestellung oder Anleitung gab."

Schwangere Frauen im Kreißsaal allein - das liegt auch daran, dass selbst viele Berufsanfängerinnen nicht mehr ins Krankenhaus wollen.

Auf einem der größten Hebammen-Kongresse in Deutschland fragen wir nach. Zu viele Überstunden und zu viele Geburten auf einmal - auch hier das Thema.

Elisabeth Hofmann, Hebamme:
"Klinik reizt mich aus vielen Gründen nicht. Natürlich, ehrlich gesagt, beeindruckt durch meine Ausbildung, durch die Erfahrungen, die ich im Kreißsaal gemacht habe, das es einfach nicht die Geburtshilfe ist, die ich ausüben will."

Sina Becker, Hebamme:
"Ich find es sehr stressig, man verliert einfach den Fokus für die Frau und das Kind, weil man einfach nur noch von der einen Gebärenden zu der nächsten rennt. Und es wird einfach dann so unbefriedigend, weil dafür ist man nicht Hebamme geworden."

Es ist eine neue Generation mit hohen Ansprüchen an ihren Beruf - und an ihr Privatleben.

Das bekommt auch Hannovers größte Entbindungs-Station im Diakovere Krankenhaus zu spüren. Die Hebamme Sabine Hänisch hat viele Bewerbungsgespräche geführt. Die jungen Kolleginnen seien heutzutage weniger bereit, im Schicht-Dienst zu arbeiten.

Sabine Hänisch, Übergeordnete Leitung Kreißsaal Diakovere, Hannover:
"Also ich habe schon des öfteren diesen Begriff der Work-Life-Balance dann in diesem Zusammenhang gehört und natürlich ist ein Schichtdienst nicht gut vertretbar mit privaten Unternehmungen, die man hat."

Wie kann der Krankenhaus-Job auch für junge Hebammen wieder attraktiver werden? Seit Januar verdienen sie bereits mehr Geld. Doch viele von ihnen wünschen sich eher mehr Kolleginnen an ihrer Seite als mehr Gehalt.

Die völlig überlasteten Hebammen werden im Stich gelassen: Wie viele Geburten eine Hebamme gleichzeitig betreuen darf, dazu gibt es keine Vorschriften. Das entscheiden allein die Krankenhäuser. Und die können oder wollen nicht mehr Personal einstellen. Auch die Politik handelt nicht.

Michael Abou-Dakn ist Chefarzt im Berliner Sankt Joseph Krankenhaus, Deutschlands geburtenstärkster Klinik. Hier kommen mehr als 4500 Babys pro Jahr zur Welt. Er fordert von der Politik klare Vorgaben für die Krankenhäuser: für eine gebärende Frau soll es jeweils eine Hebamme geben. Er begründet das medizinisch.

Prof. Michael Abou-Dakn, Chefarzt Frauenklinik, Joseph Krankenhaus, Berlin:
"Es treten weniger Komplikationen auf Seiten des Kindes auf, also weniger Situationen, wo wir als Ärzte eingreifen müssten. Diese Frauen brauchen weniger Schmerzmittel. Es gibt seit den 70er Jahren viele Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass das eine ganz wesentliche Möglichkeit ist, eben Frauen gut zu begleiten und letztlich Risiken zu reduzieren."

Doch gesetzliche Regeln allein reichen Chefarzt Abou-Dakn nicht, er will:

Prof. Michael Abou-Dakn, Chefarzt Frauenklinik, Joseph Krankenhaus, Berlin:
"...dass tatsächlich dann auch gleichzeitig von der Politik vorgelegt wird, wie das ganze finanziert wird. Es kann nicht sein, dass es ne Richtlinie in irgendeiner Form gibt und dann die Krankenhäuser allein gelassen werden, nach dem Motto: Seht mal zu, wie ihr es finanziert."

Solange hier nichts passiert, werden weiter Hebammen die Kliniken verlassen. Ein großes Risiko für Mutter und Kind, das sich vermeiden ließe.

Abmoderation: Natürlich wollten wir von Bundesgesundheitsminister Gröhe wissen, was er davon hält, Personaluntergrenzen für Hebammen in Kliniken festzuschreiben. Doch der Minister hatte keine Zeit für ein Interview. Er ließ uns aber ausrichten, für die Arbeitsbedingungen seien allein die Kliniken zuständig. Verantwortungsvolle Politik, die sieht wohl anders aus.

Beitrag von Lisa Wandt, Diana Kulozik & Philipp Reichert