Pflegerin, Patienten
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- Pflegenotstand: Krankenhäuser gegen Personalschlüssel für Pflegekräfte

Deutschlands Krankenhauslobby wehrt sich gegen die Einführung eines Personalschlüssels für Pflegekräfte. Der Grund: Die Krankenhäuser bauen seit Jahren Pflegepersonal ab und steigern so ihre Gewinne - auf Kosten der Patienten.

Krankenhäuser sind längst nicht mehr NUR dazu da, Menschen gesund zu machen. Sie sind auch Wirtschaftsunternehmen, die Profit abwerfen sollen. Die Fatale Folge: Viele Kliniken sparen ausgerechnet bei den Stellen für Pflegepersonal. So kann es auf Dauer nicht weitergehen! Politik muss hier gegensteuern. Warum zeigen Susanne Katharina Opalka und Ursel Sieber mit einer erschreckenden Geschichte.

Montag morgen, 5:30 Uhr, Herr Pogoda wird aus dem Schlaf gerissen.

Dieter Pogoda
„Hallo Marianne, was ist denn los, beruhige dich doch!"

Seine kranke Frau ruft ihn völlig aufgelöst aus der Klinik an. Seit 2 Stunden wartet sie vergeblich auf eine Nachtschwester:

Dieter Pogoda
„Wie du hast Schmerzen, kann ich mir vorstellen. Ich unternehme was. Ich ruf mal direkt im Krankenhaus an."

Erst Stunden zuvor ist sie von der Intensivstation auf die normale Station verlegt worden. Leider ohne eine funktionierende Klingel. Und leider kann die Telefonzentrale des Krankenhauses niemanden auf der Station erreichen.

Dieter Pogoda
„Dann habe ich den Telefonisten gebeten, einen Arzt anzurufen und bekam die schreckliche Antwort, das geht mich alles gar nichts an. Ich bin hier Telefonist. Alles andere interessiert mich nicht.“

Herrn Pogoda fällt nur noch eine Nummer ein:

Dieter Pogoda
„Polizei, 110. Können Sie da vielleicht helfen? Aber die sagte auch: Was sollen wir da machen. Wir wissen es nicht!"

Wenn selbst dein Freund und Helfer nicht helfen kann, eine Schwester an das Bett seiner Frau zu bringen, dann muss eben die Feuerwehr ins Krankenhaus gerufen werden:112

Dieter Pogoda
„Und siehe da, innerhalb von vier Minuten kam der Rückruf: es kümmert sich jemand!"

Denn: Die Feuerwehr erreichte schließlich die Station.

Alltag in deutschen Kliniken: Eine einzige Nachtschwester ist oft mit über 30 Patienten allein. Auch tagsüber muss sich immer weniger Personal um immer mehr Patienten kümmern. Eine Entwicklung, die vor über 15 Jahren begann, erklärt Michael Isfort, Professor für Pflegeforschung.

Prof. Michael Isfort
Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung

„Dann haben wir von 1995, wo wir noch eine gesetzliche Verordnung hatten, bis zum Jahr 2011 einen ganz erheblichen Rückgang an Pflegekräften. 38.000 Stellen, um genau zu sein. Und wir haben auf der anderen Seite, bei den Patienten, da haben wir 2,1 Mio. mehr Menschen, die zu versorgen sind. Das bedeutet, dieses krasse Missverhältnis wird einfach als Schere immer größer. Und das ist Ausdruck der Versorgungsproblematik, die wir haben."

Wie gefährlich dieser Pflegenotstand sein kann, zeigen internationale Studien und seine eigenen Untersuchungen – etwa, wenn durch zu viel Stress sogar Medikamente vertauscht werden.

Prof. Michael Isfort
Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung

„Wir sehen, dass Medikationsfehler ansteigen, Infektionsraten steigen an, das geht bis hin zu Mortalitätsraten, also schlicht und ergreifend bis hin zum Versterben im Krankenhaus durch zu wenig Pflegekräfte.“

Er verlangt deshalb eine gesetzliche Regelung, die eine Mindestausstattung an Pflegekräften im Krankenhaus wieder vorschreibt. Diese Forderung hat er jüngst bei einer Anhörung vor dem Bundestagsausschuss für Gesundheit vorgetragen. Doch gesetzliche Vorgaben scheitern zu allererst an ihm: Georg Baum. Er vertritt den Lobbyverband der gut 2.000 Krankenhäuser. Und diese Unternehmen wollen sich nicht in die Karten gucken lassen - auch nicht bei der Personalbesetzung.

Georg Baum
Deutsche Krankenhausgesellschaft

„Das ist die Verantwortung der Kliniken. Und die nehmen sie auch wahr. Nur, mit standardisierten bundesweiten Vorgaben, wie viele Pflegekräfte auf einer inneren Station in der Stadt X und Y vorhanden sein müssen, kommen sie nicht weiter.“

Baum wehrt sich gegen jeden Eingriff aus der Politik, der die Geschäftsführer der Kliniken in ihrer Personalhoheit einschränken könnte.

Für diesen Pfleger klingt das wie Hohn. Rafael Jehoul ist seit 25 Jahren im Beruf. Schon so oft hat er seiner Pflegedienstleitung geschrieben. Doch die ist auch hilflos. Für mehr Pflegekräfte sei leider nicht genug Geld da, hört er immer wieder. Erst vor zwei Wochen war sein Dienst ein Alptraum:

Rafael Jehoul
Krankenpfleger

„Es war einfach irre viel zu tun. Und dann komm ich in ein Zimmer und da liegt ein sterbender Mann, der darum bittet, nicht alleine gelassen zu werden, der Angst hatte im Gesicht, pure Angst, weil er wusste, dass er Sterbender ist. Dann haben wir gebeten bei der Pflegedienstleitung, eine Sitzwache für ihn zu organisieren. Und das war einfach nicht möglich. Ich konnte mich nicht genügend um diesen Patienten kümmern. Und das ist menschlich gesehen, ist das einfach eine Katastrophe.“

Der Patient starb am frühen Morgen.

Das ganze Drama spiegelt sich wider in der Anzahl der Patienten pro Pflegekraft: In Deutschland muss eine einzige Pflegekraft im Durchschnitt über zehn Patienten im Krankenhaus versorgen. In der Schweiz dagegen nur halb so viele Patienten, noch weniger in den Niederlanden oder in Norwegen.

Grund ist das Abrechnungssystem der Krankenhäuser in Deutschland. Das Krankenhaus bekommt für jeden Patienten eine Pauschale, die sogenannte
Fallpauschale. Darin enthalten ist ein Anteil für die Pflege. Und der wird Jahr für Jahr neu berechnet - und zwar auf Grundlage des vorhandenen Personals. Und das wurde immer weniger. Eine unheilvolle Abwärtsspirale. Und ob das Geld tatsächlich für Pflegepersonal ausgegeben wird, ist den Kliniken frei gestellt. Es kontrolliert keiner. Auch die Krankenkassen nicht:

Florian Lanz
Spitzenverband Gesetzliche Krankenkassen

„Die Krankenkassen überweisen eine Fallpauschale, in der all die einzelnen Kosten mit einberechnet sind. Ob die Krankenhäuser das aber wirklich zweckmäßig verwenden, ob sie wirklich den Anteilen angemessen dem Geld wiederum ausgeben, das wissen wir nicht. Es kommt sogar vor, dass Krankenhäuser das Geld, was eigentlich für Pflege gezahlt wird, benutzen, um das Dach neu zu decken.“

Eine ganz legale Praxis: Krankenhäuser versuchen aus den Fallpauschalen Geld für Investitionen oder Gewinne für Aktionäre herauszuholen. Und das tun sie, indem sie vor allem am Pflegepersonal sparen. Diesen Weg will der Bremer Gesundheitssenator Schulte-Sasse den Kliniken verbauen. Er hat dieses Abrechnungssystem vor Jahren maßgeblich mit entwickelt. Heute sieht er die Schwächen und die Politik in der Pflicht.

Hermann Schulte-Sasse
Gesundheitssenator Bremen

„Aus meiner Sicht, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, diese, dem Fallpauschalensystem innewohnende Dynamik zu durchbrechen, indem man Sicherungen einbaut. Sicherungen einbaut, indem Personalmindeststandards für die Vorhaltung von Pflegepersonal in deutschen Krankenhäusern definiert werden, die nicht unterschritten werden dürfen. Sollten sie unterschritten werden, dann auch sanktioniert werden durch einen entsprechenden Abschlag auf die Fallpauschale."

Das Bundesgesundheitsministerium schlägt sich dagegen auf die Seite der Krankenhauslobby. Schriftlich teilt man uns mit:
„Die Verhältnisse in den Krankenhäusern sind sehr unterschiedlich ... . Es wäre deshalb nicht sachgerecht, bundeseinheitlich allgemeingültige Anforderungen an die personelle Ausstattung festzulegen.“

An der Charite, der größten deutschen Universitätsklinik hält die Pflegedirektorin Hedwig Francois-Kettner diese Argumentation der Bundesregierung für falsch. Gesetzliche Vorgaben wären leicht machbar und zudem für die Sicherheit der Patienten zwingend notwendig.

Hedwig Francois-Kettner
Pflegedirektorin Charité Berlin

„Ich denke, dass es nicht kompliziert sein muss, einen solchen Nachweis zu führen, wie viel Personal ich benötige, weil die Daten in den Häusern ja vorliegen. Wir haben die Zahlen der Patienten, wir haben die Zahlen des Schweregrads der Pflegebedürftigkeit. Wir können eigentlich relativ simpel ausdrücken, wieviel Personal verfügbar sein müsste.“

Mit seinem Noteinsatz hat Herr Pogoda seiner Frau und dem Krankenhaus einen Dienst erwiesen. Beruhigend findet er das nicht:

Dieter Pogoda
„Als Fazit muss ich sagen, dass es schon ein Risiko ist, ins Krankenhaus zu gehen. Es sei denn, man hat Angehörige, die sich kümmern!"

Und notfalls die Feuerwehr rufen.

Zum Normalfall sollte das aber bitte nicht werden!