- Wege aus dem Pflegenotstand? Behinderte helfen in Altenheimen

500.000 Pflegekräfte fehlen nach neuesten Schätzungen bis zum Jahr 2030. In einem umstrittenen Pilotprojekt wird jetzt nach Lösungen gesucht: Geistig Behinderte sollen mithelfen, alte Menschen zu betreuen. Doch die Initiatoren treffen auf Widerspruch.

Es gibt Zweifel an ihrer Eignung und die Lobbyisten der bislang für geistig Behinderte zuständigen "Geschützten Werkstätten" befürchten finanzielle Einbußen.

Geistig behinderte Menschen als Helfer in Altenheimen? Für die meisten sicher erstmal eine ungewöhnliche, wenn nicht sogar befremdliche Vorstellung! Können geistig Behinderte, die meist selbst Hilfe brauchen, pflegebedürftigen alten Menschen helfen? Mehrere Pflegeeinrichtungen in Deutschland haben das Experiment gewagt – gegen viele Vorbehalte, doch mit erstaunlichen Resultaten! Axel Svehla.


Wenn Thomas Plischkowski in der Berliner Pflegeeinrichtung „Südostallee" an die Zimmertür in der sechsten Etage klopft, freut sich Frau Dr. Altmann.

Thomas Plischkowski
„Ich komm bisschen Zimmer aufräumen bei Ihnen.“
Frau Dr. Altmann
„Machen Sie das.“

Thomas Plischkowski kümmert sich in diesem Heim um die ehemalige Ärztin, die seit einiger Zeit pflegebedürftig ist. Das Besondere: der Etagenhelfer selbst ist geistig behindert und beide – Bewohner und Betreuer – verstehen sich ausgezeichnet.

Thomas Plischkowski
„Danke schön, Frau Dr. Altmann.“
Frau Dr. Altmann
„Ich danke auch.“

„Der Thomas ist ein guter, origineller Typ. Wie so viele hier drin, hab ich auch kein zu Hause mehr. Da bin ich froh, wenn mal jemand da ist, der auch mal ein persönliches Wort mit mir spricht.“

Herr Plischkowski kümmert sich um Frau Altmann und andere Heimbewohner erst seit drei Jahren.

Vorher arbeitete er 15 Jahre in verschiedenen Behindertenwerkstätten. Im Rahmen eines bundesweiten Pilotprojekts wird nun versucht, geistig behinderten Menschen eine Alternative im Pflegebereich zu bieten. Eine einmalige Chance.

Thomas Plischkowski
Etagenhelfer „Südostallee"

„Ich hab mich gelangweilt in der Werkstatt, weil da war Arbeit und die war dann fertig und dann gab's halt nicht mehr soviel Arbeit. Ich wollte ne andere Perspektive haben statt Werkstatt ,weil ich denke es ist so ein Klischee, behinderte Menschen müssen in der Werkstatt bleiben, aber ich wollte sagen: es geht auch anders.“

Geht das wirklich? Auch in der Werkstatt der Lebenshilfe Bremerhaven wird versucht, geistig Behinderten eine neue Perspektive zu eröffnen. Wer lesen und schreiben kann, belastbar ist und ein Gefühl für Menschen hat – der könnte geeignet sein.

Früher war Siegfried Bednors hier beschäftigt, beschützt und abgeschirmt in einer Holzwerkstatt. Er zeigt uns, was er damals gemacht hat: Trittleitern zusammenbauen, mit Holz arbeiten. Das hat er gerne gemacht, aber er wollte mehr: anderen Menschen helfen.

Der 55-jährige arbeitet nun in einem Altenheim, im „Haus im Park". Mit der eigentlichen Pflege wie Wundversorgung oder Medikamentengabe hat er nichts zu tun – geistig Behinderte sollen und können das ausgebildete Pflegepersonal nicht ersetzen. Aber er kann ihnen leichtere Arbeiten abnehmen und – er hat Fähigkeiten, die allen zu Gute kommen.

Siegfried Bednors
Küchenhelfer „ Haus im Park"

„Ich habe Beides, Gefühl für die Menschen, auch Geduld. Ohne Geduld und Gefühl läuft hier ja nichts. Wenn ein Mensch Hilfe braucht, dann hilft man denen eben, so bin ich eben.“

So erlebt es auch die Leiterin des Altenheims. Sie beteiligt sich am Projekt „ Geistig behinderte Menschen in der Pflege" weil sie die Fähigkeiten der behinderten Kollegen schätzt und handfeste Vorteile davon hat.

Christine Doherr
Leiterin „ Haus im Park"

„Menschen mit einer geistigen Behinderung sind sehr klar in der Lage, Emotionen, Gefühle zu erkennen und auf diese Gefühle einzugehen und ebenso gefühlvoll dann auch wieder mit den Menschen mit Demenz in Kontakt zu kommen. Wir nutzen sozusagen die Talente dieser Personengruppe, ganz spezifisch hier für unsere Einrichtung, um Fachkräfte entlasten zu können.“

Doch noch scheuen sich die meisten Heime, geistig behinderte Kollegen als Helfer in der Pflege einzusetzen. Sie fürchten um ihr Ansehen und sehen darin eine zusätzliche Belastung für das ohnehin gestresste Fachpersonal. Der Bundesverband ist skeptisch.

Herbert Mauel
Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste

„Ob jetzt jemand wirklich eigenverantwortlich ist der Lage ist, Betreuung zu übernehmen, das wird man nicht pauschal beantworten können, sondern dafür muss man die einzelne Person tatsächlich einarbeiten und begleiten. Was aber auch klar sein muss – unsere Pflegefachkräfte haben sehr, sehr viel Arbeit und wir können jetzt nicht hingehen und sagen, wir machen jetzt zusätzlich noch ein Betreuungsangebot für Behinderte."

Das klingt zunächst einleuchtend. Aber es verhindert letztlich den Einsatz von geistig Behinderten in der Pflege. Denn ohne Betreuung und Einarbeitung geht es nicht.

Christine Doherr
Leiterin „Haus im Park"

„Ich muss bereit sein, auch Hauptpersonal zur Verfügung zu stellen, die das gut begleitet und auch gut auswertet und dann muss ich auch sagen können, ist das nicht eine Sache nur von zwei, drei Wochen, sondern das kann einen längeren Zeitraum beinhalten – das ist immer ein Stück weit auch abhängig von dem Kollegen mit Behinderung. Aber wenn ich das leisten will, dann habe ich durchaus einen Gewinn für das Unternehmen und die Menschen innerhalb dieses Unternehmens.“

Gibt man geistig Behinderten in den Pflegeheimen eine Beschäftigungsmöglichkeit, profitieren alle: Die Bewohner, denen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Behinderten, weil sie einen Weg aus den Werkstätten finden. Die meisten Heime befürchten allerdings, dass geistig Behinderte zur Linderung des Pflegenotstands missbraucht würden. Eine unbegründete Sorge, meint die Leiterin der Einrichtung „Südostallee".

Astrid Schöpke,
Leiterin Pflegeeinrichtung „Südostallee"

„Diese behinderten Menschen, die wir hier bei uns arbeiten lassen, haben nur einen gewissen Arbeitsbereich, in dem sie arbeiten werden. Sie sind zusätzlich eingestellt und sie werden keine fachlichen Arbeiten übernehmen hier im Hause oder in der Einrichtung und sie werden auch niemandem den Arbeitsplatz nehmen.“

Thomas Plischkowski
„So Frau Dr. Altmann, ich frage jetzt das Essen ab. Es ist die Essenswoche vom 17.12. bis 23.12.“
Frau Dr. Altmann
„Ja.“
Thomas Plischkowski
„Am Sonntag gibt es Kasslerbraten mit Leipziger Allerlei und dazu Kartoffeln und Eisdessert oder Rührei mit Spinat und Kartoffeln?“
Frau Dr. Altmann
„Rührei mit Spinat!“

Thomas Plischkowski hatte also besonderes Glück. Nach Einarbeitung und Probezeit hat das Heim, die FSE, ihn in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Die Zeiten in der Behindertenwerkstatt sind für ihn endgültig Vergangenheit. Zum ersten Mal fühlt er sich von seinen Mitmenschen akzeptiert.

Thomas Plischkowski
„Das hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, dass ich hier in der FSE arbeiten durfte und so, weil es immer heißt behinderte Menschen nur in der Behindertenwerkstatt oder Förderstätten und so. Und so habe ich mir selber bewiesen, dass es auch geht, dass ich von der Behindertenwerkstatt auf den 1. Arbeitsmarkt komme."

„Schauen Sie, der Fahrstuhl kommt, Frau Dr. Altmann.“

So kann die vielbeschworene Inklusion also funktionieren: Menschen mit Behinderungen sind ganz selbstverständlich mit dabei - wenn wir ihnen etwas zutrauen!


Beitrag von Axel Svehla