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Bundeswehrsoldaten im Einsatz | Bild: rbb

- Bundeswehr im Kriegseinsatz - Soldaten beklagen Ausbildungsmängel

Die Kämpfe in Afghanistan werden immer brutaler, die Zahl der Toten und Verletzten steigt. Erstmals beklagen jetzt Soldaten in KONTRASTE, dass die Bundeswehr sie nur ungenügend auf den Kampfeinsatz vorbereitet hat. Geplante Ausbildungsmaßnahmen in der Heimat werden immer häufiger gestrichen.

Immer mehr tote und verletzte deutsche Soldaten - das Risiko in Afghanistan steigt von Tag zu Tag. Längst ist das kein so genannter „Stabilisierungs-Einsatz“ mehr. Ob uns das politisch gefällt oder nicht – wir hängen drin in der Sache und kommen so schnell vorerst nicht raus. Umso wichtiger ist darum eine Frage, die bisher noch nicht offen gestellt wurde: die nach der Ausbildung unserer Soldaten. Sind sie auf diesen Einsatz richtig vorbereitet? Erstmals üben jetzt zwei Soldaten in KONTRASTE deutliche Kritik. Caroline Walter und Ulrich Kraetzer mit Hintergründen.

Diese Aufnahmen zeigen erstmals einen realen Kampfeinsatz von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan. Ihr Auftrag: Einer Einheit helfen, die von Taliban eingeschlossen ist. Plötzlich ein Hinterhalt. Die Taliban schießen von allen Seiten auf die Soldaten. Ein Feind, den man nicht sieht. Hier kann jede falsche Bewegung tödlich enden.

Diesen Soldaten steht der Kampf noch bevor. Anfang März, ein Übungsplatz in Deutschland. Eine Einheit der schnellen Eingreiftruppe trainiert für den Ernstfall. In vier Wochen gehen sie nach Afghanistan, dies ist die Abschlussübung. Spätestens jetzt sollte also jeder Handgriff sitzen. Tut er aber nicht.

Der hintere Soldat kämpft eher mit der Panzerfaust als mit dem Gegner – und braucht viel zu lange. Diese Unsicherheit kann im Einsatz das Leben kosten. Und dennoch: Mit diesem Ausbildungsstand wird die Einheit nach Afghanistan geschickt.

Marc, so nennen wir ihn, war auch in Afghanistan. Er gehörte zu einer Kampfeinheit, die in Kunduz stationiert war. Die Kameraden, mit denen er ins Gefecht ziehen sollte, lernte er erst wenige Wochen vor dem Einsatz kennen. Es gab nur eine einzige gemeinsame Übung.

Soldat Marc (Stimme nachgesprochen)
„Ich hatte definitiv Angst, mit dieser Einheit in den Einsatz zu gehen. In der Übung lief vieles einfach grottenschlecht. Da waren ja Soldaten aus verschiedenen Truppen der Bundeswehr und manche waren wirklich schlecht ausgebildet. Die liefen durcheinander und keiner wusste, was zu tun ist. Am Ende hat der Ausbildungsleiter trotzdem gesagt: Ausbildungsziel erreicht. Obwohl das nicht stimmte.“

In Afghanistan riskierten Marc und seine Kameraden ihr Leben. Auf Patrouillen wie dieser gerieten sie immer wieder in Hinterhalte und wurden beschossen. Das ungute Gefühl von Marcs Abschlussübung bestätigte sich.

Soldat Marc (Stimme nachgesprochen)
„Ich habe erlebt, dass nach den ersten Schüssen bei einem Hinterhalt Kameraden vom Fahrzeug abgesessen sind - ohne Schutzweste und Helm, mit zwei Waffen in der Hand. Ich musste sie erstmal darauf aufmerksam machen, dass man mit einer Waffe besser kämpfen kann und sie einen Helm aufsetzen sollten. Und das hat eben was damit zu tun, ob man das drillmäßig gelernt hat, taktische Maßnahmen durchzuführen.“

Einmalige Aufnahmen von einer Bundeswehreinheit, die sich einem Gefecht nähert - vorsichtig - hinter jeder Ecke kann ein Angreifer lauern. Ein langer Fußmarsch unter erdrückender Hitze. Auf solche Belastungen müsste die Bundeswehr ihre Soldaten vorbereiten. Doch das tut sie wohl nicht. Schon auf dem Weg zum Kampf brechen einige entkräftet zusammen.

Dieser Soldat soll eigentlich eine Gruppe führen, doch auch er wurde offenbar nicht genug trainiert. Statt Befehle zu geben, müssen sich andere um ihn kümmern. Kurz vor dem Gefecht ist das gefährlich, jeder wird gebraucht.

Soldaten, die nicht fit genug sind. Solche Erfahrungen hat auch Marc gemacht.

Soldat Marc (Stimme nachgesprochen)
„Ich habe bei einem längeren Gefecht erlebt, dass Soldaten so was von geschwächt waren, dass die ohne auf das Gefecht zu achten, einfach über die freie Fläche liefen, sich nicht mehr um’s Gefecht gekümmert haben, weil sie körperlich und geistig nicht mehr in der Lage waren.“
KONTRASTE
„Was hat das zur Folge für Sie?“
Soldat Marc (Stimme nachgesprochen)
„Das gefährdet mein Leben, weil sie ihren Bereich nicht mehr absichern und ich keine Deckung mehr habe. Und daran schuld ist die Ausbildung in Deutschland.“

Wir treffen Jan. Ein Soldat, der seit vielen Jahren für die Ausbildung zuständig ist und in mehreren Kampfeinsätzen war. Die Bilder, die wir ihm zeigen, überraschen ihn nicht. Er erzählt uns, dass wichtige Ausbildung nicht ausreichend stattfindet.

Soldat Jan (Stimme nachgesprochen)
„Wir machen viel zu wenig Gefechtsausbildung. Mit zweimal Üben ist das nicht getan. Das scheitert häufig am Geld. Heute muss ein Kommandeur schriftlich begründen, warum er zwei Wochen auf den Übungsplatz fahren will. Da heißt es dann, das kostet viel zu viel. Ich habe erlebt, wie Ausbildungsvorhaben, wo man mit Soldaten mal über mehrere Tage eine hohe Belastung trainieren wollte, einfach gestrichen wurden. Bei vielen Vorfällen mit Toten in den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass die Ausbildung bei weitem nicht ausreicht.“

Es mangelt an vielen Ecken. Der Bundeswehr fehlen Ausbilder und: Sie setzt die falschen Schwerpunkte. Der Praxisbezug fehlt, klagen Soldaten. Hörsaal statt Übungsplatz – die Soldaten lernen viel, was im Einsatz gar nicht wichtig ist.

In der sogenannten „Einsatzvorbereitung“ üben sie alle dasselbe – egal, ob man sie in den Kosovo schickt oder in den Kampfeinsatz nach Afghanistan. Sie machen Personenkontrollen und bauen einen Checkpoint auf. Aber das hilft ihnen wenig, wenn sie kämpfen und durchhalten sollen.

KONTRASTE
„Hat man die Entwicklung in Afghanistan verschlafen?“
Soldat Jan (Stimme nachgesprochen)
„Ja. Die Masse der Ausbildungsinhalte ist in Afghanistan nicht anwendbar. Dort wird, das muss man sagen, hart und schmutzig gekämpft. Und in der Situation stehen immer mehr Soldaten, weil jeder, der den Fuß vor’s Lager setzt, das jetzt können muss. Das haben diejenigen, die hier die Ausbildungsinhalte festlegen, aber noch nicht begriffen. Das ist grob fahrlässig.“

Wenn die Bundeswehr Kampfeinheiten zusammenstellt, kann sie nicht mehr wählerisch sein. Alle vier Monate werden die Truppenkontingente in Afghanistan ausgetauscht. Und die Listen mit neuen Soldaten müssen voll werden. So kann es sein, dass Soldaten schon nach neun Monaten Bundeswehr im Gefecht stehen.
Mängel in der Ausbildung: Im Einsatz kann das tödlich enden.

Wie im vergangenen Jahr: Drei Soldaten sterben bei einem Unfall mit einem Fuchs-Panzer in der Nähe von Kunduz. Die Einheit geriet unter Beschuss, der Fahrer verlor die Kontrolle. Dass er nur wenig Erfahrung mit dem gepanzerten Fahrzeug hatte, war in der Einheit ein offenes Geheimnis.

Schlecht ausgebildete Kraftfahrer – das kennt auch Soldat Marc.

Soldat Marc (Stimme nachgesprochen)
„Ich habe erlebt, dass Fahrer, die im Lager geübt haben, nicht mal banale Dinge wie Rückwärtsfahren konnten. Die hatten eben in Deutschland kaum Fahrstunden. Da hat man sich schon Sorgen gemacht, wie das im Gefecht werden soll, wo alles schnell gehen muss.“

Beschwerden über Ausbildungsdefizite landen auf dem Schreibtisch von Reinhold Robbe, dem Wehrbeauftragten des Bundestages. In seinen Berichten kritisiert er seit Jahren die Mängel. Zum Beispiel: die

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„unzureichende Ausbildung an Schusswaffen.“

Weiter heißt es:

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„Der Fitnesszustand unserer Soldaten ist mitunter besorgniserregend.“

Außerdem werde

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„… das Fahren mit Nachtsichtgeräten oftmals gar nicht ausgebildet.“

Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages
„Ich höre schon seit vielen Jahren davon, dass auch einsatzrelevante Ausbildungsnotwendigkeiten kurzfristig gestrichen werden, dass Lehrgänge, die fest eingeplant werden, von heute auf morgen abgesagt werden, und Soldaten dann ohne diese notwendige Ausbildung in die Einsätze geschickt werden. Das ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Schwere der Gefechte unverantwortlich, wie ich meine.“

Verteidigungsminister zu Guttenberg müsste die Probleme angehen. Gern hätten wir mit ihm gesprochen. Doch er lehnte ab, und auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, wollte uns kein Interview geben. Schriftlich teilt man uns mit:

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„Die Ausbildung ist einsatzorientiert, realitätsnah und am Bedarf der Truppe ausgerichtet.“

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„Eine hinreichende Fitness für die Wahrnehmung von Aufgaben im Einsatz wird … sichergestellt.“

Alles prima und einsatzbereit? Reinhold Robbe kennt diese Reaktion zur genüge.

Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages
„Ich kann belegen, dass Ausbildungsdefizite schön geredet werden, dass ein Bericht zwar an der Basis noch einigermaßen vernünftig und realistisch formuliert wird. Aber je höher in der Hierarchie dieser Bericht dann weitergereicht wird, entsprechende Beschönigungen und Schönfärbereien dann stattfindet. Und das können wir in dieser Einsatzarmee Bundeswehr nicht mehr gebrauchen.“

Die Lage verschärft sich, denn die Bundeswehr soll jetzt eine neue Strategie in Afghanistan umsetzen, das sogenannte Partnering. Das heißt: noch mehr Patrouillen - und gemeinsam mit der afghanischen Armee in Gefechte ziehen. Für die deutschen Soldaten heißt das, noch mehr kämpfen, noch mehr Risiko.

Soldat Jan (Stimme nachgesprochen)
„Wenn wir unsere Ausbildung nicht schnell umstellen auf das, was eigentlich nötig wäre, dann schicken wir auch zukünftig Soldaten hin, die teilweise falsche, unnötige oder zu geringe Ausbildung bekommen haben. Und das bedeutet, dass solche Soldaten ums Leben kommen können.“

Eine Struktur-Kommission untersucht derzeit, wie die Bundeswehr effizienter organisiert werden kann. Hoffentlich nehmen sie die Ausbildung der Soldaten für Kriegseinsätze dabei auch unter die Lupe. Wie ist Ihre Meinung zu dem Einsatz in Afghanistan? Schreiben Sie uns, wir haben einen Blog eingerichtet unter www.kontraste.de, da können Sie uns direkt erreichen.

 

Autoren: Ulrich Kraetzer und Caroline Walter

Autoren: Ulrich Kraetzer und Caroline Walter