Frauen im Diest der Bundeswehr (Quelle: rbb)

- Der Dienst beim Klassenfeind: NVA-Frauen in der Bundeswehr

Frauen, die in der NVA in der DDR dienten, auf ihrem Weg in die Bundeswehr.

Wenn ein Westler einen Ostler ohrfeigt - was ist das? Ein Solidaritätszuschlag! Dieser Witz stammt aus dem Osten Deutschlands. Er ist dem Empfinden entsprungen, daß die Westler die Ostdeutschen lediglich als eine Art Gattung und nicht als Einzelpersonen wahrnehmen. Auch, wenn es der Westdeutsche nicht glauben will: Es gibt ihn nicht "den Ostler".


Helma Birka, 45 Jahre alt, diente 20 Jahre lang als Soldatin in der Nationalen Volksarmee der DDR. Mit 19 Jahren trat sie in Armee und Partei ein und arbeitete sich hoch vom Unterfeldwebel bis zum Oberfähnrich.
Als die Bundeswehr 1990 die NVA übernahm, zog sie unter Tränen die Uniform aus, wurde aber als Zivilangestellte weiterbeschäftigt.
Doch ihr öffnet die Wende keine neue Welt.

Helma Birka
"Für mich war das Leben ja damals normal. Ich kenne ja da kein anderes. Und ich fühlte mich in der DDR nicht eingesperrt eigentlich, so wie viele das behauptet haben. Die Freiheiten, die früher als das Große gepriesen wurden von vielen, die damals schon vor der Wende praktisch die DDR verlassen haben, daß sie jetzt frei wären... Also mit dem Wort ŽFreiheit` im Eigentlichen kann ich nicht so groß was anfangen."

Anders Christa Otto.
Sie erlebte die Wende als völligen Wechsel. Die Verkäuferin war über viele "Qualifizierungen" - wie das damals hieß - zur Personal-Sachbearbeiterin in der NVA aufgestiegen und leistete als Genossin in der Kaderabteilung 30 Jahre lang treue Dienste. Dafür erhielt sie den "Kampforden" in Bronze und eine der begehrten 3-Zimmer-Wohnungen im Potsdamer Plattenbau. Mit 57 Jahren wurde 1990 dann zwar ihr Mann, NVA-Offizier Horst Otto, von der Bundeswehr in den Ruhestand geschickt, Ehefrau Christa aber konnte bleiben.

Christa Otto
"Mit 57 Jahren hätte es ja für mich auch das Aus bedeuten können, aber da mir die Möglichkeit gegeben wurde, habe ich das als neue Herausforderung betrachtet und habe mich der Herausforderung auch mit aller Kraft gestellt. Jeder Mensch muß für sich sagen: Ich möchte, ich will, ich kann. Und ich gehöre zu den optimistischen Typen. Ich würde versuchen, mich irgendwie durchzusetzen. Und wenn ich mich dann irgendwo hinstellen würde und sagen: Also, helft mir, ich geh hier nicht weg."

Da stand sie dann, als die Bundeswehr im Herbst in die Kaserne einrückte, und sah sich erschrocken Menschen gegenüber, die sie bis dahin nur als Klassenfeinde kannte.

Christa Otto
"Am 19.9. kamen die ersten Westkameraden. Als erstes der Hauptfeldwebel Pusch, meldete sich bei mir ganz zackig mit `Hauptfeldwebel Pusch`, ich komme von da und da, ich muß hier in der Personalabteilung das Geschäftszimmer aufbauen. Und sie wurden mir als Ansprechpartner zugewiesen. Naja, ich hab gedacht: Oh Gott, das ist ja so ein Scharfer, was machste jetzt. Aber er ging dann aus dem Zimmer raus, stellte freundlicherweise Kaffee auf den Tisch, weil ich ihm keinen Kaffee servieren konnte. Und damit war erstmal der Bann gebrochen.
Er hat mir dann bei einer Tasse Kaffee gestanden, daß er echt auch Berührungsängste hatte. Als er über die innerdeutsche Grenze gekommen ist, ist das Herz immer schneller geschlagen. Und so haben wir uns bei einer Tasse Kaffee - also, wie gesagt, der Herzschlag, Pulsschlag wurde wieder normal."

Auch Helma Birka, bis dahin Chefsekretärin im Organisationsbereich Mobilmachung des Machtzentrums Strausberg, erwartete die Invasion aus dem Westen voller Mißtrauen. Die ersten "Besatzer", sagt sie heute, waren gar nicht so übel. Aber inzwischen hat sie andere Erfahrungen mit den neuen Kameraden gemacht.

Helma Birka
"Ja, die Menschen aus dem alten Bundesgebiet, finde ich, sind in vielen Fragen sehr oberflächlich. Sie sind zwar sehr freundlich, so auf den ersten Blick, und bekunden auch ein oberflächliches Interesse an ihrem Gegenüber aus dem Osten, aber dabei bleibt es dann auch schon meistens. Es wird nicht vertieft. Es sollen da..., man könnte ja vielleicht auf irgend etwas stoßen, wo der andere Probleme hätte. Und damit will man sich nicht so sehr herumschlagen. Man hat ja, so wie man denkt, selbst eigene Probleme genug."

Probleme hatten und haben natürlich vor allem die Beitritts-Deutschen, besonders, wenn sie ideologisch so eingebunden und persönlich so privilegiert waren wie NVA-Angehörige. Auch sechs Jahre nach der Vereinigung erinnert sich die Soldatin gern an die Vorzüge ihres Jobs, an Rechte, Regeln und Respekt, die sie vor anderen genoß, und ärgert sich darüber, wie wenig ihr heute davon zuteil wird. Kein Einzelfall - und auch nicht einfach abzutun. Denn Bitterkeit verhindert Bewegung.

Helma Birka
"Die Frage, daß man eine Frau ist, daß man aus dem Osten ist, die führt dazu, naja, belehrt zu werden. Ich weiß nicht, ob solche Leute, wenn sie aus der Truppe kommen, im anderen immer den Unterstellten sehen und das nicht ablegen können und, ja, praktisch die Arbeitsleistung des anderen nicht so anerkennen."

Doch der entspannte Umgang miteinander wie der vorsichtige Blick nach vorn sind auch Temperamentssache. Nach sechs Jahren Dienst in der Bundeswehr kann Christa Otto befriedigt feststellen:

Christa Otto
"... daß ich anerkannt werde, von allen, von den einfachen Soldaten bis zum General. Und für mich war das eine ganz große Ehre und Auszeichnung, als der General Widder im vergangenen Jahr im November zu meinem Geburtstag gekommen ist und der Frau Otto persönlich gratuliert hat. Also, es war echt ein Höhepunkt für mich."

Das alte Arbeitszimmer - und ungebrochene Erinnerungen an eine Ordnung, die von Planerfüllung lebte und den Menschen Ungestüm und Eigenwillen nahm.

Helma Birka
"Daß man für ein Vorhaben des Jahres einen Plan hat, das war etwas vollkommen Normales. Dieser Plan war von oben nach unten, der Kleine wußte, was im oberen Teil geschehen mußte und wie er sich danach zu verhalten hat. Diese Arbeitsweise vermisse ich heute etwas. Heute wirkt das alles etwas planlos."

Unverständlichster Tabu-Bruch schließlich: Die Auflösung der allgegenwärtigen Geheimhaltung.

Helma Birka / Christa Otto
"Was die NVA alles geheimhielt, das ist bei der Bundeswehr alles viel zu offen.
Die Türen waren alle offen, die Schreibtische waren offen, das Papier lag offen.
Auf einmal stellte man fest, daß doch Sachen fehlten. Und ich weiß nicht, sowas kann ich nicht gutheißen.
Bei der NVA: Die Türen wurden abends versiegelt. Und das war am Anfang..., das ist einem in Fleisch und Blut übergegangen, daß man abends die Petschaft genommen hat, Spucke drauf und versiegelt hat, ja."

Aber Helma Birka will gar nicht wissen, was hinter den Siegeln und Mauern ist. Ihr kleiner Trotz hält sie am Platz - wie viele andere auf beiden Seiten der unsichtbaren Mauer, die immer noch quer durch Deutschland läuft.

Helma Birka
"Ich muß mal sagen, beziehungsweise zugeben, daß ich aus eigenem privaten Antrieb die Bundesrepublik - alt - auch noch nicht so angeguckt habe, wie das eigentlich der Fall hätte sein können. Bis jetzt habe ich auch nur Orte aufgesucht, in die ich dienstlicherweise kommandiert war."

Christa Otto hingegen genießt die neue Welt - und sie reist den Menschen entgegen. Für sie ist die Heimat weiter geworden. Gegenbesuche aus dem Westen erhält sie allerdings selten.

Christa Otto
"Ich fühle mich auf keinen Fall fremd, weil ich von Anfang an, von 1991 an, die Möglichkeit hatte, in den Westen zu fahren. Ich wurde eingeladen, und da fühle ich mich nicht fremd. Das sind für mich Deutsche, genauso wie ich Deutscher bin."

Helma Birka hat in unserem Beitrag gesagt, mit dem Wort "Freiheit" könne sie wenig anfangen. Was Freiheit bedeutet, das hat sie in dem Interview aber selbst praktiziert: Sie hat frei von der Leber weg geredet. Und Kontraste hat es gesendet. Hätte zu DDR-Zeiten ein Bürgerrechtler zum Beispiel das gleiche tun wollen, er hätte kein Medium dafür gefunden, und hätte er es im Westen getan, die Staatssicherheit hätte ihn gegriffen. Freiheit, liebe Frau Birka, die ist nicht abstrakt, die ist immer konkret.