Funkstille - Warum die Bundeswehr bei NATO-Manövern nur bedingt "gesprächsbereit" ist

Fregatten und Panzer sind nicht einsatzbereit. Soldaten fehlen Nachtsichtgeräte und Zelte. Der Bundeswehr fehlt es an allen Ecken und Enden. Auch moderne Kommunikationsmittel für den gemeinsamen Einsatz mit anderen NATO-Truppen sind rar. Statt Produkte "von der Stange" einzukaufen, setzten die deutschen Militärs auf teure Eigenentwicklungen. Bis die Truppe damit ausgestattet ist, leiht man sich die Technik von NATO-Partnern oder greift auf den altbewährten Krad-Melder zurück.

Anmoderation: Nach wie vor fehlt es der Bundeswehr an Material, viele Waffensysteme sind nur sehr beschränkt einsatzbereit. Das hat das Verteidigungsministerium in seinem jüngsten Bericht erneut einräumen müssen. Bei unseren Recherchen entdeckten wir, dass es darüber hinaus eine große Ausrüstungslücke gibt: und zwar bei der Kommunikationstechnik. Im Einsatz oder bei Übungen sind die Soldaten daher auf peinliche Notlösungen angewiesen, zeigen Christoph Rosenthal und Caroline Walter.

Gestern im Bundestag: Der Stuhl der Verteidigungsministerin bleibt leer. Dabei geht es um die Ausrüstungsmisere der Bundeswehr.

Worüber allerdings keiner redet: die desolate Funkgeräteausstattung der Truppe. Sie ist auf dem Stand der 90er Jahre.

Funkspruch

"Es gibt Probleme mit der Reichweite und Datenübertragung. Bald sind auch keine Ersatzteile mehr zu bekommen."

Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen), MdB, Sicherheitspolitischer Sprecher

 "Wenn man sich die Fähigkeit der Bundeswehr im Moment anschaut, wie man per Funk kommuniziert bzw. nicht kommunizieren kann, dann ist das ein ziemlich fatales Bild. Mich erreichen Berichte von Kommandeuren, die dann teilweise in Einsätzen mit dem Privathandy telefonieren, um eine Verbindung herzustellen."

Brisant: die Bundeswehr ist kaum in der Lage, mit ihren Nato-Verbündeten zu kommunizieren. Das alte Funksystem ist nicht kompatibel mit den anderen Nationen.

Das kritisierte schon 2010 der Wehrbeauftragte in seinem Bericht.

Doch Jahre später herrschte bei großen Nato-Übungen immer noch Funkstille.

Das berichtet ein aktiver Offizier gegenüber Kontraste.

Soldat (Stimme nachgesprochen)

"Wir haben einen deutschen Verband auf Übungen nach Norwegen und Polen geschickt und die konnten mit keinem funken. Da haben die Holländer den Deutschen ein paar Funkgeräte geliehen, damit sie überhaupt etwas machen konnten."

Jetzt soll die Bundeswehr bald die Führung der Nato-Speerspitze übernehmen. Doch bereits bei einer aktuellen Übung kam das Heer an seine Grenzen in Sachen modernes Gefecht. So heißt es in einem Bericht:

"Als größtes Problem erwies sich … allgemein die Führung der Kräfte. Unsere SEM 80/90 (Funkgeräte) konnten auf diese Entfernungen nicht mehr mithalten und (das) Führungsinformationssystem zeigte … kaum Wirkung."

In der Not griff man auf eine Lösung aus den Anfängen der Bundeswehr zurück und führte den "Krad-Melder" wieder ein. Das heißt: ein Soldat mit Motorrad als Nachrichtenkurier.

Während andere Nationen über Funk ihr Gefecht mit Sprache, Grafiken und vielen Daten führen können – muss die Bundeswehr darauf noch lange warten:

2020 sollen nur 50 Fahrzeuge von Tausenden eine neue Funkgeräteausstattung bekommen. Bis die Truppe insgesamt ausgerüstet ist, dauert es aber noch 12 Jahre.

Und: Ob die Neuentwicklung etwas taugt, ist jetzt schon fraglich.

Massive Kritik übt der Bundesrechnungshof in einem vertraulichen Bericht. Das Rüstungsprojekt Funkgeräte habe zahlreiche Mängel und erhebliche technische Risiken.

Es wird sogar "bezweifelt", dass die neue Funkgeräteausstattung

"... in ihrer derzeitigen Form für den militärischen Einsatz geeignet ist."

Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen), MdB, Sicherheitspolitischer Sprecher

"Ich hab immer mehr den Eindruck, dass man das Thema Funkgeräte in der Bundeswehr verschlafen hat. Und jetzt macht man die üblichen Fehler, dass man natürlich ein sehr komplexes System aufsetzt, das am Ende die Gefahr hat, dann zu komplex zu werden, also zu teuer, oder zu spät kommt."

Harald Kujat war Generalinspekteur der Bundeswehr und ist einer der Väter der Nato-Eingreiftruppe. Er ist besorgt um die Bündnisfähigkeit.

Harald Kujat, Ehem. Generalinspekteur der Bundeswehr

"Hier hat die Planung versagt, hier hat auch Politik versagt und das ist ein Zustand, der sofort abgestellt werden muss, weil wir eben schon viele Jahre der Entwicklung hinterherhinken, und weil wir in Zukunft immer mehr in solche Einsätze gehen werden und dann in Situationen geraten könnten, wo es wirklich um die Sicherheit, um das Überleben von Soldaten geht."

Beitrag von Christoph Rosenthal und Caroline Walter