Bundeswehrsoldaten (Quelle: rbb)

- Gefahr für deutsche Soldaten – Bundeswehr in Afghanistan unzureichend ausgestattet

Ob lebenswichtige Störsender, Ersatzteile für Patrouillenfahrzeuge oder Sanitätsmaterial – der Bundeswehr in Afghanistan mangelt es oft an ausreichender Ausstattung. Das belegen Kontraste vorliegende vertrauliche Einsatzberichte der Bundeswehr. Das mächtige Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung soll die Truppe eigentlich schnell mit allem Wichtigen ausrüsten. Aber ein kompliziertes System aus Behörden und Genehmigungsverfahren bewirkt das Gegenteil, wie Alexander Kobylinski und Caroline Walter berichten.

Noch eine Regel, noch eine Vorschrift und noch eine Bestimmung. Die deutsche Bürokratie reicht sogar bis nach Afghanistan. Betroffen sind dort über 3.000 Bundeswehrsoldaten. Mehr als gegen die Taliban kämpfen sie gegen die Mängel an Material und Ausrüstung. Doch warum ist das so? Die Bundeswehr ist schließlich nicht erst seit heute im Auslandseinsatz. Caroline Walter und Alexander Kobylinski sind Dokumente zugespielt worden, die erschreckende Einsichten geben.

Das Bundeswehrcamp bei Kunduz. Nachts ist es nicht beleuchtet, um kein Ziel abzugeben. 36 Raketenangriffe der Taliban gab es allein in den letzten vier Monaten auf das Lager. Die Bedrohung ist Alltag.

Die Soldaten in Afghanistan seien für ihre gefährliche Aufgabe gut und optimal ausgerüstet. Das jedenfalls behauptet VerteidigungsminsterJung immer wieder. Große Worte auch auf der Kommandeurtagung letzte Woche in Berlin:

Franz-Josef Jung (CDU), Bundesverteidigungsminister
„Für unsere Soldaten sind eine moderne Ausrüstung und eine gute Ausbildung die beiden Pfeiler der eigenen Sicherheit im Einsatz. Und hier darf es aus meiner Sicht keine Kompromisse geben.“

Doch die Realität sieht anders aus. Kontraste liegen streng vertrauliche Einsatzberichte aus Afghanistan vor. Darin kritisieren deutsche Generäle massiv: es dauert viel zu lange, bis die Soldaten im Einsatz wichtige Ausrüstung bekommen. Das hat Folgen.

Anschlag auf die Bundeswehr 2007: Ein Selbstmordattentäter löste eine ohrenbetäubende Explosion aus, Splitter flogen wie Geschosse durch die Gegend.

Im Einsatzbericht heißt es dazu:
Zitat:
„Der … Abschlag am 5.10.07 ist ein deutliches Beispiel dafür, dass … zum Thema ballistische Schutzbrille und Gehörschutz unaufschiebbarer Handlungsbedarf besteht.“

Es geht um diese speziell entwickelten Ohrstöpsel, mit großer Wirkung. Sie schützen vor Knalltrauma und dem Verlust des Gehörs bei Anschlägen. Sie sind schon lange Standardausrüstung in vielen anderen Armeen. Ebenso die speziellen Schutzbrillen gegen Splitter.
Doch die deutschen Soldaten warten Jahre auf so eine Ausrüstung, versprochen wurde sie ihnen schon 2004.

Verantwortlich für die Ausrüstung der Bundeswehr ist das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, kurz BWB. Hier arbeiten keine Soldaten, sondern über 10.000 Zivilisten. Wenn die Truppe etwas braucht, wird es hier geprüft und bearbeitet.

Die Bundestagsabgeordnete Elke Hoff besucht regelmäßig die Truppen im Einsatz. Sie ist Mitglied im Verteidigungsausschuss – sie kennt die Probleme mit der langwierigen Beschaffung:

Elke Hoff (FDP), Mitglied Verteidigungsausschuss
„Ja, es liegt einfach daran, dass viel zu viel Zeit darauf verwendet wird, Dinge zu testen, zu prüfen, die eigentlich schon marktfähig sind, die auch auf dem Markt von anderen Armeen benutzt werden. Es geht einfach da drum, dass die Dinge zu lange in der Beschaffung selber sind, dass zu viele Stellen mitzureden haben, gegenzuzeichnen haben. Das sind bürokratische Prozesse, die dem eigentlich gar nicht gerecht werden, wo Not am Mann ist, dass die Soldaten sofort die Dinge brauchen, damit sie sicher ihren Einsatz durchführen können.“

Bürokratie, die Soldaten gefährdet. Bereits seit fünf Jahren fordern die deutschen Truppen in Afghanistan Störsender, so genannte Jammer, wie diese – die andere Armeen für Patrouillen längst haben. Diese Störsender verhindern, dass Attentäter Sprengsätze über Funk fernzünden können.

In dem vertraulichen Einsatzbericht finden wir eine erschreckende Bilanz zu mehreren Vorfällen im Jahr 2006:
Zitat:
„Nahezu alle Anschläge hätten bei Einsatz eines JAMMER verhindert werden können …“

2007 appellieren die Kommandeure aus Afghanistan erneut:
Zitat:
„Die Forderung nach dem Einsatz von Jammern … muss vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung vorangetrieben werden.“

Jahre vergingen ohne Schutz. Denn das Bundesamt für Beschaffung sucht nach dem ultimativen Störsender. Die, die es schon gibt, sind dem Amt nicht gut genug.

Elke Hoff (FDP), Mitglied Verteidigungsausschuss
„Uns wird immer wieder erklärt, dass am Markt immer noch nicht der 100%ige Schutz verfügbar sei. Aber ich bin der festen Überzeugung, selbst wenn der Schutz nur 50% des Gefährdungsspektrums abdecken kann, dass es wichtig ist, die Soldaten 50% zu schützen als 0%, und zu warten, bis die 100%ige Goldrandlösung dann endlich da ist. So lange kann man nicht warten.“

Die Bundeswehr arbeitet in Afghanistan längst am Limit. In vielen Bereichen mangelt es an Einsatzmaterial. Die Soldaten warten vor allem auf wichtige Ersatzteile. Ein Dauerproblem. Denn das Beschaffungssystem
Zitat:
„… hat erheblich zu lange Auslieferungszeiten … aufgrund von Ausschreibungsmodalitäten und einzuhaltenden Fristen …“

Einsätze werden massiv behindert:
Zitat:
„Dadurch verbleiben Fahrzeuge durch das fehlen von Kleinteilen teilweise monatelang bei der Instandsetzung und fehlen für die Durchführung der Aufträge.“

Seit vielen Jahren ist die Bundeswehr schon in Auslandseinsätzen. Doch die Probleme bei der Beschaffung sind immer die gleichen geblieben: zu viele Dienststellen sind beteiligt, zu viele Genehmigungen nötig. Eine Behörde erhält sich selbst.

Andreas Weigel sitzt im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Ihn ärgert, dass die alten Strukturen nicht längst verändert wurden.

Andreas Weigel (SPD), Mitglied Haushaltsausschuss
„Es braucht von außen den entsprechenden Mut, die Strukturen zu verändern, aus sich heraus, wird e nicht der Fall sein. Die strikte Trennung zwischen der zivilen Organisation, die für die Beschaffung zuständig ist und dem Militär, was artikuliert, was wir benötigen, ist nicht mehr nur nicht zeitgemäß, sondern führt letztendlich meines Erachtens dazu, dass wir erheblich höhere finanziellen Aufwendungen haben und natürlich zeitlich massiv im Verzug sind.“

Vor allem Fehlplanungen in der Beschaffung kosten Geld. Das Lieblingsprojekt des Bundesamtes für Beschaffung: der Infanterist der Zukunft. Die High-Tech-Superausrüstung mit tragbarem Computer wurde über viele Jahre entwickelt. Ca. 20.000 Euro kostet sie pro Mann. Doch das teure System entpuppt sich als Flop.
Heftige Kritik in den Einsatzberichten aus Afghanistan:
Zitat:
„Insgesamt ist das System zu schwer, … schränkt die Beweglichkeit zu sehr ein …“

Die Technik sei unzuverlässig. Über die Möglichkeiten des gesamten Systems heißt es, dass sie …
Zitat.
„… über weite Strecken nicht den Einsatzerfordernissen entsprechen oder nicht vorhanden sind.“

Wir konfrontieren das Bundesamt für Beschaffung mit all den Problemen, die die Generäle aus Afghanistan schildern. Angeblich kenne man die Berichte hier. Nur ernst genommen werden sie anscheinend nicht.

KONTRASTE
„Was ist mit der Kritik, die geäußert wird, von Einheiten und Kommandeuren in Afghanistan, die sagen, das dauert viel zu lange?“

Harald Stein, Vizepräsident BWB
„Das mag vielleicht aus Sicht unserer Soldaten im Einsatz so aussehen. Ich gehe davon aus, dass unseren Soldaten nicht die Komplexität des Vorganges in toto bewusst ist.“

Eine Haltung, die man sich nur in der sicheren Amtsstube leisten kann.
Die Bundeswehr im Einsatz – gut und optimal ausgerüstet wäre etwas anderes.
Wir hätten den Verteidigungsminister gern zum Problem mit der Beschaffung gefragt. Für ein Interview stand er nicht zur Verfügung. Aber dafür gibt es ja schöne Reden.

Franz-Josef Jung (CDU), Bundesverteidigungsminister
„Bei allem, was wir tun, müssen wir immer auch an die Konsequenzen für die uns anvertrauten Menschen denken.“

Gemessen an seinen eigenen Worten sollte der Minister dann doch wohl schleunigst etwas unternehmen.