Wie Soldaten der Bundeswehr öffentlich angefeindet und missachtet werden - Bezahlte Mörder?

Soldaten in Uniform sind in Deutschland ständigen Anfeindungen ausgesetzt. Sie werden als bezahlte Mörder beschimpft und angespuckt. Die Kluft zwischen Gesellschaft und Bundeswehr hat sich seit Beginn der Auslandseinsätze und dem Aussetzen der Wehrpflicht weiter vergrößert. Überall dort, wo die Bundeswehr um Nachwuchs wirbt, formiert sich Widerstand.

Anmoderation: Der Bundeswehr gehen die Rekruten aus. Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht ist sie auf Freiwillige angewiesen, doch es mangelt an Bewerbern für den Soldatenberuf. Deshalb geht die Bundeswehr jetzt in die Offensive - mit einer Werbe-Doku-Serie auf Youtube. Die Videoclips sind ein Riesenerfolg im Internet. Doch wenn die Soldaten in der Öffentlichkeit auftreten, erleben sie immer wieder Ablehnung und Anfeindungen. Über die wachsende Kluft zwischen Bundeswehr und Gesellschaft.

Melanie Baum ist seit neun Jahren Soldatin bei der Marine. Sie hat mit ihrer Einheit vor Somalia bereits Transportschiffe vor Piraten geschützt. In diesem Jahr war sie im Einsatz, um Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten. Ein 15 Tage altes Baby auf einem morschen Holzkahn, vergisst sie bis heute nicht. Doch wenn sie in Deutschland an Land geht, zählt all das nichts. Sie wird angefeindet - nur weil sie Soldatin ist.

Melanie Baum
"Ich war mit meiner vorherigen Einheit auf dem Hamburger Hafengeburtstag, wir waren bis 20:00 Uhr verpflichtet oder wir wurden gebeten von der Stadt Hamburg bis 20:00 Uhr eben auch in Uniformen dort aufzutreten. Dann sind wir aus den Uniformen auch raus und da wurde vor uns ausgespuckt und Leute haben uns recht böse angeschaut."

Sie überlegt sich jetzt zweimal, ob sie in Uniform etwa zum Einkaufen rausgeht und sich verächtlichen Sprüchen aussetzt. Am meisten getroffen hat sie ein Erlebnis in ihrer Heimatstadt.

Melanie Baum
"Ich war in meiner ehemaligen Schule hab dort meine ehemalige Klassenlehrerin getroffen. Wir sind ins Gespräch gekommen, sie hat mich gefragt was ich beruflich mache, ich hab ihr dann halt geantwortet: Ich bin Soldat bei der Marine. Und daraufhin hat sie mich dann bezahlter Mörder genannt und mich von Schulgelände verwiesen."

Kontraste
"Wie war das für sie?"

Melanie Baum
"Schrecklich, verletzend und Schlag ins Gesicht, ein verbaler Schlag ins Gesicht."

Ein Schulzentrum bei Hamburg. Hier präsentiert sich die Bundeswehr den Schülern als Arbeitgeber - wie 50 andere Aussteller auch.

Draußen protestieren Friedensaktivisten mit der Parole "Kein Werben fürs Töten und Sterben." Hier prallen Welten aufeinander:

Demonstrant
"Das ist eine Mordinstitution, die man nicht als normalen Arbeitgeber bezeichnen kann."

Soldat
"Ich bin selbst Soldat und ich lasse mich höchst ungern als Mörder bezeichnen und ich bilde auch keine Leute zum Töten aus."

Er organisiert den Protest an vielen Schulen. Detlef Mielkes Kritik ist grundsätzlich.

Detlef Mielke, Deutsche Friedensgesellschaft-VK
"Die Bundeswehr soll keine Aufgaben haben. Wir wollen die Bundeswehr nicht. Die Bundeswehr soll keinen Krieg führen und deswegen wollen wir, das nicht rekrutiert wird."

Zur Abschreckung hat er einen Sarg aufgestellt - "Zum Probeliegen für zukünftige Soldaten." Der Vorwurf: Die Karriereberater verharmlosten den Soldatenberuf.
Doch am Infostand hört sich das anders an:

Karriereberater der Bundeswehr
"Soldat werden bedeutet natürlich auch Teilnahme an Auslandseinsätzen, ja, darüber musst Du Dir bewusst sein. Da können wir uns nicht dagegen wehren, auch wenn wir es nicht wollten. Und das bedeutet natürlich auch erhöhte Gefahr für Leib und Leben, der wir uns aussetzen. Das muss Euch immer bewusst sein."

Die Kritiker regt besonders auf, dass sich schon minderjährige Schüler ab der 9. Klasse bei der Bundeswehr informieren können. Doch als Freiwilligenarmee ist sie jetzt auch auf Schulabgänger angewiesen.

Alexander Scholz, Karrierecenter der Bundeswehr
"Wir stehen im Wettkampf mit anderen Arbeitgebern, müssen natürlich unseren Personalbedarf auch decken und das natürlich zu möglichst zu einem frühen Zeitpunkt, wenn die jungen Leute sich darüber Gedanken machen, wo ihre berufliche Laufbahn mal hingehen soll."

Viele Jugendliche haben sich bereits eine eigene Meinung zur Bundeswehr gebildet.

Schüler
"Man muss natürlich auch sehen, dass die Bundeswehr versucht, sich für Menschen einzusetzen, in Kriegsgebieten was zu tun."

"Ich finde halt generell, dieses ganze Waffenmäßige sollte nicht unterstützt werden."

"Ich habe mich schon viel informiert, auch was für Risiken das hat, und ich nehm die in Kauf."

Der Schulleiterin ist wichtig, auch im Unterricht den verschiedenen Standpunkten Raum zu geben. Auch wenn sie sich selbst als Pazifistin sieht, will sie die Bundeswehr nicht ausschließen.

Angelika Knies, Schulleiterin Anne-Frank-Schule Bargteheide
"Es ist ja ein Teil unserer Gesellschaft und wir haben eine parlamentarische Demokratie, die mit einer Mehrheit eben beschlossen hat, dass die Bundeswehr so aufgestellt ist wie sie jetzt aufgestellt ist. Deshalb behandele ich sie nicht anders als einen anderen Arbeitgeber, der ich sag mal, was weiß ich, Plastikartikel produziert oder elektronische Steuerungen, die dann vielleicht auch in irgendeinen Kampfbomber eingebaut werden."

Ganz anders sieht das die Lehrergewerkschaft GEW. Sie lehnt Auftritte der Bundeswehr an Schulen strikt ab - und ruft bundesweit zu Gegenaktionen auf.

Ilka Hoffmann, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
"Deine Karriere in der Bundeswehr - das finde ich einfach verlogen. Es gibt eine sehr kontroverse Diskussion über das, was die Bundeswehr politisch tut, also ob die Auslandseinsätze sinnvoll sind und insofern kann man einfach diesen Beruf nicht mit allen anderen Berufen vergleichen."

Reinhold Robbe war jahrelang als Wehrbeauftragter des Bundestages Ansprechpartner für die Soldaten. Er findet die Haltung der Gewerkschaft verantwortungslos. Sie sei ein Zeichen für die zunehmende Kluft zwischen Bundeswehr und Gesellschaft.

Reinhold Robbe (SPD), Ehem. Wehrbeauftragter Bundestag
"Wenn man das kritisch sieht, dann bewegen wir uns in einer Art Parallelgesellschaft, zumindest aus der Sicht der Soldaten. Letzten Endes verteidigen sie unsere Verfassung, unser Land, und auf der anderen Seite diese sorglose Zivilgesellschaft die am liebsten mit diesen Dingen nichts zu tun haben will und oftmals auch die Augen verschließt vor der Wirklichkeit."

Bei unseren Recherchen stoßen wir auf zahlreiche Protestinitiativen, die im Dauerkampf gegen die Bundeswehr und ihre Nachwuchswerbung sind: Sei es mit Farbanschlägen oder drastischen Inszenierungen. Viel Kunstblut soll Interessenten abschrecken.

Wir sind an einer Hochschule in Leipzig - auch hier formiert sich Widerstand gegen die Bundeswehr, die am Infotag um Absolventen wirbt.  Wer einen Bundeswehrflyer in den Müll wirft, bekommt einen Muffin. Einige Studenten versuchen die Soldaten zu provozieren.

Student
"Ich bin nicht intolerant, aber gegenüber Militär schon."

Studentin
"Ich an ihrer Stelle würde mich hier nicht wohlfühlen."

Vom Sofa aus konstruieren sie eine Welt, in der man selbst den "Islamischen Staat" gewaltfrei, mit Diplomatie, stoppen kann. Der Feind für sie: die Bundeswehr.

Student
"Ich finde ein normales Verhältnis zur Bundeswehr zu bekommen, das ist für mich überhaupt nicht akzeptabel. Was ist denn ein normales Verhältnis?"

Kontraste
"Indem man die Politik dafür kritisiert, wo sie die Soldaten hinschickt und nicht die Bundeswehr."

Student
"Aber die Bundeswehr hat da ja ein Interesse, da hängen ja Arbeitsstellen dran."

Eigentlich verachten sie Soldaten, aber wenn es passt, argumentieren sie mit dem Schicksal von Verwundeten.

Studentin
"Soldatinnen und Soldaten kommen mit posttraumatischen Belastungsstörungen aus ihren Kriegseinsätzen zurück. Das hast du jetzt bei den anderen mittelständischen Hoch- und Tiefbauunternehmen nicht so sehr."

Alexander Sedlak gehört zu denen, die traumatisiert aus dem Afghanistan-Einsatz zurückkamen. Dort kämpfte er für die Freiheit der Afghanen von den Taliban, entging einem Sprengstoffanschlag und überlebte Feuergefechte. Doch als er nach Deutschland zurückkam, schlug ihm Ablehnung entgegen.

Alexander Sedlak
"Ich bin direkt unmittelbar nach dem Einsatz in Uniform in McDonalds gegangen, stand an der Theke, wollte meine Bestellung abgeben und eine Mutter hat neben mir ihre Tochter weggezogen und hat recht stürmisch das Lokal verlassen. Ja, man fühlt sich in dem Moment auch gewissermaßen minderwertig."

Seit dem Einsatz leidet er unter posttraumatischen Belastungsstörungen und kämpft jeden Tag darum, seinen Weg in den Alltag zu finden. Doch statt Unterstützung zu bekommen, muss er sich oft noch Vorwürfe anhören.

Alexander Sedlak
"Solche Sprüche wie: selber schuld, erst einen auf großen Krieger machen, in den Einsatz gehen und danach rumheulen, wärst du nicht hingegangen, hättest du die Probleme nicht. Wenn man so etwas hört, denkt man sich, also verletzender kann es eigentlich nicht werden. Wenn jetzt zum Beispiel ein Polizist angeschossen wird, dann geht, glaub ich, keiner zu ihm hin und sagt: hättest mal was Anständiges gelernt."

Alexander Sedlak findet trotz allem, dass seine Einsätze einen Sinn hatten. Er will nicht, dass Bundeswehrgegner traumatisierte Soldaten wie ihn für ihre Zwecke benutzen.

Ganz vorne bei der Stimmungsmache gegen die Bundeswehr ist die Partei Die Linke. Die verteidigungspolitische Sprecherin Christine Buchholz sieht die Bundeswehr nicht als Teil der Gesellschaft.

Christine Buchholz (Die Linke), MdB, Verteidigungspolitische Sprecherin
"Ich bin der Meinung, dass der Dienst in der Bundeswehr wie sie jetzt besteht und auf Auslandseinsätze ausgerichtet ist, dass der nicht im Vergleich auch zu anderen Berufen, die gemacht werden, eine besondere Erwähnung und Anerkennung verdient hat."

Für die Linke ist die Bundeswehr eine Kriegsmaschine, für die man keinen Nachwuchs werben muss. Am liebsten solle man sie Abschaffen, samt Nato.

Woher kommt das offensichtlich gestörte Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft? Der Militärsoziologe Klaus Naumann macht auch die Bundesregierung dafür verantwortlich. Zu wenig kläre sie über die Auslandseinsätze auf: über Erfolge wie Misserfolge.

Klaus Naumann, Militärforscher
"Es ist die merkwürdige Situation entstanden, dass der Soldat den schwarzen Peter für eine mangelnde Begründungsfähigkeit der Politik erhalten hat. Es werden Mandate erteilt, aber die werden nicht ausführlich begründet. Es gibt keine Auswertung der Auslandseinsätze, noch nicht mal des jahrelangen Afghanistan-Einsatzes, also ein schonungsloses, realistisches Bild von der Lage und den Zielen."

Ausbaden müssen das Soldaten wie Melanie Baum – die sich eigentlich nur eines wünscht.

Melanie Baum
"Dass irgendjemand mal, wenn wir in Uniform unterwegs sind, dass irgendjemand auf uns zukommt, uns auf die Schulter klopft und sagt, ich bin stolz darauf, was ihr da für uns macht. Das wäre schön. Nur einfach eine Person in zehn Jahren in Deutschland. Das wäre toll."

Beitrag von Caroline Walter & Christoph Rosenthal

Abmoderation: Heute hat der Bundestag übrigens auch für die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Sudan und Südsudan gestimmt. Die Soldaten sollen für den Schutz der Zivilisten sorgen und so letztlich auch dazu beitragen, dass die Menschen dort eine Perspektive haben und nicht nach Europa fliehen. Auch dafür werden Soldaten gebraucht.