Protestplakat gegen den Afgahnistankrieg (Quelle: rbb)

- Mehr Soldaten nach Afghanistan!

Deutsches Militär rein oder raus – die deutsche Bevölkerung in ihrer Mehrheit sagt: raus. Ganz vorn dabei die Friedensbewegung. Doch ein Mitglied der Friedensbewegung schert aus: Der Außenminister Afghanistans Dr. Spanta. Spanta lebte mehr als 20 Jahre in Deutschland und war aktiver Politiker bei den Grünen. Heute sagt er: Lasst Afghanistan nicht wieder allein und fordert ebenso wie die afghanische Frauenministerin mehr deutsche Soldaten als bisher. Steffen Mayer, Caroline Walter und Alexander Kobylinski setzen sich mit den Argumenten der Friedensbewegung auseinander.

Nun bleiben die deutschen Soldaten also erstmal in Afghanistan. So will es jedenfalls die Bundesregierung. Im Oktober muss dann das Parlament entscheiden. Und die Abgeordneten wissen sehr wohl: Die Mehrheit der Deutschen ist für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, am allerliebsten sofort. Unsere Soldaten da unten?! Das führt doch zu nichts, dauert ewig, und bringt Deutschland sogar noch ins Visier von Terroristen. Meinungen aus einem behaglichen und reichen Land, nämlich aus Deutschland. Afghanistan ist davon Lichtjahre entfernt. Und deswegen braucht es unsere Unterstützung, und zwar stärker als bisher. Steffen Mayer.

Berlin, vergangenen Samstag. Demonstration für den Abzug der deutschen Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan.

KONTRASTE
„Warum sind Sie dagegen, dass die Bundeswehr in Afghanistan bleibt?“
Demonstranten
„Weil ich denke, dass sie keinen Frieden bringt.“
„Weil die Bundeswehr in Afghanistan nicht für den Frieden sorgt, sondern Teil des Kriegseinsatzes dort ist.“
„Mit militärischer Gewalt oder mit militärischer Präsenz hat man noch nie ein Land und auch nie ein Volk befriedigen können.“

KONTRASTE
„Warum wollen Sie, dass die Bundeswehr Afghanistan verlässt?“
Demonstranten
„Weil wir endlich Frieden haben wollen, Frieden, Frieden, Frieden.“

Frieden. Aachen, Herbst 2001. Dr. Rangin Spanta setzt sich schon immer für den Frieden ein. Der gebürtige Afghane ist Politiker der Grünen und Dozent für Politologie.

Afghanistan, letzte Woche. Dr. Spanta ist inzwischen der Außenminister Afghanistans. Der Friedensaktivist setzt sich nun für sein Volk ein.

Dr. Rangin Spanta, Außenminister Afghanistan
„Ich begrüße den Geist des Pazifismus in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wissen, dass ich auch diesen Geist immer unterstützt habe, aber was die deutschen Soldaten in Afghanistan machen, in der Tat ist Friedenspolitik. Die sind im Wiederaufbau aktiv, die bauen Schulen, Krankenhäuser, Straßen in Afghanistan und machen das Leben sicher hier.“

Doch die deutschen Demonstranten wissen vorgeblich viel besser als die Afghanen, was in Afghanistan los ist und was für das Land gut ist:

Demonstranten
„Krieg ist nun mal scheiße.“
„Das geht uns alles nichts an, ob es Irak ist oder egal wo, wir haben hier genug zu tun, wir müssen uns um unsere Sachen kümmern.“
„Die Taliban werden also auch ihre Gründe haben, warum sie jetzt gegen die verstärkte westliche Präsenz dort auftreten.“
„Das muss man den Taliban auch beibringen, dass die Frauen auch Rechte haben, gleichberechtigt sind.“

KONTRASTE
„Und wie bringt man das den Taliban bei?“
Demonstranten
Na, da muss man sprechen, sprechen. Was anderes hilft nicht.“

Man will sich wohl nicht mehr daran erinnern, was die Taliban unter Frauenrechten verstehen. Todesstrafe wegen Ehebruchs. Vollzogen im Fußball-Stadion von Kabul.

Über 60 Prozent der Deutschen sind für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Eine stabile Mehrheit, da hängt sich die Politik doch gerne dran. Die Partei „Die Linke“ erhebt sich zu deren parlamentarischem Sprachrohr.

Dietmar Bartsch (Die Linke), MdB, Bundesgeschäftsführer
„Im Moment ist es ja so, dass es ganz wichtig ist, dass eine Partei im deutschen Bundestag deutlich sagt, was die Mehrheit der Bevölkerung sagt, die Soldaten sollen nach Hause kommen.“

Also erklärt jetzt Die Linke:

Dietmar Bartsch (Die Linke), MdB, Bundesgeschäftsführer
„Die Bundeswehr gehört nicht nach Afghanistan, die Soldaten gehören abgezogen, das ist unsere Position.“

Dr. Rangin Spanta, Außenminister Afghanistan
„Mein Appell ist an den Deutschen Bundestag, an die Abgeordneten, von allen Parteien: Bitte lassen Sie die afghanische Bevölkerung nicht allein. Afghanistan braucht die Präsenz, die starke Präsenz der Bundesrepublik Deutschland, in militärischer Hinsicht, in Wiederaufbau und zur Unterstützung und Verstärkung der staatlichen Institutionen. Bitte lassen Sie die afghanische Bevölkerung nicht allein.“

Dietmar Bartsch (Die Linke), MdB, Bundesgeschäftsführer
„Ja, das ist seine Position, die nehme ich zur Kenntnis, wir haben eine andere Position.“

Im deutschen Bundestag wird bald über den Verbleib der Soldaten in Afghanistan entschieden. Keine Partei traut sich, die oft wiederholte Forderung der Militärs in Afghanistan aufzugreifen. Der Ruf nach mehr Soldaten bleibt ungehört.

Die SPD-Linke sträubt sich ganz besonders:

Ernst Dieter Rossmann (SPD), MdB, Sprecher SPD-Linke
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD, dass die deutsche Politik überhaupt, und wir als Linke auch nicht, dafür werben, noch deutlich mehr Soldaten in Afghanistan einzusetzen.“

Die Basis der Grünen hat auf ihrem Sonderparteitag entschieden, dass ihre Abgeordneten gegen den weiteren Bundeswehreinsatz stimmen sollen.

Und bei der Bundesregierung stößt die Forderung der Militärs nach größerem Einsatz und mehr Soldaten nach wie vor auf taube Ohren.

Die afghanische Frauenministerin Hosnbanu Ghazanfar war gerade zu Besuch in Deutschland. Sie betont die Fortschritte in ihrem Land.

Hosnbanu Ghazanfar, Frauenministerin Afghanistan
„Millionen von Schülerinnen gehen zur Schule, Millionen von Studentinnen gehen in die Hochschule, viele Frauen sind in ihre früheren Berufe zurückgekehrt.“

Doch Soldaten müssen auch diese Frauenrechte absichern. Deswegen gibt es eine klare Forderung aus Afghanistan.

Hosnbanu Ghazanfar, Frauenministerin Afghanistan
„Die afghanische Bevölkerung sieht, dass die deutschen Soldaten sehr gute Arbeit leisten. Deswegen wollen die Afghanen, dass noch mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan kommen.“

Afghanistan ist heute ein geteiltes Land. Im Süden und um Kabul herum kämpfen die Taliban erfolgreich, führen einen Guerillakrieg, der in Propagandavideos gefeiert wird. Sie verüben heimtückische Anschläge - Afghanen und internationale Soldaten sterben. Auch im Norden herrscht darum nur relative Sicherheit:

Aber in vielen Gebieten gibt es neue Schulen, offen auch für Mädchen. Frauen dürfen arbeiten. Der Wiederaufbau kommt langsam voran, aber er ist in ständiger Gefahr.

Citha Maaß, Afghanistanexpertin, kommt gerade aus Afghanistan zurück. Sie kennt die Feinde des Friedens im Land:

Citha Maaß, Afghanistanexpertin Stiftung Wissenschaft und Politik
„Der Kriminelle will schnell Geld machen oder Rache an seinem Nachbarn üben, dazu braucht er das Chaos und eben eine nicht funktionierende Polizei. Der Drogenhändler braucht teils Unruhe, teils Stabilität, weil er seinen Geschäften nachgehen will, und sie können damit natürlich auch mit Geld sich Schutz kaufen, also Stichwort Korruption. Die Taliban und Aufständischen wollen ihr islamisches Emirat in Afghanistan errichten. Dazu müssen sie die Internationalen vertreiben und die Regierung Karzai schwächen. Und die lokalen Machthaber wollen vor allem die Macht in ihrer Region ausüben.“

Die Experten sind sich einig: gegen diese Feinde eines friedlichen Afghanistan braucht man mehr Soldaten um mehr Provinzen zu sichern und um das bisher Erreichte zu schützen.

Doch die selbsternannten Afghanistankenner sitzen ja in Berlin-Mitte, in der Kleinen Alexanderstraße.

Dietmar Bartsch (Die Linke), MdB, Bundesgeschäftsführer
„Ich habe, wie gesagt, mit dem Kommandeur von Faisalabad in der letzten Woche gesprochen, er hat mir deutlich gesagt, selbstverständlich traut sich niemand nachts dort raus, dort gibt es keine Straße, dort ist Mittelalter, dort ist es so, dass 30 Kilometer von der Quelle Wasser geholt wird. Das ist die reale Situation und wir reden über Demokratie und die sind im 14. Jahrhundert.“

Und im 14. Jahrhundert sollen sie gefälligst bleiben? Absurde Logik. Der zivile Aufbau Afghanistans, wenn man ihn denn wirklich will, braucht Zeit, Geduld und militärische Absicherung. Demokratie braucht Sicherheit.

Dr. Rangin Spanta, Außenminister Afghanistan
„Ich möchte ganz klar darauf hinweisen, wenn die internationale Gemeinschaft Afghanistan allein lässt, wenn die ausländischen Truppen das Land verlassen, das bedeutet für uns Afghanen, dass angesichts dieser fragilen Situation, die wir in Afghanistan haben, ich denke an Staatsinstitutionen und Sicherheitsorgane in Afghanistan, bedeutet, dass wir innerhalb kurzer Zeit alles verlieren werden.“

Und es geht nicht nur um die afghanische Bevölkerung, sondern auch um uns hier in Deutschland. Ein sich selbst überlassenes Afghanistan kann ganz schnell wieder zum Zentrum für islamistische Terroristen werden.