Collage: Donald Trum und Friedrich Merz vor Flaggen der EU und USA. Quellen: picture alliance/Colourbox
Collage: Trump: CNP/ABACA; Merz: Andreas Gora, beide picture alliance
Bild: Collage: Trump: CNP/ABACA; Merz: Andreas Gora, beide picture alliance

Zeitenwende 2.0 - Trump zwingt die Merz-Regierung zum Handeln

Spätestens seit dem Eklat zwischen Trump und Selenskyj im Weißen Haus ist in weiten Teilen der deutschen Politik angekommen: Die USA sind kein verlässlicher Verbündeter mehr, nicht für die Ukraine, nicht für Deutschland, nicht für Europa. Beim künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz sorgte das für eiliges Umdenken: Noch im November hatte er erklärt, er sei „ganz sicher, dass man mit dieser Regierung in Amerika klarkommen kann“ – nun will er noch mit dem alten Bundestag die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben aushebeln, um Deutschland militärisch unabhängiger von den USA zu machen.
 
Beitrag von Silvio Duwe und Markus Pohl

Deutschland soll jetzt nicht nur die Ukraine weiter stützen, sondern selbst kriegstüchtig werden, um auf einen Angriff Russlands vorbereitet zu sein. Deutschland und Europa stehen vor einer Zeitenwende, die jene von Olaf Scholz bei weitem übertrifft. Doch die Zeitenwende 2.0 könnte im Inland noch an den Grünen scheitern – und in Europa an einer über Jahrzehnte teils zu blauäugigen Verteidigungspolitik. Wird ein Bundeskanzler Merz unter den von Macron angebotenen atomaren Schutzschirm kriechen? Und wie könnte eine neue europäische Sicherheitspolitik gelingen?

Anmoderation: Mit dem Angriff von Putins Russlands auf die Ukraine vor drei Jahren begann die viel zitierte Zeitenwende. Und seit Donald Trump im Weißen Haus regiert können wir uns nicht mehr sicher sein, ob die bisherige Schutzmacht USA wirklich noch unser Verbündeter ist. Europa ist plötzlich auf sich allein gestellt - und jetzt macht der Begriff der "Zeitenwende 2.0" die Runde. Hunderte Milliarden Euro sollen nun in die Verteidigung fließen, darum ging es auch heute im Bundestag - doch wenn Europa sich gegen Trump und Putin wirklich behaupten will, braucht es mehr als nur sehr viel Geld ...

Er hat den Begriff der Zeitenwende geprägt, kurz nach Putins Überfall auf die Ukraine: Olaf Scholz heute auf dem Weg in den Bundestag. Dort der Versuch, das nächste Milliarden-Paket für die Bundeswehr auf den Weg zu bringen.

Dieses Mal ist es der Kanzler in spe – mit einer Reaktion auf die Zeitenwende 2.0. durch Donald Trump:

Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender CDU/CSU-Fraktion

"Wir müssen jetzt etwas tun, um unsere Verteidigungsfähigkeit deutlich zu erhöhen. Und zwar schnell!"

"Whatever it takes" – das Motto von Merz, seit die USA das transatlantische Bündnis ins Wanken gebracht haben.

Noch im Wahlkampf hatte er den Machtwechsel in Washington betont gelassen gesehen.

Friedrich Merz, CDU, Kanzlerkandidat

"Ich glaube, ich verstehe die Amerikaner auch von ihrem Geschäftssinn her, und deshalb fällt mir auch der Zugang zu dem, was Trump denkt und tut, so schwer nicht."

Nun der Schock, dass Trump nicht nur radikal redet, sondern auch so regiert. Trump hofiert autoritäre Staaten, überzieht Verbündete mit Handelskriegen und Drohungen.

Die USA strebten eine neue globale Ordnung an, konstatiert die Sicherheits-Expertin Claudia Major.

Claudia Major, Leiterin Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik

"Sie sehen sich in großen Teilen nicht mehr als Allianz-Macht zusammen mit den Europäern, sondern sie sehen sich als Großmacht. Sie möchten zusammen mit Russland, möglicherweise noch mit anderen, als Großmächte über die globalen Geschicke entscheiden. Und die kleineren Staaten, ob es die Ukraine ist oder Europa, die sind Verhandlungsmasse. Die müssen mit diesen Entscheidungen leben."

Und mit ihrer Unberechenbarkeit. Beispiel Ukraine: In Saudi-Arabien haben die USA der Ukraine diese Woche die Zusage zu einem Waffenstillstand abgerungen. Schönheitsfehler: Putin hat bislang nicht zugestimmt, heute meldete er noch einmal Bedenken und Bedingungen an.

Im Vorfeld hatte Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyi als Diktator geschmäht, ihn öffentlich vorgeführt und zwischenzeitlich die Waffenhilfe entzogen.

Die Folge: Russland verstärkte noch einmal das Bombardement ziviler Ziele in der Ukraine.

Wie zynisch man im Weißen Haus auf den russischen Angriffskrieg blickt, macht eine Szene vom vergangenen Freitag deutlich:

Eine Reporterin fragt Trump, ob er angesichts der Bombardierungen immer noch glaube, dass Putin Frieden wolle.

Donald Trump, Republikaner, US-Präsident

"Ja, ich glaube ihm das. Es läuft sehr gut mit Russland. Aber im Moment bombardieren sie die Ukraine in Grund und Boden. Er trifft sie jetzt härter als je zuvor. Ich denke, jeder an seiner Stelle würde das jetzt wahrscheinlich genauso machen."

Trump gehe es vor allem um eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland, sagt der Politikwissenschaftler Carlo Masala. Dafür übe er maximalen Druck auf die Ukraine aus.

Prof. Carlo Masala, Politikwissenschaftler, Universität der Bundeswehr München

"Es ist nichts anderes als Erpressung. Also die USA legen Selenskyj so die Daumenschrauben an, dass die Knochen kaputt gehen, damit er sich den Amerikanern unterwirft und ihren Bedingungen."

Putin dagegen hat bislang keinerlei Zugeständnisse gemacht. Schon vor den ersten bilateralen Gesprächen erfüllten ihm die Amerikaner aber zentrale Forderungen: keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, de-facto-Anerkennung annektierter Gebiete. In Moskau darf man sich ermuntert fühlen.

Claudia Major, Leiterin Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik

"Die Lehre, die Russland daraus ziehen kann und offenbar zieht, ist, dass es mit Kriegführen seine Ziele erreichen kann, dass es mit militärischer Gewalt, mit nuklearen Drohungen Grenzen verschieben kann und ein anderes Land unterjochen kann. Das heißt, es gibt eine militärische Bedrohung auch für Westeuropa."

Denn immer wieder hat Putin klargemacht: Er will eine neue europäische Sicherheitsordnung, mit Russland als Großmacht.

Längst gibt es die Befürchtung, er könne auch nach dem Baltikum greifen, etwa nach Litauen, wo Deutschland gerade eine Brigade zum Schutz der NATO-Ostflanke aufbaut. Aber würden die USA im Falle eines Angriffs Litauen zuhilfe kommen?

Zweifel daran seien berechtigt, sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler.

Prof. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler

"Ich glaube, das Problem der jetzt amtierenden Regierung Trump ist, dass sie Ungewissheit für ihre Verbündeten zum Prinzip gemacht hat. Ungewissheit als Führungsprinzip einer Allianz, das ist neu und heißt eigentlich, dass die Allianz keine Allianz mehr ist, weil Verlässlichkeit und Vertrauen ihr Lebenselixier ist."

Vertrauen vor allem in die Beistandsgarantie nach Artikel 5: dass ein Angriff auf ein NATO-Mitglied als Angriff auf das gesamte Bündnis verstanden wird.

Doch Trump-Intimus Elon Musk regt mittlerweile sogar den Austritt aus der NATO an:

"Wir sollten das wirklich tun. Es macht keinen Sinn für Amerika, für die Verteidigung Europas zu bezahlen."

Europa scheint nun auf sich gestellt, nicht nur was den Schutz der Ukraine betrifft, sondern die Sicherheit des ganzen Kontinents.

Bislang stellen die Amerikaner zentrale Fähigkeiten für die Verteidigung Europas:

große Transportmaschinen für die Verlegung von Truppen und Waffen etwa - Möglichkeiten zur Luftbetankung von Kampfjets - Kommunikation und Aufklärung - und auch die Luftverteidigung.

Von einer notwendigen "Wiederbewaffnung Europas" spricht nun Ursula von der Leyen. Die EU-Kommissionspräsidentin will dafür gigantische 800 Milliarden Euro mobilisieren.

Der mögliche Bruch mit den USA aber wirft grundsätzliche Fragen auf: Hier in Büchel sind US-Atomwaffen stationiert. Können sich die Europäer noch auf den nuklearen Schutzschirm der USA verlassen?

Frankreichs Präsident Macron hat bereits ins Spiel gebracht, die Verbündeten an der nuklearen Abschreckung seines Landes teilhaben zu lassen. Darüber müsse gesprochen werden, erklärte Friedrich Merz.

Prof. Carlo Masala, Politikwissenschaftler, Universität der Bundeswehr München

"Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Amerikaner bereit sind, für die Befreiung einer Stadt in Lettland, Litauen, Estland, die Vernichtung von New York zu riskieren? Und da kann man erhebliche Zweifel daran haben. Und deshalb braucht man dann eine Alternative. Und die Alternative kann nur europäisch sein."

Europa muss und will sich emanzipieren – und krankt weiter an seiner Zerstrittenheit. Beim jüngsten EU-Gipfel scheiterte eine gemeinsame Resolution zur Unterstützung der Ukraine am Veto Viktor Orbans, Ungarns notorisch Putin-freundlichem Regierungschef.

Sicherheitspolitisch ist die EU kaum handlungsfähig, Beschlüsse können die 27 Mitglieder nur einstimmig fällen. Hinzu kommt: ein militärisches Schwergewicht wie Großbritannien gehört nicht mehr zur EU.

Nun werden Forderungen nach einer großen EU-Reform lauter: weg vom Einstimmigkeitsprinzip, mit der Möglichkeit, Querulanten auszuschließen.

Auch Herfried Münkler plädiert für eine Art Kerneuropa, das in der Sicherheitspolitik vorangeht. Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und auch Nicht-EU-Mitglied Großbritannien sollten ihre Armeen unter ein Kommando stellen.

Prof. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler

"Das heißt das von den fünfen jeder einmal in einem System den Oberkommandierenden stellt, vielleicht für ein Jahr, vielleicht für ein halbes Jahr, je nachdem, und dann geht es wieder von vorne los. So dass also auf dieser Grundlage die fünf relevanten Akteure Souveränität abgeben, um Europa handlungsfähig zu machen."

Ansätze dazu gibt es bereits. Erst gestern trafen sich die Verteidigungsminister der fünf in Paris, um über Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu beraten. Doch institutionelle Reformen dürften dauern.

Schon jetzt aber zeigt sich der Wille, in Konstellationen ohne die USA zu arbeiten. So wie Anfang März in London als Vertreter von EU und NATO mit der Ukraine zusammenkamen.

Claudia Major, Leiterin Forschungsgruppe Sicherheitspolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik

"Wir haben in den letzten Wochen seit der Amtsübernahme von Trump eine Tendenz in Europa gesehen, dass in Koalitionen der Willigen gehandelt wird. Diese Art der intergouvernementalen, also zwischenstaatlichen Zusammenarbeit ist möglicherweise die Lösung, um mit Blockierern wie Ungarn zurechtzukommen. Und es ist möglicherweise auch ein Weg, um größere Energien freizusetzen."

Vieles hängt daran, ob der Bundestag dem Projekt Zeitenwende 2.0 doch noch zustimmt. Scheitert es, wäre das ein herber Dämpfer für Europas Verteidigungspolitik.

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