Rechtsextreme Umtriebe und Wehrmachtstraditionen - Hat die Verteidigungsministerin versagt?

Bundesverteidigungsministerin von der Leyen ist entsetzt über das, was in der Truppe so vor sich geht. Prompt geriert sie sich als Aufklärerin! Doch Kontraste-Recherchen belegen, dass "Wehrmachtstraditionen" in manchen Einheiten seit Jahren geduldet oder ignoriert werden - auch von der Ministerin. Die rechten Umtriebe werden bis heute nicht konsequent verfolgt.

Anmoderation: Unter Druck geraten durch den Fall Franko A., will Verteidungsministerin von der Leyen nun mit rechten Tendenzen und dem Wehrmachtskult in der Truppe aufräumen. Aber das wurde nach jedem Skandal in der Bundeswehr versprochen. Unsere Kontraste-Recherchen zeigen, wie viel Wehrmacht immer noch in der Bundeswehr steckt. Es wird weiter vertuscht, verharmlost und vieles geduldet, was längst an Tradition verschwunden sein müsste. Noch einmal Caroline Walter und Christoph Rosenthal ...

Verteidigungsministerin von der Leyen gibt sich derzeit als große Aufklärerin in Sachen rechter Umtriebe. Medienwirksam lässt sie Kasernen durchsuchen und fordert Haltung von der Truppe. Aber hat die Führung nicht auch versagt?

Wir treffen einen Offizier der Bundeswehr. Mit uns reden darf er offiziell nicht. Er regt sich auf, dass jahrelang unter der Ministerin, und schon davor, eine Kultur des Wegschauens praktiziert wurde – vor allem bei rechtsextremen Vorfällen.

Offizier

"Die ganze Betroffenheit jetzt ist Heuchelei. Ich habe selbst erlebt, dass solche Vorfälle nicht weiter gemeldet wurden, sie bewusst übersehen wurden oder von der nächsthöheren Ebene abgeblockt worden sind und dass Rechtsberater gesagt haben, ach der Fall sei nicht so schlimm ..."

In der offiziellen Liste vom Verteidigungsministerium sind nur 63 rechtsextreme Vorfälle im Jahr 2016 aufgeführt.

Wir fragen den Offizier, ob das die Realität in der Truppe wiederspiegelt.

Offizier

"Ich weiß von einem ganz konkreten Fall, der auf dieser Liste definitiv nicht auftaucht. Dabei ist er den Vorgesetzten gemeldet worden. Es geht um einen Soldaten, der sich extremistisch in der Kaserne geäußert hat. Das war braunes Gedankengut."

Wurde hier vertuscht? Es handelt sich um einen Vorfall in einer Panzerdivision. Ein Soldat hetzte vor Kameraden über Flüchtlinge und wünschte ihnen den Tod im Mittelmeer. Er schwadronierte über die Regierenden, die man alle aufknüpfen müsste, wenn andere an die Macht kämen. Obwohl der Fall gemeldet wurde, ist seit einem Jahr offenbar nichts passiert.

Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke fragt seit Jahren beim Verteidigungsministerium die rechtsextremen Vorkommnisse ab. Die Zahlen kommen auch ihr auffällig niedrig vor.

Ulla Jelpke (Die Linke), Bundestagsabgeordnete

"Dass einzelne Fälle da nicht auftauchen, wundert mich überhaupt nicht, weil ich bin ziemlich fest davon überzeugt, dass in jeder Kaserne die Verantwortlichen froh sind, wenn es keine Meldung gibt. Das ist einfach so, brauchen wir nicht melden, muss man nichts sagen, können wirs herunterspielen. Ich finde das ist ein Skandal, dass so etwas stattfindet."

Bei den Fällen, die bearbeitet werden, zeigt sich: die Verfahren dauern viel zu lange, oft gibt es nur milde Disziplinarbußen.

Beispiel: Ein Soldat outet sich als Reichsbürger – die Meldung erfolgte schon Anfang 2016 – aber das Verfahren ist noch offen, er hat weiterhin Zugang zu Waffen.

Oder: Ein Soldat und Ausbilder ist aktiv in einer einschlägigen rechtsextremen Band, fast ein Jahr nach Bekanntwerden ist er noch nicht entlassen.

Ulla Jelpke (Die Linke), Bundestagsabgeordnete

"Das wäre auch eine wichtige Konsequenz, Nazis oder Wehrmachtsverherrlicher haben in der Bundeswehr nichts zu suchen."

Doch vieles an Wehrmachtsgeist in der Truppe ist längst nicht aufgeklärt.

Wir stoßen auf eine Facebook-Seite – namens "Fallschirmjäger – Grüne Teufel!" Unverhohlen wird eine Traditionslinie der Fallschirmjäger von 1935 bis heute gezogen. Die "grünen Teufel" der Wehrmacht – sie waren berüchtigt und an Kriegsverbrechen beteiligt.

Die Facebookgruppe identifiziert sich mit den 10 Geboten der Wehrmachtsfallschirmjäger – wie "Du bist ein Auserwählter der deutschen Armee" und "… gegen Partisanen gewähre kein Pardon".

So manches Gruppenmitglied zeigt auch offen seine Gesinnung.

Wir finden in diesem Kreis mehrere aktive Bundeswehrsoldaten, die derzeit bei den Fallschirmjägern dienen. Wehrmachtsparolen sind bei ihnen offenbar gang und gäbe wie "Treue um Treue", der Spruch ist in der Bundeswehr verboten. Aber die Ministerin wird dafür verspottet: "Uschi komm und verbiete es mir."

Für Militärhistoriker Detlef Bald zeigt sich am Beispiel der Fallschirmjäger, wie tief die Wehrmachtsverherrlichung in der Truppe verankert ist.

Detlef Bald, Militärhistoriker

"Wenn in der Bundeswehr die Einheiten, die sich als Eliteverbände verstehen, ihren Bezug zur Wehrmacht herstellen wollen, dann geht es nicht um ein paar Devotionalien der Wehrmacht, sondern dann ist der Geist der Bundeswehr betroffen. Hier ist ein Versagen der oberen und obersten Führung, der Vorgesetzten, zu erkennen."

Wie auch beim Luftwaffengeschwader 74 im bayerischen Neuburg.

Auch was in dieser Einheit vor sich geht, hat die Verteidigungsministerin zu verantworten. Es geht um den Fall Mölders. Das Geschwader war lange nach dem Wehrmachtsflieger Werner Mölders benannt. Kontraste deckte 2004 auf, wie tief dieser ins NS-Regime verstrickt war.

Er pflegte ein enges Verhältnis zu Hermann Göring und bekam von Hitler den höchsten Orden verliehen.

Mölders ging freiwillig zur Legion Condor, die in Spanien eine Spur der Verwüstung hinterließ. Als Teil der Luftwaffenführung war er an der Planung der verbrecherischen Angriffskriege beteiligt.

Mölders schoss den deutschen Bombern den Weg frei, die französische Städte 1940 in Brand setzten - mit vielen zivilen Opfern. Er schrieb über seinen Einsatz:

"Es ist für uns Deutsche ein herrliches Gefühl in diesem Krieg mitzukämpfen … Dünkirchen brennt, wie ich noch nie eine Stadt habe brennen sehen."

2005 entschied das Verteidigungsministerium die Umbenennung des Geschwaders. Mölders sollte in der Bundeswehr nicht mehr geehrt werden.

Doch bis heute geht die Traditionspflege vor Ort weiter. Es gibt eine Geschwaderzeitschrift namens "Mölderianer", an der aktive Soldaten mitwirken. Sie wird herausgegeben von der "Mölders-Vereinigung". Dieser Verein darf sogar Räume in der Kaserne nutzen. In der Zeitschrift werden immer noch die "Tugenden" von Mölders beschworen, er sei "ein Vorbild in soldatischer und menschlicher Hinsicht".

Detlef Bald, Militärhistoriker

"Das Bild von Mölders, was von der Mölders-Vereinigung hergestellt wird, ist ein entpolitisiertes und enthistorisiertes, wo die Wehrmacht nichts mit dem NS-Regime zu tun hat, wo der Vernichtungskrieg ausgeblendet ist. Mölders von all dem trennen ist tatsächlich eine schlimme Geschichtsklitterung."

Auch der Mölders-Gedenkstein steht immer noch auf der Luftwaffenbasis – hier hält die Mölders-Vereinigung ihre Feiern ab.

Kontraste hat die Verteidigungsministerin bereits Ende 2015 mit diesem "Mölders-Kult" im Geschwader konfrontiert. Doch Ursula von der Leyen sah keinen Handlungsbedarf, behauptete damals sogar es würde dort "keine Mölders-Tradition gepflegt".

Detlef Bald, Militärhistoriker

"Die Bedeutung des Namens Mölders und die vor Ort gepflegte Traditionspraxis ist deswegen so ungeheuerlich und skandalträchtig, weil bis zur obersten Führung, also bis zum Inspekteur und bis zur politischen Leitung, also bis zur Frau Ministerin, diese Dinge bekannt sind. In diesem Fall könnte man die angesprochene Haltung, die die Ministerin ja selbst als Begriff so vorstellt, auch von ihr fordern."

Nicht der einzige Traditionsfall, bei dem die Verteidigungsministerin bis heute nicht handelt. Die Lent-Kaserne in Rotenburg Wümme. Auch Helmut Lent, eine Wehrmachtsikone. Er gab noch 1944 Durchhalteparolen für den Endsieg aus.

Die Soldaten vor Ort haben aktuell entschieden, sie wollen den Namen Lent behalten – dieser Soldat hat keine Bedenken.

Kontraste

"Das ist ja ein Wehrmachtsheld, der verstrickt war ins NS-Regime, der noch Durchhalteparolen ausgegeben hat, mit dem Endsieg.

Soldat

"Es geht ja nicht darum was der für eine politische Einstellung hatte, sondern eher das er halt ein richtiger Soldat war. Er war patriotisch, er hat seinem Land richtig gedient, klar wars vielleicht die falsche politische Richtung. Er hat seine Befehle ausgeführt. [...] Er war halt ein Kriegsheld, auch halt auf der falschen Seite."

Ein Geschichtsbild – das gefährlich ist und zeigt, was falsche Traditionspflege jungen Soldaten vermittelt.

Statt den Namen Lent endlich entfernen zu lassen, zögert Ministerin von der Leyen - bis heute.

Abmoderation: Wir haben erneut beim Verteidigungsministerium nachgefragt und wollten wissen, wie die Ministerin die Fälle Lent und Mölders heute beurteilt. Die Antworten sind erstaunlich - in Sachen Lent sei die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen und man sieht keinerlei Veranlassung, den Kult um Mölders zu unterbinden. Soviel zum Thema: Durchgreifen, aufklären, reformieren ...    

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal