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- Risiko für Soldaten - Bundeswehr setzt auf umstrittenes Malaria Medikament

Halluzinationen, Depressionen, Panikattacken und Psychosen: die Liste der möglichen Nebenwirkungen des Anti-Malaria-Medikaments Lariam ist lang. Trotzdem wird Lariam zur Malaria-Prophylaxe bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr genutzt. Für die Soldaten und Offiziere im Kampfeinsatz kann das dramatische Folgen haben. In der US Army wird die Einnahme von Lariam mit Selbstmorden und Amokläufen in Verbindung gebracht.

Malaria-Prophylaxe, das ist bei vielen Fernreisen ein unbedingtes Muss. Vielleicht haben Sie selbst auch schon mal ganz unbekümmert DAS Medikament geschluckt, das in diesen Fällen häufig verschrieben wird: Lariam. Doch wussten Sie, dass Lariam möglicherweise auch erhebliche Nebenwirkungen auf die Psyche haben kann? Trotzdem wird das umstrittene Medikament sogar Soldaten verschrieben, die man in Kriegseinsätze schickt. Welche Folgen das haben kann, zeigen Caroline Walter und Bertram von Boxberg.

Tony Moore war lange Soldat in der irischen Armee. Er war an vielen Orten der Welt eingesetzt. Doch nach einer Liberia-Mission kam er völlig verändert zurück - er war nicht mehr derselbe.

Tony Moore
„Ich bekam Depressionen aus heiterem Himmel, ich saß zu Hause und fing ohne Grund zum Heulen an. Ich habe Schatten neben mir gesehen, und bin herum gesprungen, weil ich dachte, ich werde beobachtet und verfolgt in meinem eigenen Wohnzimmer."

Tony hatte auch unglaubliche Schmerzen im ganzen Körper, er konnte nicht mehr schlafen und wurde manchmal extrem aggressiv. Sogar Selbstmordgedanken kamen bei ihm hoch, erzählt er.

Die Symptome traten nach der Einnahme dieses Medikaments auf - Lariam. Es wird irischen Soldaten zur Malaria-Prophylaxe gegeben. Doch das Mittel ist höchst umstritten - weil Lariam das zentrale Nervensystem beeinträchtigen kann.

Tony ist nicht der einzige irische Soldate, der meint, dass seine Gesundheit durch Lariam zerstört wurde. Er hat sich mit anderen Betroffenen zusammengeschlossen.

Tony Moore
„Wir wollen zeigen, dass das Medikament Lariam ein ernsthaftes Problem darstellt, nicht nur in Irland, sondern weltweit. Es ist nicht im Bewusstsein, dieses Mittel ist nicht sicher, es sollte nicht auf dem Markt sein."

Die Liste der Nebenwirkungen von Lariam zur Malaria-Prophylaxe ist lang - vor allem wirkt es auf die Psyche: es kann unter anderem Aggression, Angst, Depression, Panikattacken und Halluzinationen verursachen.

Wir recherchieren, wie es in der Bundeswehr aussieht, ob das umstrittene Lariam auch bei deutschen Soldaten verwendet wird und werden fündig.

Wir verabreden uns mit dem Bundeswehrsoldaten Jan. Er war in Afghanistan und will unerkannt bleiben. Im Einsatz hat er Lariam bekommen, es wurde ihm vom Sanitätspersonal der Bundeswehr als Malaria-Prophylaxe empfohlen.

Jan
Bundeswehrsoldat

„Man musste sich im medizinischen Zentrum melden und dann lief das so ab: Man hat Lariamtabletten in die Hand gedrückt bekommen und das einzige, was gesagt wurde war, dass man sich ein, zwei Tage sehr elend fühlt und sozusagen die Symptome eines grippalen Infektes auftreten würden."
KONTRASTE
„Wurden Sie über schwere neuropschyische Nebenwirkungen aufgeklärt wie Angstzustände, Depressionen und Psychosen, die unter diesen Medikament auftreten können?“
Jan
Bundeswehrsoldat

„Von diesen Nebenwirkungen wurde seitens des medizinischen Personals nie gesprochen."

Nach KONTRASTE-Recherchen ist er nicht der Einzige, der von der Bundeswehr nicht über die gefährlichen Nebenwirkungen von Lariam aufgeklärt wurde.

Wir sind beim Arznei-Telegramm, einer renommierten Institution in Sachen Arzneimittelbewertung. Wolfgang Becker-Brüser hat schon vor zehn Jahren auf das Risiko von Lariam aufmerksam gemacht.

Wolfgang Becker-Brüser
Herausgeber „arznei-telegramm"

„Ich denke, es ist unverantwortlich, wenn Soldaten ein solches Arzneimittel in die Hand bekommen, ohne zu wissen, welche gravierenden Nebenwirkungen es haben kann. Das muss auch nicht nur der Soldat selbst wissen, es müssen die anderen Soldaten auch wissen, wenn etwas passiert, wenn jemand ungewöhnlich reagiert, dass es das Arzneimittel sein kann."

Konkrete Hinweise, was Lariam bei Soldaten auslösen kann, gibt es viele. In Somalia folterten kanadische Soldaten auf brutalste Art einen Teenager, sie hatten Lariam bekommen - danach entbrannte in Kanada eine heftige Diskussion um das Mittel. In der US-Armee kam es gehäuft zu Selbstmorden, die mit Lariam in Verbindung gebracht wurden.

Jetzt sogar der Amoklauf von US-Soldat Robert Bales. Er hat vor wenigen Wochen 17 Zivilisten in Afghanistan im Blutrausch ermordet. Der Verdacht, dass er unter Lariam stand, ist bisher nicht entkräftet worden.

Dr. Elspeth Ritchie war 20 Jahre lang Psychiaterin in der US-Armee. Ihre Bedenken in Sachen Lariam wurde über die Jahre immer größer.

Dr. Elspeth Ritchie
"Es weiter zu verwenden, wenn wir nicht wissen, ob es mit Selbstmorden und Amokläufen in Zusammenhang steht, ist problematisch. Auch all die Fragen, die durch Soldaten aufgeworfen wurden, deren Verhalten sich dauerhaft durch Lariam verändert hat, zeigt, es ist das Risiko nicht Wert."

Eine neue Studie, die KONTRASTE erstmals vorliegt, zeigt auf, dass Lariam sogar Schäden am Hirnstamm verursachen kann - und das mit Langzeitfolgen.

Wir wenden uns an das Sanitätsamt der Bundeswehr - verantwortlich für die ärztliche Versorgung der Soldaten. Hier sieht man kein Problem mit Lariam. Man würde die Soldaten umfassend aufklären.
Ein Interview wird abgelehnt. Zu den riskanten psychischen Nebenwirkungen heißt es schriftlich: Es
„… sind vorübergehende psychotische Reaktionen … sporadisch beobachtet worden."

Genaue Zahlen erhalten wir aber nicht.
Bei unserer Recherche stoßen wir immer wieder auf Berichte von Bundeswehrsoldaten, die Verhaltensänderungen durch Lariam, beschreiben:
„Von Depressionen bis Halluzinationen hab ich alles erlebt. Über sechs Monate!"

Halluzinationen im Kampfeinsatz - das kann Leben kosten.

Auch Soldat Jan hat Lariam nicht vertragen.

Jan
Bundeswehrsoldat

„Ich kann aus Erfahrung sagen, dass es mir für einige Tage sehr elend gegangen ist, ich hatte ziemliche Beschwerden Übelkeit, schlimme Kopfschmerzen, im nachhinein würde ich sagen, vom Kopf her müde, keine Ahnung, ob das eine Depression gewesen ist."

Piloten der Bundeswehr dürfen kein Lariam nehmen. Die Soldaten, die in Afghanistan auf Patrouille sind, schwere Fahrzeuge beherrschen müssen und im Gefecht stehen - dagegen schon. Absurd.

Wolfgang Becker-Brüser
Herausgeber „arznei-telegramm"

„Ich halte es für fahrlässig, wenn die Bundeswehr generell Lariam an ihre Soldaten ausgibt. Ich mache auch keinen Unterschied zwischen Feinmotorik, die die Piloten brauchen und Feinmotorik, die ja die Soldaten genauso brauchen, die ja mit der Waffe umgehen. Und vor allem sie dürfen nicht mental beeinträchtigt sein, sie dürfen nicht aggressiv werden, psychotisch sein. Sie müssen die Situation korrekt einschätzen."

Doch das Sanitätsamt der Bundeswehr setzt weiter bei Tausenden Soldaten pro Jahr auf Malaria-Prophylaxe mit Lariam. Andere Armeen haben längst reagiert. Norwegische Soldaten erhalten seit 2010 kein Lariam mehr - nachdem Schlaflosigkeit und Depressionen häufig beobachtet wurden.

Und auch in der holländischen Armee ist Lariam nur noch in Ausnahmen erlaubt.

Doch in der Bundeswehrführung fehlt jegliches Problembewusstsein, obwohl es Alternativen zu Lariam gäbe.

Davon wusste Soldat Jan nichts, auch nicht, dass er ein unnötiges Risiko eingehen musste.

Jan
Bundeswehrsoldat

„Ich habe auf meinen Dienstherren gesetzt, dass er weiß, was er tut, dass ich nichts Gesundheitsschädigendes zu mir nehme. Wie es bei mir gelaufen ist, das ist ein Vertrauensbruch des Dienstherrn gegenüber seinen Soldaten. Punkt."

Vielleicht bringt unserer Beitrag die Bundeswehr ja zum Nachdenken.