Gebaude des Bundes (Quelle: rbb)

- Demokratie in der SPD - Kritiker der Bahn-Privatisierung ruhig gestellt

Die SPD-Führung will auf Biegen und Brechen die Privatisierung der Deutschen Bahn durchsetzen. Dabei ist die Frage, ob die im Grundgesetz verankerte Sicherstellung eines öffentlichen Nahverkehrsnetzes überhaupt privatisiert werden darf, in der SPD weder diskutiert noch beschlossen worden. Wie und warum die Kritiker dieser Art der Privatisierung ausgetrickst und ruhig gestellt werden, zeigt der Bericht von Ursel Sieber.

Die Bahn - ein Dauerbrenner in den Nachrichten. Da sind die Lokführer, die morgen also wieder streiken werden. Und da ist der geplante Börsengang, der ja eigentlich Ende des Jahres in trockenen Tüchern sein sollte. Doch der Widerstand gegen die Börsenpläne wächst täglich. Auch innerhalb der SPD. Nicht schön, weil doch der Verkehrsminister und Privatisierungs-Anhänger Wolfgang Tiefensee selbst ein Sozialdemokrat ist. Und deswegen wird getrickst, gedrängt und gedroht, um die eigenen Partei-Genossen auf Linie zu bringen. Ursel Sieber zeigt, mit welchen Methoden hinter den Kulissen in der SPD gearbeitet wird.

Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter. Ihn empört der Umgang mit dem größten Privatisierungsvorhaben in der Bundesrepublik in seiner eigenen Partei.

Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Der Grund war, dass ich es für unglaublich hielt, dass ein Vorhaben dieser Dimension fast diskussionslos durch den parlamentarischen Willensbildungsprozess geschaukelt werden sollte.“

Es geht um das Gesetz zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn. Viele Abgeordnete fühlen sich überrollt.

Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Das ist die Methode der Durchsetzung technokratisch gefällter Entscheidungen. Die Methode der Demokratievermeidung, die man mitten in der Demokratie praktiziert.“

Ein Lehrstück über deutsche Politik. Es beginnt im Januar 2000 mit einem neuen Bahnchef: Hartmut Mehdorn. Der steht unter dem Schutz von Bundeskanzler Schröder – eine Männerfreundschaft.

Hartmut Mehdorn hat einen Plan: Die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn einschließlich Schienenetz. Beharrlich betreibt er die Umsetzung – sogar in einer Allianz mit dem Chef der hauseigenen Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen.

Hartmut Mehdorn, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG
„Auf in den Kampf kann ich nur sagen.“

Es ist der Kampf für den Erhalt des Monopolisten Deutsche Bahn. Oktober 2005: Die Ära Schröder geht zu Ende. Zu diesem Zeitpunkt wird Mehdorns Plan noch festgezurrt - im Rahmen der Koalitionsverhandlungen, erinnert sich Peter Dankert, SPD-Verkehrspolitiker.

Peter Dankert (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Es gab eine ganze Reihe von Entwürfen zur Koalitionsvereinbarung in diesem Punkt und bis zur letzten Fassung gab’s immer eine Formulierung, dass wir über das Ob und über das Wie zur Bahnprivatisierung zu entscheiden haben. Und dann ist in der letzten Sekunde dieses Ob raus genommen worden, so nach dem Motto, über das ob haben wir ja schon gesprochen, das haben wir ja schon entschieden.“

Dumm nur, dass nicht nur das Ob, sonder auch das Wie auf Ablehnung stößt.

Mai 2006: Anhörung im Bundestag. Experten warnen: Bei diesem Börsengang bekämen private Investoren Zugriff auf das staatlich finanzierte Schienennetz.

Gottfried Ilgmann, Sachverständiger
„Die Vision der DB klingt sexy, besonders für Laien.“

Juni 2006: Anhörung der Verbände, vom BDI bis zum Verbraucherschutz spricht sich die große Mehrheit gegen diesen Börsengang a la Mehdorn aus.

Doch der Apparat führt längst ein Eigenleben: Das Bundesverkehrsministerium arbeitet beharrlich an der Verwirklichung der Mehdorn-Pläne. Auch der neue SPD-Verkehrsminister, Wolfgang Tiefensee, legt sich fest: Der Kern des Unternehmens, das Schienennetz, soll doch mit an die Börse.

Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Ich habe keine Erklärung mehr, dass so vehement, auf Biegen und Brechen, ein Konzept durchgezogen werden soll, trotz immer größerer Widerstände, trotz massivster verfassungsrechtlicher Bedenken.“

Oktober 2006: In der SPD- Fraktion versuchen immer mehr Abgeordnete ihre Bedenken vorzubringen.

Peter Friedrich (SPD), Bundestagsabgeordneter
„In der Fraktionsvorstandssitzung kam das Thema, und dann hab ich gefragt, und dann kam die Reaktion und die Reaktion war: Das ob stand nie zur Debatte. Da wurde ich im Prinzip etwas misstrauisch, weil ich denke, so eine gewichtige Frage, die muss man schon gründlicher diskutieren.“

Chef der Fraktion ist Peter Struck. Zu den Vorwürfen will er sich nicht äußern. Ein Interview mit KONTRASTE lehnt er ab.

November 2006, ein Freitag, 8 Uhr Morgens: Im SPD-Fraktionssaal liegt ein Antrag – vorbereitet vom Vorstand. Die Abgeordneten sollen Verkehrsminister Tiefensee jetzt beauftragen, das Privatisierungsgesetz zu erarbeiten.

Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Das war ein kleiner Überfall, die Diskussion abzubrechen, indem man einen Resolutionsentwurf vorlegt, in dem die Bundesregierung beauftragt wird, ein Gesetzentwurf vorzulegen, in dem scheinbar alle Bedenken aufgenommen sind.“

Zeit für eine Diskussion war nicht. Der Entschließungsantrag sollte sofort ins Parlament.

Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Wenn dann gesagt wird, jetzt haben wir nur eine Stunde Zeit und derjenige, der die Vorlage gemacht hat, kann ihn dann erstmal eine halbe oder dreiviertel Stunde lang vorstellen, so dass es höchstens noch Zeit für zwei, drei kritische Nachfragen gibt, ist das ja wohl keine Diskussion.“
KONTRASTE
„Sondern?“
Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Diskussionsverhinderung.“

Die Kritiker halten still. Denn das Gesetz, das das Ministerium erarbeitet, soll die Bedenken ja aufnehmen. Tiefensees Plan: Das Schienennetz formal beim Bund zu belassen, de facto aber der Deutschen Bahn zu übertragen – für viele ist dieses Gesetz von Minister Tiefensee die Quadratur des Kreises.

Stefan Hilsberg (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Dieses sehr komplizierte rechtliche Modell, wo de jure das Netz dem Bund gehört, aber die Bahn darüber verfügt, wirtschaftet und es bilanziell einstellen kann, das ist so wahnsinnig kompliziert, da sagen ja bestimmte Wirtschaftsjuristen, das kann alles nicht funktionieren. Das hängt alles sehr mit seinem eigenen Namen zusammen und davon will er jetzt nicht weg. Er hat sich dieses Konzept persönlich zu Eigen gemacht.“
KONTRASTE
„Aber das war doch ein Fehler?“
Stefan Hilsberg (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Das war ein Fehler, ja. Das war ein Fehler.“

Juli 2007: Der SPD-Minister lässt den umstrittenen Gesetzentwurf gleich vom Kabinett beschließen. Das schafft Tatsachen. Die zuvor versprochene Diskussion in der SPD-Fraktion – sie ist jetzt überflüssig.

Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Das ist ein viel geübter Trick. Entweder heißt es, noch ist es zu früh für eine Diskussion. Erstmal muss die Regierungsvorlage kommen und dann werden wir die und die Dinge berücksichtigen. Wenn die Vorlage dann gekommen ist, heißt es jetzt ist aber zu spät, ihr hättet Euch vorher melden können.“

Denn jede Kritik an dem Entwurf beschädigt jetzt angeblich den Minister selbst. Loyalität zum eigenen Minister fordert Fraktionschef Peter Struck, und: „es gibt kein zurück“.

September 2007: Der Gesetzentwurf kommt zur ersten Lesung in den Bundestag.

Hermann Scheer (SPD), Bundestagsabgeordneter
„Und so entstehen Gesetze, die außer wenigen Leuten niemand will und die die meisten in dem Moment der Beschlussfassung schon für falsch halten. Und das ist eigentlich nicht das, was im Sinne des Grundgesetzes und der Gewaltenteilung liegt.“

Noch ist dieses Gesetz nicht beschlossen. Hermann Scheer hofft, dass der SPD-Bundesparteitag in zwei Wochen diesen Irrweg beendet.