Der Obersalzberg (Quelle: rbb)

- Das Problem mit der Vergangenheit – der Obersalzberg

„Jude verrecke“, „Heil Hitler“, Hakenkreuze. Diese Nazischmierereien finden sich in einer öffentlich zugänglichen Bunkeranlage auf dem Obersalzberg im Berchtesgadener Land. Eine Pilgerstätte für Neonazis. Doch die bayerische Staatsregierung bleibt untätig. Und nicht nur bei diesem Problem: Auch das staatliche Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg schlägt Alarm – wegen Mangel an Fachpersonal. Alexander Kobylinski und Caroline Walter sind der Sache nachgegangen.

Er ist ein bekennender Neo-Nazi: Der Rechtsanwalt und Holocaust-Leugner Horst Mahler. Gerade erst hat er eine Haftstrafe wegen Volksverhetzung abgesessen. Kaum aus dem Gefängnis entlassen, hat er nur ein Ziel: Auf nach Bayern, zum Obersalzberg. Dort, wo Adolf Hitler seine Sommerresidenz hatte. Der Obersalzberg übt eine magische Anziehungskraft auf Neonazis aus. Dabei wollte die bayerische Landesregierung genau das verhindern. Und dafür am Obersalzberg lieber aufklären – über den Terror des Nazi-Regimes. Doch das vollmundige Engagement fällt kläglich aus. Und die braunen Touristen werden stillschweigend in Kauf genommen. Caroline Walter und Alexander Kobylinski haben dafür beklemmende Beweise gefunden.

Wir sind unterwegs im Berchtesgadener Land, einer beliebten bayerischen Urlaubsregion. Hier wird Tradition groß geschrieben.

Wir fahren auf den Berg, zu dem es hier alle hinauf zieht – den Obersalzberg. Wegen seiner Geschichte kommen Tausende Touristen aus aller Welt. Sie wollen sehen, was hier vom Dritten Reich übrig geblieben ist.

Der Obersalzberg – er war Hitlers Urlaubsdomizil und zweiter Regierungssitz. Auf seinem Berghof empfing er die Naziprominenz. Auch hier oben plante Hitler seine Kriege, die Judenvernichtung.

Und das sind die Reste von Hitlers Berghof – sie ziehen heute so manchen Neonazi an. In der Ruine entdecken wir mehrere frisch hin gestellte Grablichter. Verehrung für den Führer.

Auf dem Parkplatz treffen wir einen, der daraus keinen Hehl macht.

KONTRASTE
„Was bedeutet denn für Sie der Obersalzberg?“
Mann
„Tradition.“
KONTRASTE
„Inwiefern Tradition?“
Mann
„Weil ich diese politische Gesinnung vertrete, die damals vertreten wurde.“

Wenige Meter von den Ruinen entfernt entdecken wir noch einen Anziehungspunkt für Neonazis auf dem Berg. Das Hotel zum Türken. Damals war es Quartier von Hitlers Reichssicherheitsdienst. Heute kann man hier Zimmer buchen.

Direkt unter dem Hotel befinden sich die Bunkeranlagen der Leibwache des Führers samt Gefängniszellen. Die Anlage ist für jedermann öffentlich zugänglich, das Hotel macht ein Geschäft damit. Hier findet man braunen Nostalgie-Tourismus.

Diese Aufnahmen wurden uns zugespielt. Alle Wände sind voll mit Nazi-Schmierereien.

Überall Hakenkreuze. „Heil Hitler“ und „SS-Tom“ teilt 2003 mit: „Jude verrecke“.

Hier gibt es den richtigen Kitzel für den Neonazi. Hinter dieser Mauer, so steht da, sind die eigentlichen Räume von Hitler und Eva Braun.

Man erfährt, wo die Toilette für seine Leibwache war, und der Hundezwinger. Und in die Maschinengewehrstände kann man auch klettern. Keine Überwachungskameras, keine Aufklärung. Seit Jahren können sich hier Neonazis austoben.

Wir wollen von der Hotelbesitzerin wissen, was sie zu dem Nazi-Treiben in ihrem Bunker sagt.

KONTRASTE
„Grüß Gott! Wir sind von der ARD, wir würden gerne mit Ihnen über die Bunkeranlagen sprechen.“
Hotelbesitzerin
„Nein.“
KONTRASTE
„Wir würden gerne mit Ihnen sprechen.“

Die Hotelbesitzerin soll zu Besuchern schon gesagt haben, Hitler habe den Krieg nicht begonnen.

Gleich nebenan befindet sich das staatliche Dokumentationszentrum zum Obersalzberg. Wir fragen den Leiter, Volker Dahm, was er zu der Pilgerstätte von Neonazis in seiner Nachbarschaft sagt.

Dr. Volker Dahm, Institut für Zeitgeschichte München
„Da ärgern wir uns seit vielen Jahren damit rum. Wir können aber eigentlich nichts dagegen unternehmen. Das Problem ist, dass hier ein Relikt des Dritten Reiches in Privatbesitz ist und von der Besitzerin eben kommerziell vermarktet wird.“

Das Dokumentationszentrum hat noch ganz andere Sorgen. Es ist die einzige Stelle an diesem sensiblen Ort, die hier Aufklärung über die Verbrechen des Dritten Reichs leistet, dem Mythos Obersalzberg etwas entgegensetzen soll.

Doch das Dokumentationszentrum ist viel zu klein und platzt aus allen Nähten. Geplant war es von Anfang an nur als Sparversion. Es gibt viel zu wenig Fachpersonal. Vieles in der Ausstellung ist veraltet. Die Arbeit des Dokuzentrums ist gefährdet.

Dr. Volker Dahm, Institut für Zeitgeschichte München
„Insgesamt sieht es so aus, dass wir mit diesem Personal das wissenschaftliche und fachliche Niveau, das die Ausstellung ja hat, und die Präsentationsqualität nicht aufrechterhalten können.“

Kaputte Bilder erneuern, Schulklassen betreuen, Karten aktualisieren. Viele wichtige Aufgaben bleiben einfach liegen.

Verantwortlich für das Dokumentationszentrum und den Obersalzberg ist der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser.

Er schmückt sich gern mit dem Zentrum, wie vor kurzem bei der Begrüßung des 1 Millionsten Besuchers. Aber Geld für genügend Fachpersonal gibt der Minister nicht.

Unverständlich – denn Minister Faltlhauser betont in seinen Reden doch immer wieder, wie streng er über den Obersalzberg wacht.
Zitat:
„Der Freistaat ist sich seiner Verantwortung und Verpflichtung für diesen Ort bewusst. Ich werde keine Oberflächlichkeit, keine Grenzüberschreitung und schon gar keinen Missbrauch dieses Ortes dulden.“

Keinen Missbrauch? Die Nazi-Pilgerstätte unter dem Hotel zum Türken scheint den Minister dabei nicht zu interessieren. Auch dieses Problem müsste ihm längst bekannt sein.

Wir zeigen Fotos aus dem Bunker Christine Stahl. Sie beschäftigt sich mit Rechtsextremismus in Bayern.

Christine Stahl (Bündnis90/Die Grünen), Bayerische Landtagsabgeordnete
„Wir sind der Meinung, wenn ich mir diese Fotos ansehe, dass das Finanzministerium oder die Staatsregierung, wer auch immer das dann tut, dringend mit den Privatleuten sich in Kontakt begibt und mit ihnen beredet, was man da tun könnte, mindestens müssen diese Schmierereien entfernt werden. Als weiteres würde ich mir schon wünschen, dass man rechtlich prüft, ob diese Anlage, wenn sie für Derartiges missbraucht wird, weiter geöffnet bleiben darf.“

Wir hätten den bayerischen Finanzminister gern zum Interview getroffen. Aber er steht nicht zur Verfügung. Schade, denn er sollte auf dem Berg dringend mal nach dem Rechten sehen.

Hakenkreuze und Nazi-Parolen sind nicht einfach nur Schmierereien, sondern verfassungsfeindliche Symbole. Normalerweise würde in einem solchen Fall der Staatsschutz ermitteln.