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- DDR-Spezialkinderheime – Justiz mauert bei Entschädigung

Prügel, medikamentöse Ruhigstellung, Schuften bis zum Umfallen – wer in der DDR in einem so genannten Spezialkinderheim landete, erlebte die Hölle auf Erden. Dafür haben die Opfer ein Recht auf Wiedergutmachung, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Doch die untergeordneten Instanzen mauern – es fließt kein Geld.

Stellen Sie sich vor, Sie würden als Kind aus Ihrer Familie gerissen und zwangsweise in ein Kinderheim gesteckt werden. Dort sind Prügel, harte Arbeit und psychische Grausamkeiten an der Tagesordnung. Tausenden Kindern in der ehemaligen DDR wurde das angetan. Die sogenannten Spezial-Kinderheime der DDR waren berüchtigt. Doch obwohl sich Opfer dieser Misshandlungen schon vor Jahren an die Behörden wandten, gibt es bis heute so gut wie keine Rehabilitierung oder Entschädigung. Tom Fugmann und Axel Svehla beschreiben, wie sehr die Betroffenen darunter leiden.

Seit Jahren kämpft Ralf Weber vor deutschen Gerichten um Wiedergutmachung. Wiedergutmachung für seine verlorene Kindheit und Jugend. Über neun Jahre lebte er eingesperrt und hinter Gittern - zwangseingewiesen in insgesamt sieben DDR-Kinderheime.

Ralf Weber
„Wir sprechen nicht von Bagatellen und wir sprechen nicht davon, dass ich rehabilitiert werde dafür, dass ich vielleicht ein aufmüpfiges Kind gewesen bin. Wir sprechen ganz einfach darüber, dass ich das Recht in Anspruch nehme, in meinem Persönlichkeitsrecht geschützt zu werden.“

43 Jahre hat Ralf Weber diesen Ort gemieden – das ehemalige DDR-Spezialkinderheim in Werftpfuhl – heute eine Bildungsstätte.

12 Jahre alt war er, als er hier eingesperrt war. Die Demütigungen und die Angst, die er damals empfunden hat, hat er bis heute nicht vergessen. Erst mit Kontraste kehrt er noch einmal zurück. Jetzt reißen die alten Wunden wieder auf. .

Ralf Weber
„Es ist gut, dass wir hier her gekommen sind, weil es ein Stück meines Lebens ist, was bis heute nicht geklärt ist, warum und weswegen, warum man Kindern so was angetan hat.“

Ralf Weber ist sechs Jahre alt, als er das erste Mal in die Fänge der Jugendfürsorge der DDR gerät. Er stammt aus schwierigen Familienverhältnissen. Die Mutter ist alleinerziehend, arbeitet täglich 12 Stunden. Nachmittags ist Ralf Weber unbeaufsichtigt, treibt sich in dieser Zeit auf der Straße herum. Grund genug für die Behörden, einzugreifen.

Eine Heimeinweisung soll den Jungen disziplinieren. Nach dem Unterricht in der Schule wird er von Jugendfürsorgern abgeholt und kehrt nicht mehr nach Hause zurück.

Die Mutter erfährt erst nachträglich davon. Sie muss machtlos hinnehmen, dass ihr der Sohn vom Staat weggenommen wird. Das hat sie bis heute nicht verwunden.

Mutter
„Man holt sich immer wieder, die ganze Aufregung, die damals war, kommt wieder zurück. Das ist gegenwärtig. Ich bin froh, dass ich das soweit verkraftet habe, auch der Sohn. Aber für mich ist es heute immer noch schlimm.“

Die Trennung von der Mutter traumatisiert den Jungen. Mit sechs Jahren wird er wieder zum Bettnässer. Sieben Heime durchläuft er in neun Jahren. Ralf Weber kann sich nicht in den militärisch durchorganisierten Heimalltag einpassen, obwohl er mit starken Psychopharmaka ruhig gestellt wird. Die Disziplinierungsmaßnahmen sind brutal: Prügelstrafen und – wie hier – harte Arbeit.

Jetzt wird für Ralf Weber alles wieder lebendig. Auch wenn das Heim inzwischen renoviert wurde.

Ralf Weber
„Das ist die berüchtigte, sogenannte Aufnahmestation gewesen, wo die Kinder angepasst wurden, medikamentös, auch der Disziplin angepasst wurden , wo auch jegliches Vergehen der Hausordnung bestraft wurde mit Schlägen, teilweise mit allem, was die Erzieher in die Händegekriegt haben, Knüppel, Schrubberstiele.“

Die ehemalige Erzieherin Gertrud Mohnhaupt erinnert sich an diese schlimmen Zustände. Sie arbeitete gleich nach dem Studium ins Spezialkinderheim. Die Zustände dort haben sie entsetzt.

Gertrud Mohnhaupt, ehemalige Erzieherin
„Die Kinder haben sich auch gefühlt wie im Knast. Haben das auch geäußert. Und es war ja auch ein Knast. Die sind ja nicht freiwillig rein. Und alles war abgeschlossen. Also wenn ich mich jetzt in das Kind hineinversetze, waren es Knastbedingungen.“

So wie Ralf Weber ging es Tausenden. Die Spezialkinderheime waren ein besonderer Bereich der DDR-Jugendhilfe. Hier sollten schwer erziehbare Kinder zu „vollwertigen Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft“ geformt – besser: gebrochen werden. Mit Schlägen, Psychopharmaka, Sport bis zur völligen Erschöpfung und erniedrigenden Strafarbeiten.

Michael Wildt
„Es gab landauf und landab diese Heime. Und die waren gut gefüllt. Wenn Ralf Weber ein Einzelschicksal gewesen wäre, dann hätte man diese Einrichtungen früher oder später zumachen müssen, weil sie nicht gefüllt waren. Aber das Gegenteil war der Fall. Ich bin absolut der Meinung, dass Kinder, die seit frühester Kindheit oder Menschen, die seit ihrer Jugend in den Fängen des Systems gelandet sind und dass die Anspruch auf eine wie auch immer geartete Entschädigung haben.“

Für seine Jahre im knastähnlichen Spezialkinderheim möchte Ralf Weber entschädigt werden – nach dem Rehabilitierungsgesetz für Opfer des DDR-Unrechts. Doch das Oberlandesgericht in Naumburg lehnte seinen Anspruch ab.

Kerstin Wolter, Oberlandesgericht Naumburg
„Der zuständige Senat des Oberlandesgerichtes ist in der Entscheidung aus dem Jahr 2008 davon ausgegangen, dass die Vorrausetzungen für eine strafrechtliche Rehabilitierung nicht vorlagen. Er hat ausgeführt, dass der Antragssteller mit der Heimunterbringung nicht bestraft werden sollte.“

Diese Entscheidung wirkte auf Ralf Weber nach all seinen Erfahrungen in den Heimen wie Hohn. Er klagt vor dem Bundesverfassungsgericht. Und bekommt Recht. . Denn auch Freiheitsentziehungen wie Heimeinweisungen müssen entschädigt werden.– so urteilt das Bundesverfassungsgericht im Mai 2009.

Das Verfahren wird nach Naumburg zurückverwiesen. Doch vom dortigen Oberlandesgericht erhielt Ralf Weber seit fast einem Jahr keine Nachricht.

Ralf Weber
„Es nicht vermittelbar, dass das entscheidende Gericht, was definitiv mit der Rechtswidrigkeit ihres Handelns konfrontiert wird, eigentlich bis heute nicht an den Betroffenen wendet, um den es geht und ihm zumindest mitteilt, was sie gedenken, in der Sache zu tun.“

KONTRASTE
„Hat denn derjenige, um den es geht, haben Sie dem mal einen kleinen Brief geschrieben: Lieber Herr Soundso, wir denken neu drüber nach, wir nehmen die Ermittlungen neu auf, haben Sie noch ein bisschen Geduld, aber wir überprüfen unser Urteil?“
Kerstin Wolter, Oberlandesgericht Naumburg
„Dazu kann ich keine Angaben machen, das weiß ich nicht, ob in der Akte der Antragssteller informiert worden ist.“

Die verlorenen Jahre seiner Kindheit und Jugend kann Ralf Weber niemand zurückgeben. Unter den seelischen Folgen seiner Heimzeit leidet er bis heute.

Ralf Weber
„Die Verbrecher, die das verantworten zu haben, leben teilweise nicht mehr. Sie werden sich auch nicht mehr verantworten müssen. Trotzdem soll es als Warnung, als Mahnung für die Zukunft gelten, dass man so mit Kindern nicht umgehen kann. Und insofern …“

Inzwischen haben sich Hunderte Betroffene, die in DDR-Kinderheimen zwangsinterniert waren, gemeldet und Entschädigung beantragt. Hoffentlich haben Sie Erfolg.


Beitrag von Tom Fugmann und Axel Svehla