Ehemaliger Zwangsarbeiter auf dem Friedhof (Quelle: rbb)

- Die "schwarze Liste" der deutschen Wirtschaft: Kein Geld für Zwangsarbeiter?

Noch immer fehlt der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft" einiges an den 5 Milliarden, die sie für die ehemaligen Zwangsarbeiter aufbringen wollte. Kontraste meint: Das ist ein Skandal.

Weil uns die laufende Aktualisierung der Liste nicht möglich ist, haben wir sie am 6.11.2000 aus dem Netz genommen. Bitte haben Sie dafür Verständnis. In unserer nächsten Sendung am 7.12.2000 beabsichtigen wir, das Thema noch einmal aufzugreifen.

Es war der größte organisierte Menschenraub der Geschichte. Männer, Frauen, Kinder: mit vorgehaltenen Gewehren aus ihren Häusern geholt, auf Lastwagen gezwungen, abtransportiert zu schuften für den Krieg der Deutschen. Aus Menschen wurden Arbeitssklaven - viele von ihnen haben die Barbarei nicht überlebt. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat es gebraucht, bis sich die deutsche Wirtschaft überhaupt zu Verhandlungen über so etwas wie eine materielle Nachzahlung herab ließ. Die Unternehmen einigten sich dann gemeinsam in einen Fond einzuzahlen, ganz unabhängig davon, ob ein Unternehmen einst Zwangsarbeiter eingesetzt hatte oder nicht. Aber, bis jetzt, zieren sich die meisten, ihren Beitrag zu leisten: gerade mal ein Tausendstel von ihrem Jahresumsatz! Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft wird nicht müde, ihre Mitglieder zu bitten und zu betteln. Wir finden, zum Bitten und zum Betteln ist jetzt keine Zeit mehr. Deshalb macht Kontraste die Namen der säumigen Zahler öffentlich, Anja Dehne, Chris Humbs und Caroline Walter über eine Liste der Schande.


Kurt Goldstein hat wieder einen Freund verloren. Vergangene Woche wurde er hier begraben, auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde. Er war Zwangsarbeiter in der Nazi-Zeit, wie Kurt Goldstein. Goldstein selbst mußte in einem deutschen Kohlebergwerk schuften, unter unmenschlichen Bedingungen.

Vor zwei Jahren hatte die deutsche Wirtschaft 5 Milliarden Mark für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter versprochen, doch bis heute ist das Geld nicht zusammen.

O-Ton/Kurt Goldstein:
"Dass, was sich die deutsche Wirtschaft da jetzt leistet, ist genauso elende, geradezu unerträglich, demütigend, gemein, verbrecherisch, wie das was sie mit der Beschäftigung der Zwangsarbeiter getan haben."

Rund elf Millionen Menschen, verschleppt von den Nazis, als Sklaven ausgebeutet von der deutschen Wirtschaft.

Weniger als eine Millionen Zwangsarbeiter sind noch am Leben. Im Sommer sollten die ersten von ihnen Geld bekommen. Bis heute fehlen aber 1,7 Milliarden Mark. Viele Unternehmen drücken sich. Unverschämt finden das Firmen die längst gezahlt haben, selbst wenn sie keine Zwangsarbeiter hatten. Zum Beispiel das Start-Up Unternehmen Econa.

O-Ton/Bernd Hardes - Econa:
"Econa ist ein New Economy Unternehmen. Wir sind erst zwei Jahre alt, wir haben nie Zwangsarbeiter beschäftigt, wir haben nie in diesem Regime gearbeitet. Wir fühlen uns aber als deutsches Unternehmen in einer Situation, wo wir uns der Geschichte nicht entziehen können. Wir finden die Zwangsarbeiter-Entschädigung ist ein Thema, das geht alle an, ob man damals daran beteiligt war oder nicht. Und als symbolisches Zeichen haben wir uns deshalb auch an dem Zwangsarbeiterfond beteiligt."

Daß sich immer noch Firmen weigern zu zahlen, sei eine Blamage für die deutsche Wirtschaft. Das findet der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck. Er will nun die zahlungsunwilligen Unternehmen unter Druck setzen.

O-Ton/ Peter Struck - SPD-Fraktionsvorsitzender:
"Für mich ist das ein absoluter Skandal. Es gibt eine Zusage der deutschen Wirtschaft, ihren Anteil zu erbringen. Diese Zusage will sie nicht einhalten. Man muß sie dazu zwingen und deshalb bin ich der Meinung, dass die Firmen, die zahlen könnten, aber noch nicht gezahlt haben, auch öffentlich gemacht werden."

Die Namen der Zahlungsverweigerer öffentlich machen? Die CDU ist dagegen. Sie gibt der Wirtschaft Deckung.

O-Ton/Hans Michelbach - CDU/CSU-Fraktion:
"Die Drohung von Struck ist eine Unverschämtheit, eine Frechheit. Sie denunziert Unternehmen in Deutschland. Sie teilt die Wirtschaft, das ist eine Zwangsmethode. Die deutsche Wirtschaft darf sich weder in Deutschland noch international an den Pranger stellen lassen."

Die CDU mag die Wirtschaft nicht unter Druck setzen. Doch ohne Druck werden die fünf Milliarden nie zusammenkommen Seit knapp zwei Jahren versucht es die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft nur mit Appellen, aber viele Unternehmen stellen sich stur.

Kontraste veröffentlicht erstmalig die interne, schwarze Liste, die die Stiftungsinitiative aufgestellt hat. Von der Wirtschaft wird sie geheim gehalten.

Die meisten deutschen Großunternehmen weigern sich bis heute in den Entschädigungsfond zu zahlen.

Auf der Liste: 189 Unternehmen mit einem Umsatz von über einer Milliarde Mark im Jahr.

Zum Beispiel Haribo. Das Unternehmen will sich vor der Kamera nicht äußern In einem Fax an Kontraste läßt die Firma mitteilen. Zitat:

"Haribo hat nachweilslich keine Zwangsarbeiter beschäftigt."

Von einer gemeinsamen Verantwortung der deutschen Wirtschaft will Haribo nichts wissen. Die Anderen sollen zahlen.

Ein weiteres Beispiel aus der Liste der Zahlungsverweigerer: Der Heinrich-Bauer-Verlag, einer der Giganten unter den Zeitschriftenverlegern. Auch hier kein Interview. In einem Telefongespräch teilt das Unternehmen mit:

"An uns ist noch niemand herangetreten und hat angefragt, für uns ist der Zwangsarbeiterfond kein Thema."

Der Heinrich-Bauer-Verlag mit einem Jahresumsatz von über 3 Milliarden Mark. Trotzdem zeigt er keine Bereitschaft auch nur einen geringen Beitrag zu leisten. In den Entschädigungsfond sollen andere zahlen.

Beispiel drei: Die Firma Brau und Brunnen. Der Getränkekonzern ist nach dem Krieg schnell gewachsen und schluckte die Konkurrenz, darunter ein Unternehmen, das Zwangsarbeiter beschäftigte. auch hier kein offizielles Interview, die telefonische Auskunft:

"Wir lassen uns von niemandem erpressen, wir brauchen keine Nachhilfe."

Trotz Zwangsarbeitern in der eigenen Firmengeschichte weigert sich Brau und Brunnen bis heute einen Beitrag zu leisten. Die Anderen sollen zahlen.

Drei Beispiele für das peinliche Verhalten der deutschen Wirtschaft gegenüber den ehemaligen Zwangsarbeitern. Drei Beispiele von einer langen Liste. Die Idee einer gemeinsamen Verantwortung scheitert. So sieht das auch Renate Künast von den Grünen.

O-Ton/Renate Künast - Bündnis 90/Die Grünen:
"Also, wenn die Wirtschaftsbosse nicht in der Lage sind, die deutsche Wirtschaft endlich dazu zu bewegen, solidarisch zu sein, ihrer Pflicht nachzukommen, müssen sich die Politikerinnen und Verbraucher überlegen, was kann hier die rote Karte sein. Die rote Karte heißt, wir fangen an zu diskutieren, wer bekommt hier eigentlich öffentliche Aufträge. Auch dieser Solidarakt kann dabei ein Kriterium sein. Und die Verbraucher können bei der Verfassung des Weihnachtszettels feststellen, Jever und Apollinaris brauch ich nicht. Und Haribo macht Kinder froh, muß auch nicht auf jeden Weihnachtszettel stehen."

Kurt Goldstein ist inzwischen 86 Jahre alt. Er glaubt, die deutsche Wirtschaft spielt auf Zeit. Zeit, die die Zwangsarbeiter nicht mehr haben.

O-Ton/Kurt Goldstein:
"Wenn die deutsche Industrie es noch immer so weitermacht wie sie es macht, dann sind wir wieder die häßlichen Deutschen, und das möchte ich Ihnen und mir, uns allen, die wir hier leben jetzt in diesem Land, als Deutsche, das möchte ich uns ersparen. Und darin sehe ich die große Schändlichkeit der deutschen Wirtschaft."


Wenn schon nicht der Anstand, dann hebt ja vielleicht die Angst ums Ansehen bei der Kundschaft die Zahlungsmoral.