Anwalt bei er Arbeit (Quelle: rbb)

- Doping-Opfer klagen an - ehemalige DDR-Sportler fordern Entschädigung

Trainer aus der ehemaligen DDR sind bei den Sportfunktionären im Westen bis heute hoch angesehen - und das, obwohl sie zu DDR-Zeiten ihre minderjährigen Schützlinge mit Dopingmitteln krank gemacht haben. Ohne Folgen für die Täter - aber den Opfern will bis heute niemand helfen.

Sie liefen, sprangen, schwammen nicht nur für die Medaille - sondern für die Ehre des ganzen sozialistischen Systems. Das Experiment DDR ist gescheitert, die Helden von einst werden nicht mehr gebraucht. Schon gar nicht als Opfer: Für den Medaillenerfolg halfen DDR-Trainer nach: pumpten ihre Schützlinge mit Medikamenten voll.

Als Dopingopfer sind die Sieger von einst heute eine Randgruppe - lästig geworden. Hajo Seppelt über die Zeugen eines Menschenversuchs, für den keiner mehr Verantwortung haben mag.


Roland Schmidt ist Bademeister in der sächsischen Kleinstadt Nossen. Der Vater von drei Kindern war in den siebziger und achtziger Jahren erfolgreicher Juniorengewichtheber, damals wurde er ohne sein Wissen mit leistungsfördernden Hormonen in hohen Dosierungen vollgestopft.

Roland Schmidt, Ex-DDR-Gewichtheber:
"Da wurde überhaupt nichts erzählt auf negative Auswirkungen. Es wurde nur gesagt, es wären Vitamintabletten, unterstützende Mittel in der Richtung. Da wurde überhaupt nichts Genaueres bekanntgegeben."

Die Hormonmast hatte fatale Folgen. Roland Schmidt waren im Laufe der Zeit Brüste gewachsen. Er litt unter unerträglichen Schmerzen. In einer geheim gehaltenen Operation wurde ihm das wuchernde Gewebe entfernt.

Roland Schmidt, Ex-DDR-Gewichtheber:
"Also ich war schon schockiert, weil es ja mehr oder weniger ein Vorstadium vom Krebs gewesen sein soll oder gewesen ist."

Die Folgen des DDR-Zwangsdopings: zwei lange Narben unterhalb der Brustwarzen. Für die körperlichen Leiden wollte Schmidt nach der Wende Entschädigung und klagte - ohne Erfolg.

Das Oberlandesgericht Dresden entschied: Schmidt stehen keine Ansprüche zu, denn die Dopingärzte hätten

"als Mitarbeiter staatlicher Organe in Ausübung staatlicher Tätigkeit"

gehandelt. Und die Bundesrepublik kommt für die Schäden nicht auf, denn:

"Eine solche Rechtsnachfolge ist für die hier geltend gemachten Ansprüche nicht gegeben."

Schmidt erhielt keinen Pfennig Entschädigung. Genau wie Birgit Boese. Die Berlinerin betreibt heute ein Geschäft für Übergrößen. Jährlich muss sie mehr als zehntausend Mark für medizinische Behandlungen zahlen. Die Kasse kommt für die teuren Spezialtherapien längst nicht mehr auf.

Mitte der 70er Jahre war die damals 14jährige eine hoffnungsvolle Kugelstoßerin. Sie bekam regelmäßig Hormone von der Trainerin, sogar zusätzlich zum offiziell verordneten Doping. Heute ist die 39jährige eine kranke Frau.

Birgit Boese, Ex-DDR-Kugelstoßerin:
"Ich hab' seit drei Jahren 'ne Herzschwäche, hab' starkes Übergewicht, die Wirbelsäule kaputt, hab' Zuckerprobleme, hab' mit dem Blutdruck Probleme, bin also akut schlaganfallgefährdet gewesen. Es ist also wirklich nicht besonders gut mit der Gesundheit."
"Was enttäuscht Sie am meisten?"
"Dass wir in dem einen Staat alleingelassen wurden, indem wir einfach zum Versuchskaninchen degradiert wurden. Und dass der andere Staat, der ja eigentlich mit diesen Schäden aufräumen müßte oder zumindest mit diesen Verbrechen, die begangen wurden, auch genauso alleingelassen werden. Das hat damals nicht interessiert, was aus uns wird mit der Gesundheit. Und das interessiert bis jetzt heute auch herzlich wenige."

Bisher setzt sich nur eine einzige Organisation für die Geschädigten ein: der 1999 gegründete private Doping-Opfer-Hilfeverein. Der Vorsitzende Klaus Zöllig schreibt regelmäßig von zu Hause aus Bettelbriefe: an Groß-Unternehmen, die durch Sportsponsoring werben oder an Firmen, die am Medikamentenmissbrauch beim Doping verdienen, also an Pharmakonzerne. Das Ergebnis ist niederschmetternd.

Klaus Zöllig, Doping-Opfer-Hilfe-Verein:
"Wir haben sehr viele Firmen angeschrieben. Wir haben insgesamt etwa sechzig Bettelbriefe rausgeschickt."
"Was ist dabei rausgekommen?"
"Absagen, keine Antworten, aber sicher kein Geld."

Keine müde Mark von großen Unternehmen ging auf dem Konto ein. Selbst Jenapharm, das einst in der DDR den Hormon-Klassiker Oral-Turinabol herstellte, - heute unter dem Dach des Schering-Konzerns - teilte mit:

"Leider müssen wir Ihnen eine negative Antwort geben."

Nach Schätzungen von Historikern sind bis zu 10 000 Athleten in der DDR mit Medikamenten manipuliert worden. Auch wenn der juristische Nachweis im Einzelfall schwer zu führen ist: Experten gehen von mindestens 800 gravierenden Fällen aus.

Die hormongeschädigte ehemalige Ost-Berliner Schwimmerin Karen König ist mit ihrer Geduld am Ende. Sie geht jetzt als erstes Opfer in die Offensive und verklagt das Nationale Olympische Komitee auf Schadenersatz.

Karen König, Ex-DDR-Schwimmerin:
"Das NOK von heute hat das DDR-NOK übernommen, das Vermögen von 5,4 Millionen. Das war im November 1990. Und wenn man ein Vermögen übernimmt, dann muß man auch die Hypotheken übernehmen. Also können wir sagen, dass damit auch die Schäden, die entstanden sind, wieder gutgemacht werden müssen."

Das bundesdeutsche NOK hat das DDR-NOK übernommen, nun soll es auch die Gesundheitsschäden bezahlen. Doch davon will das Olympia-Komitee nichts wissen. Die Begründung des Präsidenten: die DDR-Sportfunktionäre haben das Hormondoping bei der Übernahme verschwiegen. Von einer Zuständigkeit könne deshalb keine Rede sein.

Walther Tröger, Präsident NOK Deutschland:
"Sie ist in keiner Weise gegeben, nicht. Und sie wird vor allem nicht dadurch konstruiert oder definiert, dass wir Mittel übernommen haben für satzungsgemäße Aufgaben. Das NOK der DDR hat uns damals, ich meine, das klingt jetzt ein bisschen makaber, die satzungsgemäße Aufgabe für das vereinigte NOK für Dopingopfer nicht mitgegeben."

Dennoch - sagt Tröger - wolle er gemeinsam mit der Bundesregierung und dem Deutschen Sportbund eine Lösung suchen. Im Mitteilungsblatt des NOK wird jedoch gleichzeitig Stimmung gegen die Opfer gemacht. Es sei keineswegs klar, wird suggeriert, dass die einstigen Topstars nur unter Zwang mit Hormonen gedopt worden seien. Sogar von einer "Kampagne" ist die Rede, die Opferinitiative sei ein "umstrittener Privatzirkel". Die Betroffenen sind entsetzt.

Karen König, Ex-DDR-Schwimmerin
"Was erwartet man von 12-,13-,14-jährigen Mädchen, die im Vertrauen Sport betreiben und mehr ihre ganze Zeit sozusagen bei dem Sportverein, bei den Trainern und so weiter verbringen, kaum zu Hause sind, kaum Kontakt haben mit der Familie. Wie soll man da erwarten, dass man da irgendwie unterscheiden kann, ob einem Gutes oder Böses getan wird. Das ist absurd und unverschämt in der Behauptung."

Im Kampf um Rekorde und Medaillen wurde nach der Wende gern auf das Know-how des ostdeutschen Systems zurückgegriffen. In den Spitzensport in Deutschland wurden allein vom Bund zwischen 1991 und 2000 2,3 Milliarden Mark gepumpt. Doch während die Opfer davon keinen Pfennig bekamen, wurden viele für das Doping verantwortlichen Trainer nahtlos ins gesamtdeutsche Sportsystem integriert.

Wie hier bei den Deutschen Schwimm-Meisterschaften in Braunschweig betreuen ostdeutschen Trainer noch immer zahlreiche Sportler. Zu DDR-Zeiten hatten sie Dopingmittel vergeben, viele standen deshalb vor Gericht. Eine Verhöhnung der Opfer.

Birgit Boese, Ex-DDR-Kugelstoßerin:
"Vielleicht hätten sich die Sportfunktionäre auch mal die Frage stellen sollen, wie sie überhaupt Trainer, die mit solchen menschenverachtenden Methoden gearbeitet haben, weiter in Amt und Würden belassen können."

Birgit Boese hat genug. Gemeinsam mit acht weiteren Geschädigten hat sie einen Offenen Brief an den Bundestag geschrieben und fordert nun staatliche Unterstützung für die Dopingopfer.

Karen König, Ex-DDR-Schwimmerin:
"Es ist noch niemand aufgewacht. Es wird zwar gesagt, dass der Bundestag jetzt darüber reden will, dass es eine Entschädigung gibt. Was das heißt, wissen wir alle: Reden, Reden, Reden und getan wird gar nichts."