Geheimtreffen in Baku -
Offiziell ist der deutsch-russische "Petersburger Dialog" seit Jahren beendet. Doch Recherchen von Kontraste und der Wochenzeitung Die Zeit zufolge lebt das Gesprächsformat, 2001 von Schröder und Putin ins Leben gerufen, wohl im Verborgenen weiter.
Beitrag von Markus Pohl und Daniel Schmidthäussler
Mitte April trafen sich in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku einflussreiche Deutsche aus Politik und Gesellschaft mit hochrangigen Kreml-Vertretern. Was hat es mit dem Treffen in Baku auf sich? Was wollten ein SPD-Bundestagsabgeordneter, ein ehemaliger Ministerpräsident und einflussreiche Ex-Minister der CDU mit den Russen besprechen? Und wusste die Bundesregierung davon?
Anmoderation: Wie nennt man es wenn sich ein ehemaliger Kanzleramtsminister, ein Ex-SPD-Chef und ein Bundestagsabgeordneter mit hochrangigen Russen aus dem Kreml-Umfeld treffen - ganz diskret in einem Luxushotel in Baku? Für die Teilnehmer ist das "rein privat" - für uns und unsere Kollegen von der ZEIT ist es eher die Fortsetzung des Petersburger Dialogs - offiziell längst eingestellt. Bei diesen deutsch-russischen Treffen ging es ums Netzwerken und um gute Geschäfte. Und auch jetzt in Baku saß der russische Gas-Gigant Gazprom mit am Tisch - ganz privat natürlich.
Das Luxushotel Four Seasons in Baku, direkt am Kaspischen Meer. Hier, im autoritär geführten Aserbaidschan, finden seit gut einem Jahr regelmäßig geheime Treffen statt, die politische Sprengkraft bergen. Es geht um konspirative Konferenzen russischer Abgesandter des Kremls mit einflussreichen Politikern aus SPD und CDU.
Das ergeben gemeinsame Recherchen von Kontraste und der Wochenzeitung Die Zeit. Wir erfahren: Erst kürzlich, von 13. bis 14. April, sollen sich Russen und Deutsche zuletzt in Baku getroffen haben. Darunter ein Name, der aufhorchen lässt: Ralf Stegner, SPD-Bundestagsabgeordneter.
Am 1. Mai demonstriert Stegner in Elmshorn. Immer wieder hat Stegner "mehr Diplomatie" im Umgang mit Russland gefordert, sich kritisch zu Waffenlieferungen an die Ukraine geäußert. Das klingt auch an diesem Tag an.
Ralf Stegner, SPD, Bundestagsabgeordneter
"Ne weltweite Aufrüstung wird unsere Probleme auch nicht lösen, das ist nicht das, was wir brauchen!"
Betreibt der Sozialdemokrat eine Art Geheim-Diplomatie mit den Russen?
Kontraste
"Wir haben eine Frage zu Ihrer Reise nach Baku Mitte April. Da sind Sie ja mit hochrangigen russischen Vertretern zusammengetroffen. Was hat Sie denn genau bewogen, da hinzufahren?"
Ralf Stegner, SPD, Bundestagsabgeordneter
"Wir haben heute den 1. Mai und reden hier über die Mai-Kundgebung und nicht über private Reisen, die ich unternehme, und insofern kann ich gerne was zum 1. Mai sagen, wenn Sie möchten."
Kontraste
"Na es geht ja auch um unser Verhältnis zu Russland, um Krieg ging es vorhin in den Reden, ist ja durchaus Thema. Das heißt, es war eine private Reise von Ihnen?"
Ralf Stegner, SPD, Bundestagsabgeordneter
"Ich will mich dazu hier nicht äußern."
Kontraste
"Waren Sie denn da in Abstimmung mit der Bundesregierung oder ist das so Ihre persönliche Schatten-Diplomatie?"
Ralf Stegner, SPD, Bundestagsabgeordneter
"Ich sage das noch mal, zu solchen Fragestellungen äußere ich mich öffentlich nicht, zu privaten Dingen."
Nur private Dinge? Zweifel sind erlaubt. Denn nach unseren Recherchen stehen die Treffen in Baku unter dem bedeutungsvollen Titel: "Petersburger Dialog".
Begründet wurde dieser Dialog von den Duz-Freunden Gerhard Schröder und Wladimir Putin, 2001, in ganz anderen Zeiten. Ein pompöses Gesprächsformat, um Geschäfte anzubahnen und um Deutsche und Russen einander näher zu bringen. Je autoritärer Russland über die Jahre wurde, umso mehr verkam der Dialog zur Farce.
Das Ende dann der russische Angriff auf die Ukraine. Die deutsche Seite löste den Petersburger Dialog daraufhin formal auf.
Nun aber scheint man in Baku an einer Fortsetzung zu arbeiten. Neben Stegner mit dabei:
Der ehemalige SPD-Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, lange im Vorstand des Petersburger Dialogs.
Ronald Pofalla von der CDU, gut vernetzter Ex-Chef des Bundeskanzleramts – und zeitweise Leiter des Petersburger Dialogs.
Stephan Holthoff-Pförtner, bis vor drei Jahren CDU-Minister in Nordrhein-Westfalen.
Und: Michael Hoffmann, Russland-Lobbyist und ehemaliger Geschäftsführer des Petersburger Dialogs.
Keiner von ihnen dementiert die Teilnahme. Hoffmann lässt uns im Namen auch anderer von uns Angeschriebener wissen, solche Treffen wie in Baku hätten "einen privaten Charakter, das heißt sie erfolgen weder im Rahmen noch im Auftrag noch mit Finanzierung irgendwelcher öffentlicher Institutionen, so auch im Fall der von Ihnen angesprochenen Begegnung."
Es wirkt, als habe sich die prominente Reisegruppe um Stegner abgesprochen.
Ralf Stegner, SPD, Bundestagsabgeordneter
"Ich kann nur sagen: Ich äußere mich zu privaten Dingen nicht, bin nicht im Auftrag von irgendjemanden unterwegs gewesen. Ich habe keine Mittel in Anspruch genommen von irgendjemandem."
Kontraste
"Und was haben Sie dann privat in Baku gemacht, wenn ich fragen darf?"
Ralf Stegner, SPD, Bundestagsabgeordneter
"Das ist privat (haha)"
Eine Deutung, die der Politikwissenschaftler Stefan Meister nicht gelten lässt:
Stefan Meister, Osteuropa-Experte, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
"Ich formuliere es mal so: Die russische Seite sieht das nicht als Privattreffen an. Die russische Seite sieht ihn sozusagen als eine Schlüsselperson in der sozialdemokratischen Partei an, der Zugänge hat zu wichtigen Entscheidungsträgern und der eben ne eher kooperative Position zu Russland hat, um ihn in bestimmte Netzwerke hineinzuziehen, möglicherweise zu beeinflussen. Also aus einer russischen Sicht ist er nur interessant als offizielle, nicht als Privatperson."
Wie brisant das Treffen in Baku tatsächlich war, zeigen die Teilnehmer auf russischer Seite: Die Moskauer Delegation wurde nach Recherchen der Zeit und von Kontraste angeführt von Viktor Subkow, ehemaliger russischer Ministerpräsident, Weggefährte Putins und Aufsichtsratschef von Gazprom.
Subkow kennt die Deutschen gut: Hier 2015, umrahmt von Pofalla und Platzeck.
Lange Jahre führte Subkow für die russische Seite den Petersburger Dialog – und das ganz im Sinne des Regimes in Moskau, sagt die Russland-Expertin Sabine Fischer.
Sabine Fischer, Russland-Expertin, Stiftung Wissenschaft und Politik
"Er hat diesen Petersburger Dialog über Jahre mit gesteuert und mit instrumentalisiert, hat sich da eben wirklich als Instrument des Kreml, wenn man so will, verdient gemacht. Ist natürlich damit weiterhin ein wertvolles Instrument, weil er diese persönlichen Kontakte hat."
Neben Subkow saß mit Sergei Kolin noch ein weiterer Vertreter von Gazprom am Tisch. Außerdem Waleri Fadejew, Vorsitzender des Präsidialrats für Menschenrechte und Berater Putins.
Wegen der Verbreitung von Kriegspropaganda gegen die Ukraine steht Fadejew persönlich unter europäischen Sanktionen, er darf nicht in die EU einreisen. Sich ausgerechnet mit ihm und Subkow konspirativ in Baku zu treffen – damit setze man ein fatales Zeichen, sagt Sabine Fischer.
Sabine Fischer, Russland-Expertin, Stiftung Wissenschaft und Politik
"Man sendet das Signal, dass es auf der deutschen Seite weiterhin – trotz des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine, trotz des hybriden Krieges, den Russland gegen Deutschland, gegen andere europäische Demokratien führt – dass man trotz all dieser Aggression keine einheitliche Position hat, dass es in Deutschland weiterhin Akteure gibt, die das Verhältnis mit Russland normalisieren. Und das liefert der russischen Seite Einfluss-Kanäle."
Was aber treibt Stegner und Co an? Geht es um Geld? Um Bedeutung? Eine politische Mission? Handelte man vielleicht doch mit Billigung oder sogar im Auftrag der Bundesregierung?
Das Auswärtige Amt dementiert das auf unsere Anfrage hin:
"Die erwähnten Treffen sind weder im Auftrag der Bundesregierung erfolgt noch geplant worden."
Ein Alleingang wäre im Falle Ralf Stegners wohl besonders heikel. Denn Stegner ist Geheimnisträger – er gehört dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages für die Geheimdienste an, so wie auch Roderich Kiesewetter von der CDU:
Roderich Kiesewetter, CDU, Bundestagsabgeordneter
"Es geht nicht an, dass wir auf der einen Seite uns intensiv über die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und die Fähigkeiten unserer Dienste austauschen und auf der anderen Seite Objekt russischer Diskussionsveranstaltungen werden. Ist er mit einem zweiten Handy gereist? Wie hat er sich geschützt? Welche Maßnahmen gab es im Vorfeld? Hat er hinterher den Bundesnachrichtendienst informiert? Ja oder nein? Solche Fragen muss er sich dann schon gefallen lassen."
Was Ralf Stegner auf diese Fragen antwortet? Man glaubt es zu wissen:
Ralf Stegner, SPD, Bundestagsabgeordneter
"Das ist privat, haha."