- Keine Stolpersteine - wenn Kommunen das Gedenken blockieren

Messingschilder auf Pflastersteinen mit den Namen jüdischer Opfer von NS-Verbrechen - bundesweit werden die so genannten Stolpersteine verlegt. Doch gerade im ländlichen Raum tut man sich schwer mit der Erinnerung. KONTRASTE hat eine Gemeinde in Bayern unter die Lupe genommen.

Kennen Sie die sogenannten Stolpersteine, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern? Viele hundert Orte und Gemeinden in Deutschland haben sich diesem „Projekt gegen das Vergessen" schon angeschlossen. So sehen die Steine aus: Schauen sie mal. Das sind Pflastersteine, die mit Messing bezogen sind, eingraviert jeweils ein Name mit den Lebensdaten eines Menschen, der im Holocaust ermordet wurde. Verlegt werden die Stein dann, so wie hier bei einer Aktion kürzlich in Hannover, direkt vor dem Wohnhaus, in dem die Opfer zuletzt gelebt haben. Passanten stolpern also im wahrsten Sinne des Wortes über die Geschichte des eigenen Ortes. Mehr als 25.000 Stolpersteine wurden schon europaweit verlegt. Dennoch, so zeigen unsere Autoren Manka Heise und Chris Humbs, gibt es gerade in den ländlichen Regionen Deutschlands dagegen offensichtlich große Vorbehalte.

KONTRASTE
„Warum wäre es gerade schön, hier vor diesem Haus zwei Stolpersteine zu verlegen?“
Sammy Golde
„In meinem Fall, meine Familie hat hier über mehrere Generationen gelebt, die waren integriert in die Gesellschaft und da gibt es genug Informationen darüber. Und man hat denen das Leben genommen, man hat das Eigentum genommen, man hat die Würde genommen.“

Hier auf dem Bürgersteig will der Münchner Sammy Golde gerne Stolpersteine verlegen, vor dem ehemaligen Wohnhaus der Rosenbergers, seinen Urgroßeltern. Zilly und Raphael Rosenberger lebten in der kleinen Gemeinde Schonungen im Norden Bayerns. Von hier aus wurden sie ins KZ Theresienstadt deportiert. Ein Jahr später waren sie tot.

Im Ort respektierte man die Familie. Raphael Rosenberger war bei der Feuerwehr und Vertreter im Ortsvorsorge-Ausschuss. Sie betrieben ein Viehgeschäft.

Ende der 30er Jahre wurden die Rosenbergers zwangsenteignet, ihnen das Haus genommen. Es ging in den Besitz des Schonunger Bürgers Oskar Mai über. Seine Tochter Maria lebt noch heute dort. Dass die Stolpersteine im Bürgersteig direkt vor ihrem Haus verlegt werden, das will sie nicht.

KONTRASTE
„Guten Tag, ich komme von der ARD. Und zwar habe ich erfahren, dass man hier eigentlich hier vor Ihrem Haus Stolpersteine hätte verlegen wollen. Und dann hat man mir gesagt, dass Sie das nicht so gerne wollten. Warum nicht?“
Anwohnerin
„Warum sollen wir immer daran erinnert werden, für was, was wir gar nichts dazu können? Ich weiß davon damals gar nichts. Ich bin da ja erst hinein geboren worden.“
KONTRASTE
„Was stört Sie jetzt konkret an den Stolpersteinen? Das erinnert ja erstmal an die Juden, wo die damals gelebt haben.“
Anwohnerin
„Meine Güte, jetzt ist das schon so lang her. Sollen wir denn ewig denn daran erinnert werden, alle Nachkommen und noch die Nachkommen? Im Nachhinein. Also, machen Sie bitte die Tür zu.“
KONTRASTE
„Machen wir.“

Mit dem ehemaligen jüdischen Leben im Ort scheint man grundsätzlich ein Problem zu haben. Die kleine Synagoge von Schonungen – verwüstet während der sogenannten Reichkristallnacht – wurde nach dem Krieg zuerst in eine Garage und dann Stück für Stück zu einem Wohnhaus umgebaut.

So passt es ins Bild, dass es auch keine öffentliche Diskussion gab, ob nun Stolpersteine in der Gemeinde verlegt werden sollen oder nicht. Stattdessen wurde in einer nicht-öffentlichen Gemeinderatssitzung abgestimmt. Gegen die Stolpersteine.

Die offizielle Begründung für das Nein: bauliche Mängel. So fehlt – angeblich - vor diesem Haus ein ordentlicher Gehsteig, wo die Stolpersteine verlegt werden könnten. Das zumindest führt der Bürgermeister als zentrales Argument an – und quält sich dabei, das zu erklären.

Kilian Hartmann (CSU), Bürgermeister Schonungen
„Vor einem Anwesen existiert kein Gehsteig und in einem anderen Bereich ist das Umfeld, das bauliche Umfeld, nach unserer Auffassung wirklich nicht geeignet, Stolpersteine zu verlegen.“

Das Haus sei angeblich zu unrenoviert, um zu erinnern. Da man beschlossen hatte, Stolpersteine entweder vor alle vier Häuser zu setzen, in denen ermordete Juden gelebt haben, oder vor keines, lautete letztlich das Ergebnis: gar keine Stolpersteine.

Klaus Reimann von der SPD sitzt mit im Gemeinderat. Auch er stimmte gegen die Verlegung. Er benennt die wahren Gründe der Ablehnung ohne Umschweife.

Klaus Reimann (SPD), Gemeinderat Schonungen
„Da haben wir halt gemeint, dass die Idee, einen Stolperstein direkt vor irgendein Haus zu setzen, in dem Menschen wohnen, die halt mit der ganzen Geschichte, ich sage halt jetzt Geschichte als Vergangenheit, nichts mehr zu tun haben, dass das wahrscheinlich die Bewohner überfordern würde.“
KONTRASTE
„Warum haben Sie gedacht, dass das die Bewohner überfordern könnte?“
Klaus Reimann (SPD), Gemeinderat Schonungen
„Naja, stellen Sie sich mal vor, Ihre Eltern wohnen in einem Haus und Sie erben dieses Haus. Und dann kommt irgendwann mal jemand und sagt: ‚Ey, da hat vielleicht…, habt Ihr das nicht so erworben, was war denn da damals, wie haben das Ihre Vorfahren erworben?‘ Und das war halt so der Gedanke.“

Eventuelle Fragen, wie man zu seinem Besitz gekommen ist, sollen in Schonungen nicht gestellt werden. Und damit steht Schonungen exemplarisch für die meisten Gemeinden und Kleinstädte in Deutschland.

Klaus Reimann (SPD), Gemeinderat Schonungen
„Wir müssen halt auch an die Bevölkerung denken, an den Bewohner. Der ist nicht anonym für uns. Den kennt man."

Nur 50 Kilometer entfernt: Kitzingen. Auch hier kennt man sich. Kitzingen zählt 20 000 Einwohner. Doch hier gibt es Stolpersteine. Inzwischen 54. Dieser erzählt die Geschichte der Mitbürgerin Lilli Willner – sie wurde zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern ermordet.

Dagmar Voßkühler wollte mit dieser Art des Gedenkens an das jüdische Leben erinnern und Bernd Moser, der damalige Bürgermeister, hat das Verlegen der Stolpersteine angeordnet. Trotz des Widerstands von Kitzinger Bürgern, trotz der Proteste von Hauseigentümern.

Bernd Moser (SPD), Altbürgermeister Kitzingen
„Da habe ich gesagt zu ihnen: ‚Sie können sich ihre eigene Geschichte nicht aussuchen. Sie sind Kinder aus dieser Stadt und auch aus diesem Haus. Und damit müssen sie leben. Sie müssen das für sich selbst verarbeiten.‘ Und das kann man nicht dadurch tun, indem man es also unterdrückt, sondern man muss sich damit aktiv auseinandersetzen.“

Reden. Überzeugen. Im benachbarten Schonungen passiert das nicht.

Sammy Golde wollte mit den Steinen nicht nur seiner Urgroßeltern gedenken und Menschen über diese konkrete Verbrechen mitten im Ort stolpern lassen - er wollte damit auch ein Signal der Versöhnung geben. Ein Signal, das man hier nicht erwidern möchte.

Klaus Reimann (SPD), Gemeinderat Schonungen
„Ich finde, Herr Golde müsste das einfach mal akzeptieren, dass es so gelaufen ist.“

Es ist bemerkenswert, dass gerade dort der Schlussstrich gefordert wird, wo die Aufarbeitung noch ganz am Anfang steht.