- Sanierungsfall Auschwitz: Wie viel ist Deutschland das Gedenken wert?

Das Gedenken an das KZ-Auschwitz oder das Vernichtungslager Sobibor wach zu halten, das fordern Politiker immer wieder. Seit vier Jahren versucht eine polnische Stiftung 120 Millionen Euro zusammenzutragen, um den Verfall der KZ-Anlage Auschwitz zu stoppen. Doch die Beteiligung Deutschlands ist zu gering.

Wenn es um das Gedenken an die Opfer des Holocausts geht, hat Bundeskanzlerin Merkel einen klaren Standpunkt. Die Deutschen trügen eine immerwährende Verantwortung für die Verbrechen der Nazis, so die Kanzlerin. Seltsam nur, dass diesen Worten nicht immer Taten folgen: Ausgerechnet beim Erhalt der Gedenkstätte Auschwitz, dem Symbol des deutschen Massenmords an den Juden, zeigt sich die Bundesregierung beschämend knauserig, wie Chris Humbs und Markus Pohl aufdecken.

Über eine Million Menschen wurden hier von Deutschen ermordet. Auschwitz-Birkenau – ein Mahnmal, das rapide verfällt. Weil das Geld für den Erhalt fehlt.

Von den 45 noch existierenden Steinbaracken in Birkenau sind 40 für Besucher gesperrt: Einsturzgefahr. KONTRASTE erhält einmalige Einblicke. Ein Konservator der Gedenkstätte führt uns durch eine der baufälligen Häftlingsbaracken.

Lukasz Szoblik
Ingenieu, Gedenkstädte Auschwitz-Birkenau

„Wir sehen hier, wie sich der Balken verschoben hat. Wahrscheinlich ist das Fundament unter dieser Wand zu flach und der Frost führt dann dazu, dass es arbeitet."

Die Gebäude mussten die KZ-Häftlinge in aller Eile errichten. Sie waren nicht dafür gedacht, 70 Jahre zu halten.

Lukasz Szoblik
Ingenieur Gedenkstädte Auschwitz-Birkenau

„Der Grundwasserstand ist so hoch, dass sich im Winter dieser Bereich hebt und wieder senkt. Hier ist eine Bruchstelle: wenn man sich an diese Wand lehnt, würde man zusammen mit ihr umfallen."

Mit Notmaßnahmen stemmt man sich gegen den Verfall. Den Zustand des Gedenkortes hält der Verband der Auschwitz-Überlebenden für unhaltbar und ruft zum Handeln auf.

Christoph Heubner
Internationales Auschwitz Komitee

„Das ist ein deutsches Konzentrations- und Vernichtungslager. Da kommen wir her. Und da wollen wir nie wieder hin. Und dafür zu sorgen, dass dieses als mahnende Erinnerung im Gedächtnis bleibt, dazu hat die deutsche Seite jede Verpflichtung."

Eine Verpflichtung, der Deutschland offensichtlich nicht ausreichend nachkommt. 2009 wurde eine Stiftung zum Erhalt der Anlage gegründet. 120 Millionen €, so erfahren wir vom Stiftungsleiter, sollten weltweit eingesammelt und fest anlegen werden.

Jacek Kastelaniec
Direktor Stiftung Auschwitz-Birkenau

„Die Zeit spielt eine sehr große Rolle. Es geht darum, so schnell wie möglich Geld zusammen zu bekommen, damit der Ort erhalten werden kann. Eigentlich wollten wir die Summe nach zwei bis drei Jahren eingesammelt haben. Das war unerreichbar."

Nach vier Jahren Bitten und Bettelns fehlen auf dem Stiftungs-Konto immer noch 60 Millionen Euro.

Um die notwendigen Arbeiten anpacken zu können, reichen die Zinserträge aus dem langfristig angelegten Geld bei weitem nicht aus. Auschwitz zerfällt.

Obwohl die dramatische Situation auch in Deutschland bekannt ist, hat das Außenministerium bis jetzt nur 36 Millionen Euro überwiesen.

Zuständig für die deutsch-polnischen Beziehungen ist die amtierende Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper. Wir treffen sie bei einem Außentermin.

Cornelia Pieper (FDP)
Staatsministerin Auswärtiges Amt

„Ich kann eigentlich keine Finanzierungslücke erkennen. Denn Deutschland hat sehr viel Geld auch in die Stiftung gegeben. Ich weiß, dass wir da sehr großzügig auch gehandelt haben.“

Deutschland gibt sich gönnerhaft - während in Auschwitz-Birkenau wegen Geldmangels die Probleme nicht zu bewältigen sind.

Die industrielle Vernichtung der Juden setzten die Deutschen fast ausschließlich auf polnischem Gebiet um. Ganz im Osten Polens: Sobibor. Hier war das geheimste Vernichtungslager. Für ein Gedenken an diesem Ort hat Deutschland keinen Cent übrig.

Wir treffen Philip Bialowitz. Er ist einer der wenigen Überlebenden. Als 13jähriger wurde er ins Vernichtungslager Sobibor verschleppt - wie durch ein Wunder konnte er sich befreien.

Philip Bialowitz
Holocaust Überlebender

„Es ist mein Ziel, ein spezielles Denkmal in Sobibor zu errichten - für zukünftige Generationen. Weil es ist unbeschreiblich was in Sobibor geschehen ist."

Dieser amerikanische Film aus den 80er Jahren erzählt über das Schicksal von Philip Bialowitz - hier als Junge.

Mindestens 150.000 Menschen wurde in Sobibor ermordet. Bis hier der größten Aufstand in einem Vernichtungslager ausbrach.

Philip Bialowitz war einer von 47 Todgeweihten die überlebten. Nun soll hier 70 Jahre danach eine angemessene Gedenkstätte mit Museum entstehen.

Es gibt Pläne, doch es fehlt auch hier an Geld. Gut drei Millionen Euro sind notwendig. Knapp zwei sind gesichert. Polen, die Niederlande, Slowakei und Israel unterstützen das Gedenken an die Ermordeten finanziell. Und Deutschland beteiligt sich nicht. Der Beauftragte der polnischen Regierung für die Gedenkstätte in Sobibor ist ratlos.

Dariusz Pawlos
Vorsitzender Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung

„Nie gab es die Idee dass die Bundesrepublik nicht dabei ist. Jeder eigentlich, die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen, andere Länder fragen immer ob Deutschland schon längst dabei ist. Wir sagen nein und niemand versteht die Gründe warum das noch nicht erfolgt ist.“

In diesem Brief vom Januar bittet die polnische Regierung den Deutschen Botschafter in Warschau um Hilfe, um eine, Zitat:
„finanzielle, wie auch inhaltliche Beteiligung…staatlicher Stellen…"

Doch der Bundesregierung ist kein Argument zu schade, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Cornelia Pieper (FDP)
Staatsministerin Auswärtiges Amt

„Man hat uns gesagt, dass man bis jetzt Projekte in Sobibor mit anderen Partnern vorbereitet, also mit den Ländern, die davon betroffen waren, die dort auch Inhaftierte hatte. Da war Deutschland nicht dabei."

Zynisch und falsch!

Ein Blick in das Bundesarchiv macht deutlich: Es gab deutsche Opfer – über 20.000 deutsche Juden wurden in Sobibor ermordet. All diese Menschen soll es laut Frau Pieper nicht gegeben haben.

Letzte Woche war Philip Bialowitz in Berlin. Als Zeuge des Massenmords wertete er Fotos aus. Er war auch im Bundestag, bat nochmals um eine finanzielle Unterstützung Deutschlands für den Gedenkort.

Philip Bialowitz
Holocaust-Überlebender

„Ich denke Sobibor ist ein Symbol für all die Orte an denen Juden für ihre Würde und das Überleben kämpften. Vor allem die junge Generation soll nach Sobibor kommen können."

Von Seiten der noch amtierenden Regierung hat sich niemand für ihn und sein Anliegen interessiert.

Dariusz Pawlos
Vorsitzender Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung

„Die deutsche Regierung muss ihre Meinung zu diesem Thema revidieren und eine neue Position übernehmen."

Sehr bald können nur noch die Orte der Verbrechen erzählen, was geschehen ist. Sie müssen erhalten bleiben. Diejenigen, die nach Auschwitz-Birkenau kommen, sind zutiefst beeindruckt.

Schüler
„Komplette Überwältigung. Man stellt sich das nicht so vor. Es ist unglaublich, wenn man das hier sieht."
„Man lernt das ja in der Schule alles. Aber wenn man dann hier ist, dann sieht man das und dann kann man sich eigentlich die Dimension vorstellen, was eigentlich wirklich war."
„Auch was das für Zahlern sind, wie viele Leute da sind, die umgebracht wurden: da fehlen einem einfach die Worte."


 

Beitrag von Chris Humbs und Markus Pohl