Gefängniszelle (Quelle: rbb)

- Um das Leben betrogen - die grausamen Folgen des 17. Juni

Die DDR wollte den Aufbau mit Macht und Gewalt durchsetzen. Doch statt Wohlstand für alle gibt es: Enteignung, Zwangskollektivierungen, Verhaftungen. Als auch noch die Arbeitsnormen erhöht werden, rufen Bauarbeiter den Streik aus. Am 17. Juni wird daraus ein Volksaufstand, der schließlich blutig niedergeschlagen wird. Fast 100 Menschen sterben. Eine beispiellose Verhaftungswelle läuft. Auch Heinz Grünhagen kommt ins Gefängnis. Bis heute leidet er an den Folgen dieser Ungerechtigkeit. Ein Porträt von Steffen Mayer und Roland Jahn.

Vor 50 Jahren wagten die Arbeiter in Ostberlin den Aufstand. Gegen brutale Arbeitsbedingungen, für freie Wahlen. Viele haben diese Mutprobe gegen das SED-Regime mit ihrem Leben bezahlt, viele mit langen Haftstrafen.

Am 17. Juni werden wir uns offiziell und öffentlich an diesen Tag erinnern, es wird Feierstunden geben und Gedenkreden. Bloß die Mutigen von damals, die den Volksaufstand gewagt haben, die haben bis heute keine Opferrente für ihre Leiden bekommen.

Roland Jahn und Steffen Mayer sind mit einem von ihnen den Weg durch Haft und Folter, Angst und Demütigungen noch einmal gegangen.



Nach 50 Jahren kehrt Heinz Grünhagen zum Ort seiner Schrecken zurück: das Zuchthaus Luckau in Brandenburg. Bis heute ist er nicht wirklich frei davon.

Heinz Grünhagen:
"Das deutlichste, was mir noch anhaftet, ist die Misshandlung hier, das ist das Schlimmste, was einem noch anhaftet, die Unmenschlichkeit, die Einzelzelle."

Heinz Grünhagen wurde eingesperrt, da war er gerade 20 und voller Pläne. Er hatte kurz zuvor geheiratet, seine Frau war schwanger. Doch er kam ins Zuchthaus, wegen Aufwiegelung, Boykotthetze, Verbrechen gegen die DDR.

Musik:
"Bau auf, bau auf!"

1953. Die DDR-Regierung will den Aufbau des Sozialismus durchsetzen, doch statt Wohlstand für alle gibt es: Zwangskollektivierungen, Verhaftungen. Die Versorgungslage wird immer schlechter, es herrscht Mangel an Grundnahrungsmitteln, die Preise steigen. Und dann erhöht die Regierung die Arbeitsnormen, das heißt der Lohn wird gekürzt. Das Maß ist voll, Bauarbeiter der Berliner Stalinallee rufen den Streik aus.

Heinz Grünhagen war damals Vorarbeiter auf einer Baustelle bei Berlin. Hier im Strausberger Wald bauten sie Kasernen. Er erinnert sich noch genau, die Arbeiter waren stinksauer, wegen der Normenerhöhung.

Heinz Grünhagen:
"Abends am 16., wie ich nach Hause kam, da hörte ich ja bloß, in Berlin wird gestreikt, das haben wir aber auch noch nicht für bare Münze genommen, aber nun morgens, am 17. bei der Arbeit, da war schon mehr durch, und da haben wir gesagt: Feierabend!, das wird unterstützt, Berlin Stalinallee, Solidaritätsstreik, das war unser Ziel."

Heinz Grünhagen wird in die Streikleitung gewählt. Ihre Protestfahrt nach Berlin wird an der Stadtgrenze gestoppt.

Aus dem Streik ist inzwischen ein Volksaufstand geworden. Die Arbeiter stellen jetzt politische Forderungen: Freie Wahlen, Nieder mit der Regierung! Die DDR-Regierung ruft die Russen zu Hilfe, der Aufstand wird brutal niedergeschlagen. Fast einhundert Menschen sterben. Eine beispiellose Verhaftungswelle folgt, es gibt Schnellgerichte, Todesurteile. Tausende werden zu teils langen Haftstrafen verurteilt.

Heinz Grünhagen ist einer der Verhafteten. Noch in der gleichen Nacht wird er abgeholt. Im Schlafzimmer, von der Seite seiner schwangeren Frau weg. Die Stasi verhört ihn drei Nächte lang, lässt ihn keine Minute schlafen. Am vierten Abend soll er gestehen, dass er im Auftrag des Westens gehandelt habe.

Heinz Grünhagen:
"Dann musste ich zu dem Vernehmer, der war das erste Mal in Uniform, der hat mir denn, weil ich ihm den Zettel, dass wir von den westlichen Geheimdiensten den Auftrag erhalten haben, den Streik vom Zaune zu brechen - und da habe ich gesagt zu ihm - das wusste ich genau, trotzdem ich so fertig war - das habe ich nicht! Na da kam er rum, schmeisst mich vom Hocker, tritt mir mit den Beinen in den Hintern und dann musste ich mich an die Wand stellen, da war die Landkarte von Frankfurt/Oder dranne und da habe ich nun gestanden, und Hände hoch, und nun machen sie mal, Hände hoch. Da habe ich ehrlich gedacht, jetzt ist Ende."

Unter Todesangst unterschreibt Heinz Grünhagen das erpresste "Geständnis", dann kommt der Schauprozess.

Heinz Grünhagen:
"Das war ein Prozess, zwei Staatsanwälte, die haben gebrüllt, ehrlich, die haben nur gebrüllt, wir hatten da kein Recht. Unser Offizialverteidiger, der uns eigentlich vertreten sollte, nicht mal vorher, bevor der Prozess angefangen hat, dass wir da ein Wort mit ihm wechseln, nichts, nichts. Der saß da wie eine Puppe, das war gestellt."

Die sechs Streikleiter von Strausberg bekommen harte Urteile: Zuchthaus, bis zu acht Jahren. Der 20 jährige Heinz Grünhagen kriegt fünf Jahre.

Nach fünfzig Jahren das erste Mal wieder im alten Gefängnis. Heinz Grünhagen konnte es damals gar nicht glauben, dass er tatsächlich eingesperrt wurde, wegen eines Streiks.

Heinz Grünhagen:
"Wir haben ja auch die erste Zeit immer noch gedacht, wir werden entlassen. Aber wir kriegten ja keine Zeitung, nichts, wir wußten ja nicht, was draußen vor sich ging. Man war voller Wut, manche schlaflose Nächte hier, das können sie sich ja vorstellen."

Weil er wegen des 17. Juni verurteilt war, wurde er in Einzelhaft gesperrt.

Heinz Grünhagen:
"Man war wie verzweifelt, man durfte am Tage nicht schlafen, dann gucken sie durch den Spion rein, wenn sie einen ertappten, haben sie einen angebrüllt und abends dann, konnte man sich hinlegen. Sie können sich ja vorstellen, wie einem zu Mute ist, man ist ... ich weiß nicht, ich habe keine Worte dafür."

Nach vier Monaten in Einzelhaft, hält er es nicht mehr aus. Kein Gespräch, keine Zeitung, kein Buch, nichts. Heinz Grünhagen versucht sich umzubringen, verschluckt einen scharfen Löffelstiel.

Heinz Grünhagen:
"Ich weiß nicht, ob sich das einer vorstellen kann, man war fertig, mir war alles egal, hätten sie eine Pistole genommen und hätten einen erschossen, man war fertig, einfach fertig."

Heinz Grünhagen überlebt den Selbstmordversuch. Statt in die Einzellzelle, wird er jetzt mit dreiundfünfzig Mann zusammengesperrt. Er muss auch Zwangsarbeit leisten, im Steinbruch. Dreieinhalb Jahre Haft verbüßt er insgesamt.

Heinz Grünhagen:
"Wissen sie, über den Tag hat es mir weggeholfen, jeden Monat durfte ich einen kleinen Brief, Feldpostbrief, an die Frau schicken. Und wenn ich dann von der Frau Antwort bekommen habe, sie können mir glauben, so bitter wie es klingt, das hat mir Kraft gegeben, dass meine Frau zu mir steht, das hat mir unheimlich Kraft gegeben, das hier zu überstehen."

Nach der Entlassung kehrt Heinz Grünhagen zu seiner Frau zurück. Er sieht zum ersten Mal seine Tochter, sie ist schon drei Jahre alt. Sie fürchtet sich vor dem eigenen Vater.

Heinz Grünhagen:
"Sie müssen sich mal vorstellen, wie es in mir gewesen ist, wie mir zu Mute war. Nie gesehen, bis ich nach Hause gekommen bin. Und dann rennt sie noch weg von einem, ist ja verständlich. Das war das Allerschwerste."

1961 wird der Sohn geboren. Wegen der Familie ist Heinz Grünhagen nicht aus der DDR geflüchtet. Er arbeitet im Straßenbau, die Stasi beobachtet ihn ständig. Er hat sich dem System nicht gebeugt. Eine berufliche Karriere war ihm verwehrt.

Heinz Grünhagen:
"Wer weiter wollte, musste mitmachen oder in die Partei eintreten, dann hat er die Vorteile gekriegt, dann kriegt er einen Studienplatz und alles, wie es so war. Wer nicht mitgemacht hat, war weg."

Heute bekommen Heinz Grünhagen und seine Frau nur eine sehr kleine Altersrente. Sie werden vom Sozialamt unterstützt. Und noch immer quälen ihn seine Erinnerungen.

Heinz Grünhagen:
"Also, da kommt man nicht von los, ich sage Ihnen, ich bin manche Nächte, ich muss dann aufstehen, eine Zigarette rauchen. Die volle Wut kommt dann hoch, was die mit einem gemacht haben."

Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde Heinz Grünhagen rehabilitiert. Seine Kameraden aus der Streikleitung, die mit ihm zusammen verurteilt wurden, sind inzwischen tot. Um sie zu ehren, hat er für einen Gedenkstein gekämpft, elf Jahre lang. Doch die Namen der Opfer werden unterschlagen, diese Ehrung hat ihnen die Stadt Strausberg verweigert. Heinz Grünhagen kämpft weiter.

Heinz Grünhagen:
"Ich habe in der DDR sehr gelitten unter dem 17. Juni, meine Familie, mein Junge, alle. Und dass ist meine Pflicht und Schuldigkeit, meinen Kameraden - die tot sind - ihnen die letzte Ehre zu erweisen, zum 50. Jahrestag."

Und wenn Sie, liebe Zuschauer zum 50. Jahrestag am 17. Juni die Gedenkreden hören, erinnern Sie sich, dass es für Menschen wie Heinz Grünhagen keine Opferrente gibt. Sie wissen ja, die knappen öffentlichen Kassen.