- Umstrittener Namensgeber: Wernher von Braun zwischen SS und NASA

Wernher von Braun: NSDAP-Mitglied, SS-Sturmbannführer. Von Braun war an der Ausbeutung von KZ-Häftlingen beteiligt, ließ sie seine "Wunderwaffen" für den Endsieg bauen. In Deutschland tragen noch heute Schulen seinen Namen. Schließlich, so die Verantwortlichen, ging der Ingenieur später als Raumfahrtpionier in die Geschichte ein.

So kennen Sie ihn alle: Wernher von Braun - den Helden der Raumfahrt. Der deutsche Ingenieur brachte US-Astronauten bis zum Mond. Doch was viele nicht wissen: von Braun war auch an den Verbrechen der Nazis beteiligt. Doch dafür hat er nie Verantwortung übernommen.„Die Wissenschaft", rechtfertigte sich der Raketenforscher im Dienste Adolf Hitlers, " hat keine moralische Dimension". Trotz seiner braunen Vergangenheit ist noch heute so manche deutsche Schule nach ihm benannt, Kritik unerwünscht. Caroline Walter und Chris Humbs.

Friedberg in Bayern. Josef Pröll engagiert sich seit 15 Jahren für eine Umbenennung dieser Schule - des Wernher von Braun Gymnasiums.

Josef Pröll
„Ich frage mich, warum fast 70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager ein Gymnasium den Namen eines Täters tragen muss. Es eigentlich nicht auszuhalten, wenn man die Opfer denkt, an die die vielen Opfer."

Die Familie Pröll entschied sich im Dritten Reich für den Widerstand. Sein Onkel Fritz starb in dem KZ, das zu Wernher von Brauns Raketenfabrik gehörte.

Doch die Schule hält an ihrem Namenspatron bis heute fest. Die meisten Schüler haben kein Problem damit.

Schüler
„Ich find den Namen von unserer Schule ganz normal. Also Wernher von Braun. Also, der hat ja viel für die Welt gemacht. Ich finde den Namen schon toll."
„Also, die Schüler haben abgestimmt, dass sie sich damit identifizieren. Und das soll nicht geändert werden."
„Er hat halt schon viele Sachen wirklich auch erfunden, die auch gut sind. Und so. Und so wirklich viel Schlechtes verbinde ich jetzt nicht mit ihm."

Wernher von Braun: Seine Karriere beginnt im Dritten Reich. Schon 1933 tritt er in die SS ein. Hitler fördert den jungen Ingenieur. Von Braun kann in Peenemünde Raketen für den Krieg entwickeln, die Terrorwaffe V2.

Er überzeugt Hitler persönlich von seiner so genannten Wunderwaffe - mit diesem Werbefilm. Hitler ist begeistert, ordnet die Massenproduktion der V2 an.

Wir sind in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, in Thüringen: hier wurde unterirdisch in einer Tunnelfabrik die V2 hergestellt - mit angeschlossenem KZ-Lager. André Laroche war im französischem Widerstand und einer der vielen Zwangsarbeiter von Mittelbau-Dora. Er musste in überfüllten Baracken hausen, bis zur Erschöpfung Raketenhüllen zusammenschweißen und bekam kaum etwas zu essen. Am Ende wog er nur noch 38 Kilo.

André Laroche
KZ-Überlebender

„Bereits auf dem Weg zum Tunnel brachen einige Kameraden zusammen. Wir mussten sie auffangen oder an den Wegesrand legen, wo sie von der SS erschlagen wurden."

Wegen kleinster Fehler, Nichtigkeiten, wurde man einfach erhängt.
An die Besuche Wernher von Brauns in der Tunnelfabrik erinnert sich Laroche genau.

André Laroche
KZ-Überlebender

„Ich selbst habe ihn dort drei Mal gesehen. Er ging durch einige Hallen, um nach dem Rechten zu sehen und er war stets in Begleitung einiger Personen, die seine Befehle ausführten."

Die V2 Produktion kostete ca. 20.000 Zwangsarbeitern das Leben.

Wie sehr von Braun in die Verbrechen verstrickt war, zeigt dieses Dokument: 1944 besuchte er auch das KZ Buchenwald. Er schreibt in einem Brief, Zitat:
„Ich … habe mir … in Buchenwald einige weitere geeignete Häftlinge ausgesucht und … ihre Versetzung ins Mittelwerk erwirkt."

Für Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, war Wernher von Braun weit mehr als nur ein Mitläufer, wie viele heute noch denken.

Jens-Christian Wagner
Historiker

„Niemand hat ihn dazu gezwungen, KZ Häftlinge für die Raketenproduktion des Mittelwerkes zu mustern - in Buchenwald. Niemand hat ihn und seine Mitarbeiter in Peenemünde im Frühjahr 1943 gezwungen, bei der SS vorstellig zu werden und um die Zuweisung von KZ-Arbeitskräften zu bitten. Das ist eigeninitiativ geschehen und eigenverantwortlich. Und damit, wie man im Juristendeutsch sagt, voll schuldfähig."

Die V2-Raketen wurde auf London abgeschossen - und brachten Tausenden Zivilisten den Tod.

Von Braun feierte zur selben Zeit seine Verleihung des Ritterkreuzes und lachte über die Rückseite der Tischkarten - die makabre Karikaturen wie diese zeigten. 1945 Kriegsende: Das KZ Mittelbau Dora wird von den Alliierten befreit.

Wernher von Braun versucht dagegen einer Strafverfolgung zu entgehen. Er bietet den Amerikanern die V2 Pläne an, unter der Bedingung, mit seinem Team in die USA ausreisen zu können.

In Amerika baute von Braun zuerst wieder Waffen, eine Trägerrakete für Atomsprengköpfe. Dann sein Wechsel zur NASA - er ermöglichte die Mondlandung und wurde dafür gefeiert - trotz brauner Vergangenheit.

Kann eine Schule noch heute den Namen Wernher von Braun tragen? Der Schulleiter und die Geschichtslehrer wollen sich unseren Fragen vor der Kamera nicht stellen. Man mauert. Eine Mathelehrerin erklärt uns schließlich den offiziellen Standpunkt der Schule - warum man am Namen festhält.

Stefanie Hammerl
Lehrerin Wernher von Braun Gymnasium Friedberg

„Ich glaube, dass unsere Schüler durch die intensive und auch sehr kontroverse Auseinandersetzung mit dem Leben von Wernher von Braun in hohem Maße, in sehr hohem Maße, jetzt sensibilisiert sind für die ethische Verantwortung, die noch heute Naturwissenschaftler haben.“

Intensive Aufklärung hat sich die Schule also auf ihre Fahne geschrieben. Aber findet die wirklich statt? Wir fragen die Gymnasiasten.

Schüler
„Wie wir damit umgehen? Viel Beachtung wird dem eigentlich nicht so geschenkt, so an der Schule."
KONTRASTE
„Was ist denn mit seiner Nazi-Vergangenheit und dem Ganzen, den KZ-Häftlingen, die da seine Rakete gebaut haben?"
Schüler
„Ja, eigentlich ist es schon, man sollte es schon nicht würdigen, aber andererseits sollte man da auch nicht so Wert drauf legen."
„Okay. Es sind auch Leute gestorben. Aber für viele Sachsen sterben Leute. Ist schon ein bisschen Scheiße. Aber ich finde es jetzt nicht so schlimm."

Diese Aussagen kommen nicht von ungefähr. Der Physiklehrer Matthias Turba setzt sich seit 15 Jahren vehement für den Erhalt des Namens ein, und lässt die eigentliche Haltung der Schule durchblicken.

Matthias Turba
Wernher von Braun Gymnasium Friedberg

„Er war, ich würde heute sagen, rücksichtslos in Bezug auf Durchsetzung seiner wissenschaftlichen Interessen. Was es übrigens auch braucht. Denn die anderen Seite ist, er war Jahrzehnte an einem Thema dran, bis es geklappt hat. Wenn das heute kein Vorbild für unsere Schüler sein könnte - ich finde schon."

Bei allen Gesprächen, die wir geführt haben, spielten die Opfer, die Wernher von Braun mit zu verantworten hat, keine Rolle. Eine Pädagogik mit Folgen.

Schülerin
„Den Opfern kann man ja jetzt nicht mehr helfen, wenn man die Schule umbenennt. Was haben die Opfer davon?"
KONTRASTE
„Ja, sie fühlen sich ein stückweit zur Seite gedrängt die Opfer durch den Namen, weil sie sagen, der wird geehrt und an uns denkt hier keiner?“
Schülerin
„Na ja, ich finde, es sollte einfach so bleiben und die Opfer, die müssen damit leben."

Aufgeklärt klingt anders. André Laroche ist entsetzt, dass überhaupt eine Schule nach Wernher von Braun benannt ist.

André Laroche
KZ-Überlebender

„Er hat sich niemals entschuldigt. Und niemals hat er irgendetwas getan, dass man sein damaliges Verhalten hätte verzeihen können."

Schüler, die den Namen kritisch sehen, sind in der Minderheit am Gymnasium - wie Merlin. Er hat den Mut, offen zu berichten, wie an der Schule die Schuld von Brauns relativiert wird. Eine Lehrerin wollte negative Äußerungen nicht hören.

Merlin
„Sie hat das, was positiv war, also für Wernher von Braun, dass der Name beibehalten wird, das hat sie so ganz in hohen Tönen gelobt, 'ja richtig' , und wenn man was dagegen gesagt hat, dann kam sofort irgendwie 'nein, das stimmt doch gar nicht’.“

Merlin hat sich selbst informiert, sein Vater fuhr mit ihm nach Mittelbau-Dora. Er versteht die Sicht der Opfer. Die Schule dagegen kämpfe nur gegen die Kritiker.

Merlin
„Von der Schule kommt eigentlich nur Einseitiges, und die stellen sich jetzt stur, es heißt auch, ‚wir stellen uns jetzt extra stur, damit die anderen nicht gewinnen.' So ist jetzt eigentlich nur noch, ‚Ja wir wollen eigentlich nicht den Namen ablegen, damit die anderen nicht über uns triumphieren', mehr ist es jetzt eigentlich nicht mehr."

Dass es auch anders geht,zeigt diese Realschule in Baden-Württemberg. Sie hieß bis 2008 Wernher-von-Braun-Realschule. Schulleitern Christa Becker-Binder hat sich gegen Widerstände für eine Umbenennung eingesetzt. Hier seien alle froh, den Namen los zu sein.

Christa Becker-Binder
Schulleiterin Realschule Rheinstetten

„Ich kann das heute, aus der heutigen Zeit und von heutigem Stand aus überhaupt nicht nachvollziehen, dass man an dem Namen festhält. Dafür wissen wir einfach viel zu viel darüber, was Wernher von Braun während des Nationalsozialismus gemacht hat. Da wissen wir viel zu viel darüber, wie er es geschickt verstanden hat, seine Vergangenheit zu verschweigen und zu verschleiern. Und das kann kein Vorbild für Schüler, für junge Menschen sein.“

Genau. Übrigens: nicht nur Schulen, auch mehrere Straßen in Deutschland sind noch nach Wernher von Braun benannt.

 

Beitrag von Caroline Walter und Chris Humbs