Skinheads vor dem Bahnhof (Quelle: rbb)

- Ein Richter gegen Neonazis: Rechtradikale unter Kontrolle

Bis vor kurzem galt das brandenburgische Bernau als ein Hort von rechtradikalen Jugendlichen. Durch kluge Anwendung bestehender Gesetze hat sich nun ein Richter gegen die Neonazis durchgesetzt: Nicht als Richter gnadenlos, sondern durch schnelle und sehr gezielte Maßnahmen.

Eine kleine Chronik der Woche in der wir die deutsche Einheit feiern: In der Nacht zum dritten Oktober fliegen Molotowcocktails in eine Synagoge von Düsseldorf. Die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald wird mit Hakenkreuzen, gestern Nacht ein jüdischer Friedhof in Potsdam mit einem Galgen beschmiert. Und ebenfalls in der vergangenen Nacht wurden wieder zwei Obdachlose überfallen, einer starb. Die ganz alltäglichen rassistischen Übergriffe mal gar nicht erwähnt.
Den "Aufstand der Anständigen" fordert jetzt Bundeskanzler Schröder. Und immer lauter wird die Forderung nach schärferen Gesetzen, um rechtsradikale Täter schneller dorthin zu stecken, wohin sie gehören: hinter Gitter. Es braucht keine neuen Gesetze: In Bernau, in Brandenburg, praktiziert ein couragierter Richter genau das: Er schickt rechtsextreme Jugendliche ins Gefängnis. Und denkt sich für Bewährungsstrafen etwas aus, was ihnen Gelegenheit gibt, sich zu bewähren. Damit tut er nicht mehr, als die Gesetze, die wir längst haben, einfach anzuwenden!


Streife in Bernau. Die Polizei zeigt verstärkt Präsenz auf den Straßen. Auch heute wieder keine besonderen Vorkommnisse. Dabei war die 25.000 Einwohnerstadt in Brandenburg eine Hochburg rechter Gewalt. Doch seit Anfang des Jahres gibt es keine Überfälle mehr von Rechtsradikalen.

O-Ton/Streifen-Polizist:
"Man muß sagen, hier in Bernau ist es eigentlich relativ ruhig. Man kann nicht sagen, daß hier wirklich vermehrt rechte Gewalt auftritt."

Das war nicht immer so. Die rechte Szene Bernaus war bekannt für ihre brutalen Übergriffe. Ausländer wurden bedroht, andersdenkende Jugendliche durch die Stadt gejagt, und zusammengeschlagen.

O-Ton/Rechte Jugendliche:
"Früher war immer viel mehr los, da wurde rumgeprügelt wie Sau hier."
"Wir sind vorsichtiger geworden, indem wir uns nicht mehr so mit unserer Meinung äußern. Dass wird das auch teilweise nicht mehr so zeigen wie wir es früher gezeigt haben. Wir sind sehr viel vorsichtiger geworden."

ER hat die Szene verunsichert: die rechte Gewalt in Bernau in den Griff bekommen. Andreas Müller ist seit 3 1/2 Jahren Jugendrichter am Amtsgericht. 600 Fälle muß er im Jahr verhandeln. Immer wieder ist er mit Skinheads und rechtsradikalen Straftaten konfroniert.
Richter Müller ist kein Hardliner. Aber rechte Schläger können bei ihm nicht mehr automatisch mit Bewährung rechnen. Das hat sich herumgesprochen.

O-Ton/Andreas Müller, Jugendrichter:
"Sie sind ganz schön ruhig und haben immer die Angst, man weiß ja nie, nachher sitz ich ganz plötzlich im Knast. Also sie haben schon Angst, sie haben auch schon Angst davor, jetzt wegen Kleinigkeiten jetzt mal doch längere Zeit wegzugehen."

Angst haben die Rechten seit Anfang des Jahres.
Amtsgericht Bernau im April - vier rechtsradikale Jugendliche stehen vor Gericht. Sie terrorisierten einen Türken, schlugen linke Jugendliche brutal zusammen. Tränen fließen nach dem Urteil. Richter Müller hat die vier direkt vom Gerichtssaal ins Gefängnis geschickt. Auch einen 15jährigen. Er hatte gehofft, mit Bewährung davonzukommen. Die rechte Szene ist schockiert. Ein Urteil, das Signalwirkung hat.

O-Ton/Andreas Müller, Jugendrichter:
"Wenn man jetzt immer nur den Täter sieht, der mit Bewährung rauskommt und auch beim allerersten Mal immer hofft, ich krieg ja Bewährung, dann führt das dazu, dass der nächste kleine 14-, 15-Jährige den am nächsten Tag sieht, der ist ja immer noch frei, ist ja nichts passiert, also kann ich mir zumindestens eine Geschichte mal leisten. Und insoweit ist es notwendig, den 13-, 14- und 15jährigen, die regelmäßig nachwachsen, zu zeigen, Jungs, wenn ihr beim ersten Mal irgendwas macht, dann könnt ihr damit rechnen, dass ihr am nächsten Tag in der nächsten Justizvollzugsanstalt, also im Knast sitzt."

O-Ton/Rechte Jugendliche:
"Ich möcht nicht in den Jugendknast kommen und denn wieder raus. Ich meine, ich sag mal, ich hab, ein paar Straftaten hab ich natürlich schon auch. Aber das sind alles noch von früher, und das ist alles noch gar nicht ausgewertet. Ich hab noch ein bißchen was offen. Aber trotzdem, ich hab da schon ein bißchen Angst. Wenn mir mal irgendwas durch einen blöden Zufall vielleicht an- oder reingewürgt wird, na was soll ich denn da machen."

Richter Müller hat den Nerv getroffen. Die Drohung, schnell im Knast zu landen, schreckt die Szene ab. Doch das reicht dem Richter nicht, schon das Aussehen der Skinheads hält er für gefährlich. Deshalb hat er sich etwas einfallen lassen. Er erteilt bisher einmalige Auflagen:

"... Dem Angeklagten wird die Weisung erteilt ... keine typische "Skinhead" Kleidung, insbesondere keine Springerstiefel zu tragen."

O-Ton/Rechte Jugendliche:
"So ne affigen Urteile kommen von ihm. Bewährungsbeschlüsse, die sind völlig überzogen. Und ich sag mal, ich kann einem Menschen nicht vorschreiben, was er anzuziehen hat."
"Man kann ja nicht jedem verbieten, was er rumzulaufen hat. Das ist Schwachsinn. Das geht schon in die Menschenrechte, greift das ganz schön schon ein."

Szenetypische Kleidung - wie Bomberjacken und Springerstiefel - für Richter Müller sind sie eine Art Uniform, mit der die Skinheads auf den Straßen Angst verbreiten. Vor allem Springerstiefel hält er für gefährliche Waffen.

O-Ton/Andreas Müller, Jugendrichter:
"Da es allgemein bekannt ist, dass eben Skinheads mit Springerstiefeln ganz oft zuschlagen, muß man ihnen, wenn man es eben kann, diese wegnehmen. Und man muß ihnen verbieten, das zu machen. Ich denke, das verstößt auf keinen Fall gegen ihre allgemeinen Persönlichkeitsrechte oder ihre Menschenwürde, wenn man auf der anderen Seite sieht, dass sie eben schon mal mit diesen Schuhen geschlagen haben und wenn sie schon mal mit diesen Schuhen geschlagen haben, dann kann es wieder passieren. Und dann hab ich den Schutz der anderen potentiellen Opfer als wesentlich wichtiger zu sehen als deren allgemeine Persönlichkeitsrechte."

Die rechten Jugendlichen, die sonst andere schikanierten, fühlen sich jetzt selbst als Opfer - von Richter Müller. Er versucht mit seinen Mitteln, verfehlte Erziehung zu reparieren.

O-Ton/Rechte Jugendliche:
"Ich fühl mich schon manchmal als wär es mein Vater, so am Gängelband, und du darfst jetzt da hin, du darfst jetzt da hin, aber das darfst du nicht mehr."

O-Ton/Andreas Müller, Jugendrichter:
"Jeder der eine Bewährung bekommt, denn auch hier bekommen etliche Leute Bewährung, ja, der muß sich seine Strafe oder den Erlaß der Strafe verdienen. Das heißt, er ist nicht im Knast. Dafür hat er sich aber vernünftig über 1 œ oder 2 Jahre, oder auch 3 oder 4 Jahre zu bewegen. Der hat eine Strafe bekommen von 1 œ Jahren oder einem Jahr, der hat keinen Freispruch bekommen, und weil er jetzt noch mal eine Bewährungschance kriegt, hat er eben bestimmte Sachen zu ertragen."

Die Strafen für rechte Gewalttaten zu verschärfen, das fordern zur Zeit viele Politiker. Nicht so Richter Müller - er braucht keine härteren Gesetze.

O-Ton/Andreas Müller, Jugendrichter:
"Die sollen nicht verschärfen, die sollen das Jugendrecht verbessern. Die sollen eine bessere Kooperation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichten herstellen. Die Akten müssen hier de facto 6 Wochen nach der Tat auf den Tisch und de facto einen Monat später verhandelt werden. Wenn das so wäre, dann würden wir viele - im allgemeinen - Straftaten verhüten. Weil die Jugendlichen sofort wissen, jetzt kriege ich meine Strafe."

Mit Strafe erziehen. Das wollen die Jugendlichen nicht einsehen. Für Richter Müllers Engagement haben sie eine ganz eigene Erklärung.

O-Ton/Rechte Jugendliche:
"Ja. Das ist Hass gegen Rechte - Vorurteile - der muß irgendwie da schon mal irgendwas erlebt haben, ich weiß es nicht, vielleicht ein Kindheitstrauma bei ihm. Keine Ahnung oder er hat da urst den Hass, der Junge. Also der, irgendwo, na ja, ich weiß ja nicht, das kommt ja bei ihm tief aus dem Inneren. Ich meine, er tut ja nur gegen Rechte und alles versuchen. Aber er setzt ja nun alle Energie, die er hat, dagegen."

O-Ton/Andreas Müller, Jugendrichter:
"Ich persönlich kann ich das nicht ertragen, dass irgendwelche Menschen auf den Straßen Angst haben. Und das ist natürlich eine Intention von mir da auch, verstärkt und vor allen Dingen schnell vorzugehen. Weil das die Qualität vieler Bürger letztendlich behindert. Es kommt hinzu, dass es mir persönlich auch passieren könnte. Ich gehe zu irgendeinem Bahnhof, schau einmal verkehrt. Die denken, du sagst zu uns Fascho, und hauen mir dann direkt auf die Mütze."

Doch Angst hat der 38jährige Richter nicht. Mit seinen Urteilen hat er sich in der rechten Szene Autorität verschafft.

O-Ton/Rechte Jugendliche:
"Gegenüber Müller fühlen wir uns machtlos. Sehr machtlos, weil er sitzt letztendlich am längeren Hebel. Wenn er sagt, es passiert, passiert es. So bist du einmal drin im Knast, da wo er dich ja gerne sieht, hast du verloren."

O-Ton/Andreas Müller, Jugendrichter:
"Es tut mir leid. Es tut mir einfach schlicht leid, um jeden Jungen, den ich einsperren muß. Und da überlege ich sehr sehr lange, wer muß jetzt gehen, oder wer muß jetzt aus der Szene raus oder wer wird mir da zu mächtig, ja. Aber glauben sie nicht, dass es irgendwie eine einfache Geschichte ist, jemanden wegzusperren. Auf der anderen Seite ist es auch meine Aufgabe, die Straßen auf irgendeine Art von Gewalt zu befreien."

In Bernau ist ihm das gelungen - die rechten Schläger halten still.



Wir brauchen also mehr mutige Richter wie Andreas Müller in Bernau. Wie schnell das doch gehen kann: rechten Schlägern den Schneid abzukaufen. Und übrig bleiben dann, wie eben gesehen: Unsichere kleine Jungs und Mädels.