- Rechtsextremismus: Ermittlungspanne bei Sachsens Verfassungsschutz

Monatelang hatte die Staatsanwaltschaft Dresden verdeckt gegen die rechtsextreme Gruppe Terror Crew Muldental ermittelt, doch dann wurden die Rechtsextremen gewarnt, bevor Hausdurchsuchungen stattfinden konnten – ausgerechnet vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz.

Die Stadt Leisnig in Sachsen vor elf Tagen. Ein unangekündigter Aufmarsch von
Rechtsextremisten. Sie filmen sich selbst, stellen das Video ins Internet. Die Empörung über die Mordserie durch Neonazis scheint sie nicht zu kümmern. Auch in anderen Städten gab es ähnliche Aufmärsche. Ihre Parole: „Die Demokraten sind unser Unglück."Wie kann es angehen, dass Neonazis heute in Deutschland solche Aktionen ungehindert ausführen können, erst recht, wenn man weiß, dass militante Rechte in Deutschland massiv aufrüsten? Die Behörden haben allein in den vergangenen zwei Jahren über 800 Waffen von Rechtsextremisten beschlagnahmt. Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheitsbehörden ist erschüttert. Zu Recht? Unsere KONTRASTE-Autoren Caroline Walter und André Kartschall zeigen an zwei krassen Beispielen, wie unfassbar lax Verfassungsschützer und Richter in Sachsen mit dem Thema Rechtsextremismus umgehen.


Sie sind gewalttätig und unberechenbar. Die Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung „Terror Crew Muldental“.

Vor zwei Jahren hat ein Trupp von über 50 Neonazis ein Fußballspiel des Clubs „Roter Stern Leipzig“ brutal überfallen, weil der Verein sich gegen Rassismus engagiert. Die Neonazis - bewaffnet mit Baseballschlägern und Eisenstangen - gingen auf Fans los. Unter den Angreifern viele Mitglieder der rechtsextremen „Terrorcrew Muldental“.

Er war damals Zuschauer und wurde schwer verletzt, verlor fast sein Augenlicht.

Betroffener
„Das Jochbein wurde zerschmettert. Die Augenhöhle ist kaputt gegangen, das Auge hat einen Schlag abbekommen, worauf sich die Netzhaut abgelöst hat.“

Nur einige Täter wurden bisher verurteilt. Doch die Staatsanwaltschaft Dresden vermutete, dass hinter der „Terror Crew Muldental“ ein organisiertes Netzwerk steckt. Genau das wollte sie enttarnen und ermittelte wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Lorenz Haase, Sprecher Staatsanwaltschaft Dresden
„Wir sehen in der Gruppierung eine rechtsextreme Gruppierung, die sich zum Ziel gesetzt hat, gegen politisch links Denkende vorzugehen, mit Gewalt vorzugehen und letztendlich anders Denkende auch auszuschalten.“

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft liefen verdeckt, um die Mitglieder der Nazigruppe nicht zu warnen. Doch ausgerechnet der sächsische Verfassungsschutz machte den Ermittlern einen Strich durch die Rechnung. Die Verfassungsschützer beobachteten die Gruppe ebenfalls, und zwar bei einem Fußballturnier. Darüber berichtet der Verfassungsschutz im Juli dieses Jahres auf seiner Internetseite. In ihrem Übereifer posaunen die Beamten über die „Terror Crew Muldental“ auch noch heraus, dass:

Zitat
„…gegen deren Mitglieder die Polizei wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung … ermittelt …“

Diese Mitteilung lasen auch die Neonazis. Prompt warnten sich die Kameraden über Twitter.

Zitat
„Terror Crew Muldental im Visier der Fahnder. Hausdurchsuchungen und Verbot kann resultieren!“


Die Staatsanwaltschaft war völlig überrascht, dass ihre geheimen Ermittlungen so aufgeflogen sind.

Lorenz Haase, Sprecher Staatsanwaltschaft Dresden
„Die Beschuldigten waren über die Ermittlungen noch nicht informiert. Durch diese Veröffentlichung des Landesamtes für Verfassungsschutz wurden die Beschuldigten letztendlich gewarnt. Die von uns geplanten Durchsuchungen mussten wir kurzfristig durchführen.“

Die Ermittler versuchten zu retten, was noch zu retten ist – nach der Panne durch den Verfassungsschutz. Das Landesamt selbst wollte zu dem Vorfall kein Interview geben.

Doch nicht nur der Verfassungsschutz versagt beim Kampf gegen Rechtsextremismus – sondern immer wieder auch die Gerichte in Sachsen.

Es geht um die rechtsextremistische Kameradschaft „Sturm 34“, eine verbotene Gruppierung, benannt nach einer SA-Brigade aus dem Dritten Reich. „Sturm 34“ terrorisierte eine ganze Region in Sachsen. Die Mitglieder patrouillierten durch die Straßen, überfielen organisiert und gezielt Andersdenkende. Auch von Ausländern geführte Läden wurden von ihnen angegriffen. Die Rädelsführer wurden zwar vor Gericht gestellt. Doch das Landgericht Dresden urteilte: „Sturm 34“ ist keine kriminelle Vereinigung.

Der Fall landete beim Bundesgerichtshof – und der watschte das Landgericht ab: „Sturm 34“ sei eindeutig eine kriminelle Vereinigung und dass Landgericht Dresden müsse neu verhandeln. Das war bereits 2009.

Aber die Rädelsführer von „Sturm 34“ wurden bis heute nicht verurteilt. Ein Unding: Seit über eineinhalb Jahren liegt der Fall jetzt beim Landgericht in der Schublade.

Ralf Högner, Pressesprecher Landgericht Dresden

„Als dieses Verfahren einging, war die Kammer mit anderen Verfahren ausgelastet. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.“
KONTRASTE
„Das heißt: Seit eineinhalb Jahren gibt es in dieser Kammer einen Stau und deswegen werden diese rechtsextremen Rädelsführer nicht verurteilt?“
Ralf Högner, Pressesprecher Landgericht Dresden
„Ja. Das ist die bittere Wahrheit.“

Insgesamt sind seit den Taten, darunter schwere Körperverletzungen, fünf Jahre vergangen.

Nach KONTRASTE-Informationen sind die Rädelsführer von „Sturm 34“ weiter in der rechtsextremen Szene aktiv, wie diese Fotos belegen. Kein Wunder, vor der Justiz mussten sie sich ja nicht verantworten. Der Pressesprecher des Landgerichts findet das noch nicht mal besonders schlimm.

Ralf Högner, Pressesprecher Landgericht Dresden

„Man wird sowieso sagen müssen, dass diese Fünf, wenn sie zeitnah verurteilt worden wären, heute auch nichts anderes täten.“
KONTRASTE
„Das ist ja ein Resignieren und ein Spekulieren.“
Ralf Högner, Pressesprecher Landgericht Dresden
„Wenn Sie sagen, die machen das immer noch. Wenn sie schneller verurteilt worden wären, was wäre dann?“
KONTRASTE
„Dann wären sie vielleicht im Gefängnis gewesen und hätten gar keine Zeit gehabt, weiterzumachen?“
Ralf Högner, Pressesprecher Landgericht Dresden
„Sie wären schon wieder auf freiem Fuß.“

Ein Richter, der am Sinn der Strafverfolgung zweifelt – ein Unding.

Für Kerstin Köditz ist das jahrelange Verschleppen solcher Verfahren ein katastrophales Signal an die rechtsextreme Szene ist. Die Landtagsabgeordnete beobachtet seit Jahren das Versagen der sächsischen Gerichte, unter dem vor allem die Opfer leiden.

Kerstin Köditz (Die Linke) MdL Sachsen
„Ich hab sehr viele Freunde dort in der Region, die auch heute noch Angst vor Übergriffen haben und leider auch heute noch mit Übergriffen leben müssen. Auch erst vor kurzem ist wieder ein Angriff passiert. Und das sollten sich die Gerichte mal überlegen, welches Signal sie damit nach außen senden, dass gerade die Rädelsführer im Grunde nicht ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.“

Übrigens: Wann der Prozess nun endlich stattfinden soll, konnte uns das Landgericht immer noch nicht sagen.