Teilnehmer einer sogenannten Montagsdemonstration laufen am 21.10.2024 durch die Innenstadt von Gera (Bild: picture alliance/dpa | Bodo Schackow)
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Teilnehmer einer sogenannten Montagsdemonstration laufen am 21.10.2024 durch die Innenstadt von Gera | Bild: picture alliance/dpa | Bodo Schackow

Thüringen - Gera – Wird hier ein Neonazi salonfähig?

Seit Jahren marschiert ein Neonazi mit seinen Anhängern durch Gera. Wer sich ihm in den Weg stellt, wird mitunter bedroht und eingeschüchtert. Manche Bürger fordern von der Stadt, dem rechtsradikalen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Doch trotz verbotener SA-Parolen, Fackelmärschen oder Feuerwerken, greifen die Ordnungsbehörden bislang kaum durch.

 
Beitrag von Silvio Duwe und Anne Grandjean

Der Innenminister von Thüringen spricht von einem „rechtsextremen Netzwerk der schlimmsten Sorte“ – auch wenn das Bündnis im Verfassungsschutz nicht erwähnt wird. Der Geraer Oberbürgermeister hingegen möchte sich mit dem Bündnis von Christian Klar nun an einen Tisch setzen, um die Stadt zu befrieden. Mittlerweile marschieren sogar ehemalige Gegendemonstranten zusammen mit den Rechtsradikalen.

Anmoderation: Auch in Gera stellt man sich die Frage wie umgehen mit Rechtsextremen. Hier treibt ein Neonazi seit Jahren sein Unwesen. Marschiert mit seinen Anhängern durch die Straßen. Wer sich ihm in den Weg stellt, wird mitunter bedroht und eingeschüchtert. Manche Bürger fordern von der Stadt, dem rechtsextremen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Der CDU-Oberbürgermeister setzt offenbar lieber auf Dialog statt auf Abgrenzung.

Mitte November, es ist der Volkstrauertag: Auf dem städtischen Friedhof in Gera versammeln sich einige Dutzend Personen, unter ihnen Reichsbürger, Rechtsradikale, und AfD-Politiker.

Gesang

"Heil Dir Du Deutsches Reich"

Eigentlich soll an diesem Tag der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht werden – doch der rechtsradikale Aktivist Etienne Klupp spricht darüber, dass Deutschland nicht am Ausbruch der beiden Weltkriege schuldig sei.

Etienne Klupp, "Gersche Jugend"

"Und einmal wieder mehr wurde das deutsche Volk wie in den Jahren von 1914 bis 1918 in einen Krieg verwickelt, den es vorher verhindern wollte."

Kurz darauf, an derselben Stelle dann die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt. Wir fragen den Oberbürgermeister, was er vom Gedenken der Rechtsradikalen auf seinem Friedhof hält:

Kurt Dannenberg (CDU), Oberbürgermeister Gera

"Diese Art der Veranstaltungen ist wirtschaftsfeindlich und imageschädigend und die Stadt Gera wird dagegen gesellschaftspolitisch Maßnahmen ergreifen."

Rechtsradikalismus als Imageproblem. Und das, obwohl er weiß, dass allen voran Christian Klar marschiert – ein einschlägig bekannter Neonazi. Aktuell laufen gegen ihn nach Kontraste-Informationen mehr als ein Dutzend Strafverfahren, unter anderem wegen Volksverhetzung. Klar ist Bundesvorstandsmitglied der Partei "Die Heimat", wie sich die NPD inzwischen nennt.

Er und seine Anhänger können in Gera scheinbar ungestört agieren. Mit der Gruppe "Miteinanderstadt Gera" veranstaltet Klar in der Innenstadt seit Jahren immer wieder montags Aufmärsche: mit Fackeln, Feuerwerk und Trommeln.

Christian Klar, Die Heimat, Mitglied im Bundesvorstand

"Alles für…"

Menge

"Deutschland!"

Christian Klar

"Alles für…"

Menge

"Deutschland!"

Christian Klar

"Alles für…"

Menge

"Deutschland!"

Es ist die verbotene SA-Losung, die hier arbeitsteilig skandiert wird. Klar selbst fällt mehrfach durch klare Drohungen auf – hier spricht er über Thüringer Landesverfassungsrichter:

Christian Klar, Die Heimat, Mitglied im Bundesvorstand

"Dieses Pack… Ich hätte fast gesagt: Dieses Pack gehört an die Wand gestellt."

Hier droht er Gegendemonstranten, sie beim nächsten Mal überfahren zu lassen.

Christian Klar, Die Heimat, Mitglied im Bundesvorstand

"Nächstes Jahr werden wir wieder Heiko Seidel mit seinen Monstertrucks bestellen und werden einfach drüber fahren über das Viehzeug."

Es sind Aussagen, die den Behörden bekannt sind und über die Kontraste schon berichtet hat.

Christian Klar, Die Heimat, Mitglied im Bundesvorstand

"Wir begrüßen ganz herzlich unser ARD-Fernsehteam von Kontraste!"

Inzwischen hat Klar vieles davon relativiert, er spricht von "Spaß" und "Überspitzung" und erklärt, sich künftig beherrschen zu wollen.

Doch Gegendemonstranten fühlen sich weiterhin bedroht. Etwa Janusz Riese. Das SPD-Mitglied engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus in Gera.

Auf Facebook geht Klar persönlich gegen Riese vor, veröffentlicht dessen Foto und behauptet unwahr, Riese versprühe "Hass und Hetze, selbst gegen Kinder und den Weihnachtsmann ruft er zur Gewalt auf."

Konraste

"Was macht das mit Ihnen?"

Janusz Riese

"Es macht mir tatsächlich ein bisschen Angst, weil ich die Leute teilweise nicht kenne und weil darunter mit Sicherheit auch Geraer sind und mit Sicherheit Menschen sind, denen ich auf der Straße begegnen könnte."

Im Februar 2024 haben wir ihn schon einmal besucht. Mit dabei war auch der damalige SPD-Landtagskandidat Christian Urban.

Der machte damals sehr deutlich, was er von Klars Veranstaltungen hält:

Christian Urban

"Ich würde nur hier noch was ausschmücken… Hier noch einen schönen Mittelfinger machen…"

Als wir kürzlich wieder in Gera sind, sitzt der einstige Gegner von Christian Klar zusammen mit ihm auf einem Podium.

Christian Urban

"Es kam dazu, dass ich, als ich noch Anmelder war, bekam ich, das war glaube ich, zwei Tage bevor ich mich mit dem Herrn Klar getroffen hatte, bekam ich die Information, dass Demoteilnehmer von meiner Seite bedroht werden. Dass die verfolgt wurden, zu den Zügen und auch gesagt wurde: 'Wenn du noch mal da auf diese Demo gehst, dann hast du ein Messer im Rücken.' Und das war für mich einfach ein Punkt, wo ich gesagt hab, das wird zu gefährlich. Und für mich die Intention zu sagen, ich versuche den Dialog einfach mal zu führen."

Auf Klars Montagsdemonstration warb Urban bereits für eine "friedliche Zusammenarbeit" für Gera – aus der SPD ist er inzwischen ausgetreten. Die sozialdemokratischen Werte seien ihm aber nach wie vor wichtig, sagt er.

Christian Urban

"Also es ist schon schwierig als Sozialdemokrat ja dort mit ihm zu sitzen und nicht darauf einzugehen, was er für ein völkisches Denken hat. Was ich auch selber immer wieder erschreckend finde. Aber man muss es dann so schwer es auch ist auszublenden, ausblenden, wenn man das, um das Gespräch mit ihm zu führen, dass wir unser Ziel hier erreichen."

Anfang Januar marschiert Urban direkt neben Christian Klar auf einer "Friedensdemo". Auch sein ehemaliger Mitstreiter Janusz Riese ist gekommen – als Gegendemonstrant.

Angeführt wird Klars Demonstration auch von Vertretern der Partei "Die Heimat" und Christian Klars Bündnis "Miteinanderstadt". Der thüringische Innenminister Georg Maier bezeichnete das Netzwerk "Miteinanderstadt Gera" als "ein rechtsextremes Netzwerk der schlimmsten Sorte" – im Verfassungsschutzbericht wird das Bündnis allerdings nicht erwähnt.

Wie wohl sich die rechte Szene in Gera zu fühlen scheint, zeigt auch dieses Beispiel: Im Juli vergangenen Jahres hatte das rechtsextreme Compact-Magazin zum Sommerfest nach Stößen in Sachsen-Anhalt geladen. Hier Archivbilder aus dem Jahr 2022. Nach dem zeitweiligen Compact-Verbot wurde auch das Fest in Sachsen-Anhalt verboten.

Kurzerhand mobilisierte die Szene öffentlich auf zu einem Fest nach Gera zu kommen. Auf einen Parkplatz mitten in der Stadt. Stargast: Der eigens aus Österreich angereiste Rechtsextremist Martin Sellner.

Und Versammlungs-Anmelder Christian Klar macht unmissverständlich klar, dass hier das Compact-Fest gefeiert wird:

Christian Klar, Die Heimat, Mitglied im Bundesvorstand

"Und ich hoffe, ihr hattet ein schönes Compact-Sommerfest!"

Nachfrage bei Oberbürgermeister Dannenberg:

Kontraste

"Wie kann es sein, dass das anderswo verboten werden kann? Und hier kann das einfach so stattfinden?"

Kurt Dannenberg, CDU, Oberbürgermeister Gera:

"Also Versammlungen können grundsätzlich angemeldet werden, Versammlungen werden nicht genehmigt. Insofern kommt es immer auf die Gefahrenprognose drauf an."

Dass es sich in Wahrheit um ein Compact-Fest handelte, habe er nicht gewusst, sagt Dannenberg.

Am Montag dieser Woche treffen wir den Thüringer Innenminister Georg Maier in Gera zum Interview. Er ärgert sich über das Vorgehen der Stadt.

Georg Maier, SPD, Innenminister Thüringen

"Ich bin der festen Überzeugung, man hätte in der Vergangenheit durchaus viel härtere Auflagen erlassen können, die dann auch rechtssicher sind. Ich bewerte die Zusammenarbeit mit der Versammlungsbehörde hier nicht gut."

Seit Monaten fordert das Bündnis "Miteinanderstadt" Oberbürgermeister Dannenberg zum Gespräch auf. Im Interview mit Kontraste deutet Dannenberg nun an, offen für einen solchen Dialog zu sein – vorausgesetzt Neonazi Klar sitzt nicht mit am Tisch:

Kurt Dannenberg, CDU, Oberbürgermeister Gera

"Es gibt verschiedene Vertreter, die sozusagen verschiedenen Spektren zuzuordnen sind, und das sind Vertreter, die durchaus für einen politischen Diskurs infrage kommen. Die gibt es in allen demokratischen Ecken und die gibt es auch in dem Bereich der "Miteinanderstadt."

Dialog oder klare Abgrenzung? Der Thüringer Innenminister fährt eine andere Linie.

Georg Maier, SPD, Innenminister Thüringen

"Wenn es klar ist, dass es sich hier um Feinde der Demokratie handelt und das ist in weiten Teilen der Fall bei dieser Struktur hier, dann ist es wichtig, dass die Demokratie hier Kante zeigt und klar den Rechtsstaat durchsetzt."

Heute Abend hat in Gera ein Rechtsrockkonzert stattgefunden. Der Anlass: Neonazi Christian Klar eröffnet ein Büro der Partei "Die Heimat". Er scheint sich hier pudelwohl zu fühlen.