Jung, radikal, brutal -
Blonde Zöpfe, blaue Augen, Landlustflair: So verkauft sich "Die Heimat", ehemals NPD, auf ihrer Homepage. Ihr Nachwuchs hingegen tritt aggressiv auf, vermummt und auch offen gewaltbereit. Um parteiferne Jugendliche zu gewinnen, gründen sie lokale Gruppen mit neuen Namen.
Beitrag von Pune Djalilevand, Daniel Donath, Silvio Duwe und Annekathrin Ruhose
Etwa die "Elblandrevolte", die inzwischen zahlreiche Nachahmer gefunden hat. In der Selbstinszenierung geht es den jungen Neonazis häufig um Party, Posing und Prügel. In regelrechten Schlägertrupps ziehen sie durch ihre Orte und greifen Kulturzentren oder Asylbewerberunterkünfte an. Die Täter werden immer jünger: Der sächsische Verfassungsschutzpräsident spricht gegenüber Kontraste von einem massiven Anstieg der politisch motivierten Straftaten bei den unter 14-Jährigen.
Anmoderation: Heute vor achtzig Jahren endete der zweite Weltkrieg und mit ihm die brutale Herrschaft der Nationalsozialisten. Seit Monaten gibt es weltweit Gedenkveranstaltungen. Zur selben Zeit erlebt unser Land eine regelrechte Welle rechtsextremer Gewalt. Bundesweit gibt es neue Neonazi-Gruppen - sie nennen sich "Elblandrevolte", "Jung und Stark" oder "Deutsche Jugend Voran" - und wenn man genauer hinschaut fällt auf: Sie vernetzen sich zunehmend und verfolgen ein gemeinsames Ziel.
Deutschland den Deutschen – wir sind das Volk.
Ein Neonazi-Aufmarsch am 1. Mai in Gera. Im Kampf – Für Deutschland. Mit der JN – voran.
Die JN – Junge Nationalisten – ist die Jugendorganisation der rechtsextremen Partei die Heimat – ehemals NPD.
Zeitgleich skandieren auch in Gelsenkirchen Partei-Anhänger.
Arbeit, Freiheit, Recht und Brot. Nationaler Sozialismus bis zum Tod!
Viele hier sind auffällig jung.
Kontraste
"Für was demonstriert ihr gerade?"
Teilnehmer
"Verpiss Dich einfach. Keiner will mit dir reden."
Kontraste
"Was hast Du gesagt?"
Teilnehmer
"Keiner will mit dir reden."
Während die AfD in Umfragen bei über 20 Prozent liegt, drohen die Rechtsextremisten auf der Straße bereits mit einer Machtübernahme.
Sven Skoda
"Es ist schon relativ verwunderlich, dass die Polizei im Grunde einen so reibungslosen Ablauf garantiert hat bisher. Das wäre wahrscheinlich vor zehn Jahren ganz anders gekommen. Heute fangen wahrscheinlich auch Polizeipräsidenten an, so langsam, darüber nachzudenken, wie man irgendwann die eigene Haut ins Trockene bringen kann, wenn sich die Verhältnisse weiter ändern."
An neuen Verhältnissen arbeitet auch die JN, wenn sie unter sich sein will. Hier feiern sie die Sommersonnenwende, auf ihrem Stützpunkt, dem sogenannten Heimathof in Eschede. Diese Bilder aus Döbeln zeigen Mitglieder, wie sie – "Nur der Freiheit gehört unser Leben" – singen. Ein Lied der Hitlerjugend.
Diese Aufnahmen hat der Journalist Andre Aden heimlich gemacht. Seit Jahren beobachtet er konspirative Treffen der Jungen Nationalisten.
André Aden, Journalist, Gründer "Recherche nord"
"Das sind Nationalsozialisten. Die sehen sich auch in der Tradition des Nationalsozialismus. Sie wähnen sich im Geist der Hitlerjugend. Wenn man sich mal deren interne Dokumente anschaut, die benutzen zum Beispiel Liederbücher und sie singen viel bei so Veranstaltungen (...) Es sind Lieder der Hitlerjugend, es gibt bei Sonnenwenden Feiern, die Flammenschwüre, die dort gehalten werden. Das sind Flammenschwüre der Hitlerjugend, das ist diese ganze Ästhetik, die dort aufgebaut wird, zeigt ganz klar, wie sie Jugendliche schulen im Sinne einer rassistischen, antisemitischen, gewaltvollen Ideologie."
Strammstehen vor dem Parteivorsitzenden der Heimat - Peter Schreiber - links im Bild, im hellen Anzug. Ein Jugendlicher muss offenbar Strafliegestütze machen. Er soll Gitarre gespielt haben, statt den Tisch abzuräumen.
So will sich die JN eine rechtsextreme Elite heranziehen. Um an mehr Jugendliche zu kommen, hat sie ihre Strategie erweitert.
Andreas Ritzmann, Politikwissenschaftler, Counter Extremism Project
"Sie täuschen vor, einfach lokale Gruppierungen zu sein, häufig mit dem Namen Revolte, Elblandrevolte, Pforzheimrevolte. Und so weiter. Und die Idee scheint zu sein, dass man parteiferne Jugendliche, also Menschen, die mit Parteiarbeit nichts zu tun haben wollen, zumindest bisher nicht, an die Partei ranführt. Und da geht es häufig um Party, Prügel und Posing. Man verprügelt politische Gegner, da sind auch schon Menschen gegenwärtig vor Gericht."
Finley Pügner war bis vor Kurzem Anführer der so genannten Elblandrevolte, einem sächsischen Ableger der JN. Der 18-Jährige ist derzeit in U-Haft. Der Vorwurf: gefährliche Körperverletzung.
Pügner zeigt sich gern und offen als Gesicht der Neonazi-Gruppe – hier ganz links im Clip des Szene-Rappers Kavalier:
"Geh nach vorne in den Krieg. Durch die Blutbahn fließt Benzin (...) Wir sind die Wächter der Straße. Auf uns kannst du dich verlassen."
Samara Schrenk kennt Finley Pügner persönlich. Sie sagt, er habe sie auf offener Straße zusammengeschlagen. Die linke Kommunalpolitikerin organisiert in Görlitz ein Bündnis gegen rechts.
Ende November habe Pügner ihr bereits Schläge angedroht, am Rande einer Kundgebung:
"Du brauchst gar nicht denken, dass ich dir irgendwann mal keinen reinschieße, nur weil du 'ne Fotze bist. Kannst dich schon drauf freuen. Das wird wie ein zweites Weihnachten für dich. Schlampe."
Drei Wochen später, kurz vor Weihnachten, ist Schrenk mit Freunden in Görlitz unterwegs. Plötzlich schlagen Vermummte auf einen ihrer Begleiter ein. Dann auch auf sie.
Samara Schrenk, Die Linke, Kommunalpolitikerin
"Ich habe nur noch versucht, den von mir wegzustoßen. Und in dem Moment ging sein Schlauch dann runter. Ich habe ihn erkannt. Es war Finley. Ich habe noch geschrien Finley vielleicht dich hier. Und auf einmal lag ich dann auf dem Boden."
Die haben mich beide zu Boden gedrückt. Als ich da lag, habe ich es gerade noch so geschafft, meine Hände über dem Kopf zusammen zu nehmen. Und dann haben sie mit mehreren Tritten auf meinen Kopf, auf meine Rippen und auf meine Beine eingetreten.
Wir versuchen Pügner zu Samara Schrenks Vorwurf zu befragen, als er wegen einer anderen Sache vor Gericht steht.
Kontraste
"Was sagen Sie zu den Vorwürfen, weshalb Sie jetzt in Untersuchungshaft sitzen?"
Finley Pügner
"Da sage ich nichts dazu."
Auf Kontraste-Anfrage teilt Pügners Anwalt mit:
Letztendlich werden Ihnen die Vorgänge wohl durch Mitteilung der Geschädigten ja bekannt sein (...)
Noch ist Pügner nicht angeklagt. Und gilt bis zu einer möglichen Verurteilung als unschuldig.
Bei der JN hat Finley Pügner inzwischen einen Märtyrer-Status. Auf ihrem rechtsextremen Aufmarsch am 1. Mai in Gera feiern sie ihn:
"Freiheit für Finley! Freiheit für Finley!"
Sebastian Weigler, JN-Chef
"Unser Kamerad Finley, ihr seht ihn hier auf dem Plakat, sitzt heute immer noch in U-Haft anstatt hier mit uns gegen dieses korrupte System zu demonstrieren. Ohne relevanten Haftgrund wird er möglichst langfristig und ohne Urteil in U-Haft gehalten."
Seit einiger Zeit rollt eine regelrechte Gewaltwelle durch die Republik:
In Berlin prügeln rechtsextreme Jugendliche in der S-Bahn auf einen Mann ein.
In Altdöbern in Südbrandenburg brennt ein Kulturzentrum. Die Polizei ermittelt gegen zwei minderjährige Mitglieder einer rechtsextremen Jugendgruppe.
Laut Recherchen von "Stern und RTL" sollen Mitglieder derselben Gruppe auch einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Senftenberg geplant haben. Demnach hätten sie sich in einem Chat vorab sogar Tote gewünscht.
Dirk-Martin Christian, Präsident Verfassungsschutz Sachsen
"Wir beobachten auch, dass es einen substanziellen Aufwuchs gibt in der rechtsextremistischen Szene, dass immer mehr junge Leute sich diesen Gruppierungen anschließen. Wenn ich von jungen Leuten spreche, dann meine ich wirklich junge Leute, teilweise im Alter von deutlich unter 14 Jahren, die sehr selbstbewusst auftreten, die sich auch in der Öffentlichkeit mit ihrem Gesicht zeigen. Und wir erleben vor allen Dingen auch eine Zunahme der Gewaltbereitschaft bei eben diesen jungen Leuten."
Seit vergangenem Jahr sprießen neue rechtsextreme Gruppen wie Pilze aus dem Boden. Um die Hundert haben wir identifiziert.
Ein Treiber sind laut Verfassungsschutz diverse rechtsextreme Störaktionen gegen CSD-Veranstaltungen von Lesben-, Schwulen- und queeren Verbänden ab Sommer 2024.
Ganz Döbeln hasst den CSD. Ganz Döbeln hasst den CSD.
In kurzer Zeit seien Gruppierungen entstanden, die den Schulterschluss mit " (…) größeren Akteuren der rechtsextremistischen Szene – etwa der Partei "Die Heimat" und deren Jugendorganisation JN – suchen."
Das zeigt sich auch am 1. Mai in Gelsenkirchen. Die Gruppe "Jung und Stark" Seit an Seit mit der JN. Claus Cremer, Mitglied im Vorstand der Heimat, räumt sein Ziel offen ein.
Claus Cremer
"Die Übergänge sind fließend. Weil in jeglicher dieser Gruppen die sie auch gerade genannt haben, sind auch Mitglieder der JN aktiv, sind auch Mitglieder der Heimat aktiv und das ist auch das Ziel unserer Partei, dieser Netzwerkgedanke, der nach außen getragen wird. Es kommt in erster Linie nicht darauf an, in welcher Organisation du bist, es kommt darauf an, was du denkst und wie du stehst. "
Auf der Demonstration wendet sich der Neonazi Sven Skoda auch direkt an uns.
Sven Skoda
"Ich kann euch versprechen: Wir vergessen keinen von euch. Wenn dieses System auf dem Abfallhaufen der Geschichte landet, dann habt ihr keinen Job mehr, ganz, ganz sicher..."
Wie weit solche Drohungen gegen Andersdenkende bei so manchem reichen können, wissen die Sicherheitsbehörden.
Dirk-Martin Christian, Präsident Verfassungsschutz Sachsen
"Es gibt auch Gruppierungen, die sagen klipp und klar, die sollen nicht nur bekämpft werden, die sollen beseitigt werden. Und das heißt, wir erleben zum einen eine verbale Gewalt, aber eben auch eine Zunahme an körperlicher Gewalt und das kann selbst bis zur Tötung von Menschen gehen."
Ein Fall, der aktuell die Behörden umtreibt, ist der des ehemaligen JN-Mitglieds L. An Hitlers Geburtstag nimmt er an einer paramilitärischen Übung teil, einem 50-Kilometermarsch.
Hier sieht man ihn auf zugespielten Aufnahmen in Wehrmachtsuniform bei einer Feier mit seinen Kameraden.
"Ausländer raus. Ausländer raus. Deutschland den Deutschen, Ausländer raus. Sieg Heil. Sieg Heil. Sieg Heil."
Diese Bilder, aufgenommen auf dem so genannten "Heimathof", einem Stützpunkt der JN in Eschede, zeigen, wie er einen Kameraden verprügelt, angefeuert von den anderen.
"Scheiße boah Alter, aber richtig, ey!"
Zwei Tage nach dem Holocaust Gedenktag soll L. mehrere Kränze auf dem Gelände der NS-Gedenkstätte Ahlem in Hannover zerstört haben - Überwachungskameras zeichnen die Tat auf.
Steffen Krach ist zuständig für die Gedenkstätte, er sorgt sich nicht nur um seine Mitarbeiter.
Steffen Krach, SPD, Präsident Region Hannover
"Man wird wütend, man wird aber auch ängstlich, weil man sich natürlich Gedanken macht. Wie geht es weiter mit der Demokratie? Wir haben im letzten Jahr 75. Geburtstag vom Grundgesetz gefeiert, und im Jahr 2025 gibt es einen großen Teil der Bevölkerung, die kritisch auf die Demokratie gucken."
Als die Polizei in einem Vorort von Hannover die Wohnung von L. durchsucht, findet sie:
Zitat: "eine mutmaßlich funktionsfähige, vollautomatische Maschinenpistole mit dazugehöriger Munition"
Eine Maschinenpistole mit Munition – zu Hause bei einem Neonazi. Die Gefahr des Rechtsterrorismus steigt.