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- Neonazis gaben Bombenbautipps im Internet – Was wusste der Verfassungsschutz?

Sie betrieben ein rechtsextremes Internetradio – jetzt müssen sich sieben Verdächtige vor Gericht verantworten. Auf ihrer Homepage fanden sich auch Anleitungen zum Bombenbau. Eine Rädelsführerin stand auf der Gehaltsliste des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Doch der will von den Straftaten nichts gewusst haben.

Das Internet ist ein Segen, aber nicht nur: Weil es im Prinzip unkontrollierbar ist, ist es auch ein Fluch. Man schaudert, wenn man sich etwa die hetzerischen Websites deutscher Neonazis ansieht. Hier treten die Rechtsextremisten ungehemmter und unverschämter auf, als sie es je auf der Strasse wagen würden. Warum? Weil sie nicht unbedingt fürchten müssen, dass ihre Straftaten in der digitalen Welt geahndet werden. Einen solchen unsäglichen Fall haben wir jetzt nämlich entdeckt: Norbert Siegmund und René Althammer über ein peinliches Versagen des Verfassungsschutzes.

Bombenbau-Anleitungen – von deutschen Neonazis ins Internet gestellt. Handreichungen für terroristische Aktionen – für jedermann im Netz abrufbar. Diese Seite nennt sich Sprengmeister: Jetzt hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage erhoben unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung:

Martin Steltner, Staatsanwaltschaft Berlin
„Die Bombenbastelanleitung auf der ‚Sprengmeisterseite’ war sehr detailliert, sehr ausführlich. Hat offensichtlich brauchbare Hinweise gegeben, um Bomben zu bauen. Dann verknüpft noch mit der ideologischen Komponente, da wüsste ich nicht, wer sich keine Sorgen macht.“

Detailliert wird beschrieben, wie beispielsweise Plastiksprengstoff hergestellt wird und wie leicht damit ein Baum gesprengt werden kann.

Angeboten wird die sogenannte „Sprengmeister-Seite“ von einem rechtsextremen Radio, dass via Internet sendet: Bilder, Hassparolen und Musik zugleich. Name European Brotherhood Radio, kurz: EBR.

Die mutmaßlichen Macher: Teils polizeibekannte Neonazis. Sie werben sogar öffentlich für das EBR - so bei der Großdemo der rechten Szene im Februar in Dresden.

Hier vorneweg auch einige der mutmaßlichen Initiatoren und Moderatoren. Dieser Mann soll im Radio unter dem selbst gewählten Namen „R. Rassenhass“ aufgetreten sein. Der mutmaßliche Chef nennt sich „K. Nackentod“. Sie kommen aus der Kameradschaftsszene mehrerer Bundesländer.
Die Hörer begrüßen sie mit, Zitat:
„Heil Hitler!“
Oder, Zitat:
„Zion verrecke!“
Oder, Zitat:
„Sieg Heil!“

Im Laufe der Jahre werden knapp eine Million rechtsextreme Musiktitel gesendet, darunter Lieder, die offen zum Mord aufrufen.

Straftaten, die auch dem Verfassungsschutz nicht verborgen bleiben. Dennoch bleibt das EBR im Netz – und kann über Jahre senden. Wie ist das möglich?

Offensichtlich durch Versagen der Verfassungsschutzbehörden, meint der Innenexperte der Grünen Bundestagsfraktion, Wolfgang Wieland, und nennt das einen Skandal.

Wolfgang Wieland (Bündnis90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter
„Die Rechtslage ist völlig eindeutig. Sobald auch nur ein Verfassungsschützer, ein Landesamt für Verfassungsschutz feststellt, dass in derartiger Weise öffentlich Gewalt und andere Staatsschutzdelikte propagiert werden, begangen werden, muss gemeldet werden an Staatsanwaltschaft und Polizei.“

Nicht nur ein Verfassungsschützer war informiert. Spätestens 2007 wussten nach Kontraste-Recherchen sämtliche Landesämter für Verfassungsschutz über das EBR Bescheid. Und auch das Kölner Bundesamt. Deutschlandweit 17 Nachrichtendienste.

Jeder Nachrichtendienst hätte die Strafverfolger über die Rechtsextremen Taten informieren müssen.

Doch was passiert wirklich?

Zumindest das Bundesamt – so lässt Innenminister Schäuble KONTRASTE schriftlich mitteilen – sei der gesetzlichen Informationspflicht, wie heißt, Zitat:
„… vollumfänglich nachgekommen“.

2007 meldet das Bundesamt für Verfassungsschutz das kriminelle Radio der Darmstädter Staatsanwaltschaft. Folge: Ein Strafbefehl über 2.000 Euro gegen einen der Macher.

Trotzdem sendet das EBR weiter.

Und 17 Verfassungschutzämter sehen zu. Kein Amt informiert die Strafverfolger – auch nicht, als im Sommer 2008 die Bombenbauanleitungen auf der EBR-Homepage auftauchen.

Wir fragen die Ämter, warum damals nichts geschah. Die einen sehen keinen Bezug zum eigenen Bundesland, andere wollen nichts gewusst haben. Und das Bundesamt verweist auf die Meldung von 2007.

Wolfgang Wieland (Bündnis90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter
„Man kann sich überhaupt nicht darauf zurückziehen, wir haben da ja in grauer Vorzeit schon mal gemeldet. Wenn es jetzt um Bombenbau geht, hätte eine Alarmmeldung erfolgen müssen: Jetzt wird sogar dazu aufgerufen, Sprengsätze herzustellen. Verbunden mit der Frage: Wann handelt ihr endlich.“

Trotz wird kein Verfassungsschützer aktiv. Auch die Niedersachsen nicht. Und das, obwohl mehrere Radiomacher dort zu Hause sind. Begründung des Amtes, Zitat:
„Die Voraussetzungen des Paragraphen 18, Abs.1 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes haben nicht vorgelegen.“

Paragraphendeutsch. Im Klartext: Die Verfassungsschützer behaupten, sie hätten nichts von den Straftaten gewusst.

Merkwürdig. Denn das Landesamt für Verfassungsschutz hatte sogar eine Informantin in dem Radiosender.

Sandra F. – hier mit ihrem Rechtsanwalt, stand als V-Frau auf der Gehaltsliste der niedersächsischen Verfassungsschützer - und: sie moderierte Sendungen im EBR.

In Berlin wird sie jetzt unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Leugnung des Holocaust angeklagt. Zum Beispiel soll sie in einer Sendung verkündet haben, Zitat:
„Das ganze Holocaust Ding! … Es sind sicher auch zwei- bis dreihunderttausend Juden ums Leben gekommen. Meiner Meinung nach zuwenig!“

Von den Straftaten, so ihr Anwalt, hätte auch der Verfassungsschutz gewusst und sie geduldet.

Mirko Röder, Verteidiger von Sandra F.
„Unsere Mandantin wurde sehr intensiv geführt vom Verfassungsschutz. Es gab verschiedene Trefforte auf Autobahnen, Raststätten, Cafes, auch in der Wohnung. Und es wurde intensiv über die Tätigkeit auch bei dem Radio gesprochen. Diese Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sind zu keinem Zeitpunkt eingeschritten. Die Marschroute war in etwa so, dass unserer Mandantin gesagt wurde: Außer mit Drogen handeln oder mit Waffen schieben könne sie alles tun.“

Das Landesamt bestreitet das. Nachdem man dort von den Strafermittlungen erfuhr, stellte man die Zusammenarbeit ein.

Was aber, falls die V-Frau die Wahrheit sagt?

Dann hätte der Verfassungsschutz mehr als nur fehlerhaft gehandelt, meint Wolfgang Wieland.

Wolfgang Wieland (Bündnis90/Die Grünen), Bundestagsabgeordneter
„Das ist dann doppelt bedenklich. Einmal hatte man eine V-Frau ganz fest an der Angel und hat zugesehen, wie sie strafbare Handlungen begeht. Und zum zweiten hat man die strafbaren Handlungen insgesamt nicht gemeldet. Also man hat es ihr nicht untersagt: Sie haben das als unsere Informantin nicht zu tun. Und man hat es auch nicht weiter geleitet, dass sie und die anderen es betreiben.“

In Berlin stehen die mutmaßlichen Macher des Neonazi-Radios demnächst vor Gericht.

Und das, obwohl die 17 Verfassungsschutzämter der Justiz nicht geholfen haben. Die Polizei stieß von selbst auf den rechtsextremen Radiosender. Das Berliner Landeskriminalamt hat einfach reingehört – und in nur zwei Wochen die Verdächtigen namhaft gemacht.

Jetzt ist auch die Seite aus dem Netz, aber nicht, weil der Verfassungsschutz besonders aktiv gewesen wäre.

Martin Steltner, Staatsanwaltschaft Berlin
„Die Internetseite, die ist schlichtweg nicht mehr bezahlt worden, weil sich hier der Beschuldigte, der Verantwortliche, in Untersuchungshaft befunden hat. Und deswegen ist sie schlichtweg wegen mangelnder Zahlung abgeschaltet worden. So hat es sich offenbar abgespielt.“

Am Ende sorgt also eine unbezahlte Rechnung dafür, dass das Radio abgestellt wird – ein Armutszeugnis für den Verfassungsschutz.

Beitrag von Norbert Siegmund und René Althammer