Podiumsdiskussion (Quelle: rbb)

- Ratlos in Rathenow

47 Asylbewerber möchten aus Angst vor Übergriffen das Land Brandenburg verlassen. Eine Reportage über den alltäglichen Fremdenhaß in der brandenburgischen Stadt.

Die Bundesregierung zieht ganz wehrhaft gegen den Haider Jörg aus Österreich zu Feld - diplomatisch jedenfalls. Schulter an Schulter mit anderen mutigen europäischen Regierungen lassen sie auf EU-Konferenzen die österreichischen Kollegen im Abseits stehen. Welche diplomatischen I-gitt Reaktionen aber hat sich die Bundesregierung wohl gegenüber dem Land Brandenburg ausgedacht?
Dort nämlich bleibt es nicht bei verbaler Krafthuberei gegen Ausländer. Dort vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Mensch geschlagen, gejagt, gedemütigt wird, weil er nicht deutsch genug aussieht. In einem Ort nun haben verzweifelte Asylbewerber einen Hilferuf an die Regierung, an die Öffentlichkeit und an die Menschenrechtskommission der UNO geschickt: weil sie in Brandenburg um ihr Leben fürchten. Gabi Probst war in Rathenow und hat Erschreckendes herausgefunden: nicht nur ein paar rechte Schläger sind das Problem.

O-Ton: "Eh, Platzverweis"

In einem Jugendclub unweit der Stadt wollen rechte Schläger mit Gewalt Zutritt. Die Polizei kennt diese Gruppe, überprüft die Personalien und erteilt Platzverweis. Ein Gewalttäter wird verhaftet. Bis zu 80 Polizisten sind derzeit wöchentlich hier im Einsatz. Der Anlaß ist ein offener Brief.

Ahmed und 47 Ausländer verschiedener Nationalitäten haben diesen offenen Brief geschrieben. 47 von 160 Bewohnern des Asylbewerberheimes in Rathenow, die fast täglich angegriffen werden: verbal und tätlich. Erstmals sprechen sie öffentlich über ihre Angst vor rechten Schlägern und die Ignoranz von Behörden. Sie wollen in ein anderes Bundesland. In ihrem Brief bergründen sie es so:

O-Ton Brief:
"Wir mußten zur Kenntnis nehmen, daß trotz dieser Angriffe und trotz der Bedrohung für Leib und Leben, die verantwortlichen Behörden im Land Brandenburg nichts unternommen haben. Wir sind der Meinung, daß dieses Bundesland zu gefährlich ist, um hier zu leben."

Ahmed war in Pakistan Medizinstudent. Er kämpfte für Demokratie in seinem Land. Doch die totalitäre Regierung dort droht ihm und seinem Freund Mahmood mit Gefängnis. In Deutschland suchen sie Schutz. Doch nun trauen sie ich kaum noch auf die Straße. In der Silvesternacht wurde Mahmood krankenhausreif geschlagen.

O-Ton Ahmed Itaz:
"Ich sprechen mit diesen Leuten. Ich gesagt, heute ist schöner Anfang neue Jahr und wir wollen nicht kämpfen heute und warum sie machen Problem. Und sie waren besoffen und getrunken diese Leute alles. Und noch mal Problem machen mit andere Kollegen:eine Flasche hier an Kopf. Ich habe gesehen andere Seite kamen noch mehr Nazis. Und Nazis hat ihn angegriffen und runtergefallen, richtig geschlagen mit Füßen und alles. Er hat zwei Zähne verloren."

O-Ton Mahmood:
"I didn't go outside fortyseven days after the attack of the nazis."


Das Asylbewerberheim liegt abseits von der Stadt, dort, wo Rathenower nicht wohnen wollen. Ein totes Industriegebiet, 25 Prozent Arbeitslosigkeit.

Wenn es dunkel wird, verläßt keiner der Asylbewerber das Heim - aus Angst. Da bleibt nur das allabendliche Video aus der Heimat, bis zu fünf Männer wohnen in einem Zimmer. Früher hat Ahmed noch seine Freundin in der Stadt besucht. Doch drei brutale Überfälle in nur zwei Monaten, da traut er sich nicht auf die Straße.

Abends gehört die Stadt den Jugendlichen. Disko, Kneipen und Stadtzentrum wollen sie "ausländerfrei" haben. Sie wollen "befreite Zonen" sozusagen. Jeder Ausländer ist hier nicht sicher.

O-Ton Jugendlicher:
"Warum schlagt ihr sie zusammen? Was haben sie Dir getan? - Na ja, die habe eine andere Farbe als wir, dett is es. -Das stört dich? Das ist ziemlich rassistisch!- Na klar. - Darauf bist du stolz? - Ist doch jeder hier, na klar.
Also das sollten die irgendwie Regeln mit dem Krieg und dann sollen sie in ihren Ländern bleiben. - Aber die können doch nichts für ihren Krieg ... - Wir auch nicht."

So denken alle hier. Wir verabreden uns für den nächsten Tag.
In ihrer Schule - eine Gesamtschule mit 600 Schülern, wo man auch das Abitur machen kann. Doch unsere Jungs verstecken sich, haben plötzlich keine Courage mehr. Dieser 14jährige zeigt offen seine Gesinnung, er ist stolz ein Deutscher zu sein.

O-Ton Jugendlicher:
"Bin stolz, daß ich ein Deutscher bin. -Bist du da ein besserer Mensch als die anderen? -Ja, wir alle wir Deutschen. -Wer sagt dir denn so etwas? Was ist denn ein besserer Mensch, ein besserer Deutscher? -(lacht)

Die Jungs, mit denen wir verabredet waren, wollen nicht reden. Aber wir lernen Katrin und ihre Freundin kennen, die genauso gegen Ausländer sind.

O-Ton Monique:
"Von mir aus können sie die Ausländer dahin bringen, wo sie her kommen. Muß ich echt mal so sagen:" O-Ton Katrin: "Was suchen sie hier auch. -Na Asyl. -Ja, aber dann nehmen sie unsere Steuergelder weg. Das heißt eigentlich nehmen sie ja nicht direkt die Arbeit weg, sondern das, was wir bezahlen, unsere Eltern, das nehmen sie weg."

Katrin ist fünfzehn Jahre und nicht allein mit ihrer Meinung, wir treffen uns später noch einmal mit ihr.
Der Brief der Ausländer - so sagen es die Schüler - war hier kaum ein Thema. Der Direktor sagt, in seinem Unterricht hätte er darüber gesprochen. Zwar gäbe es Hakenkreuzschmierereien, doch Ausländerhaß, nein, das kann nicht sein.


O-Ton Lutz Hohmann:
"Woher wissen Sie das? -Die Schüler sagen es. -Es gibt Auseinandersetzungen. wer gibt die Definition dafür, daß das Ausländerhaß ist? -Das ist ganz deutlich, indem man sagt: das ist unser Deutschland, die sollen raus. - Da wissen sie mehr als ich."

Im Rathaus unterdessen ist man um den guten Ruf der Stadt Rathenow besorgt. Touristen sollen in die schöne Altstadt kommen, Schlagzeilen über Rechtsradikalismus passen da nicht ins Bild. Deshalb hat der bürgermeister Ahmed und seine Freunde in die Stadtverordnetenversammlung eingeladen. Nun will man sich um sie kümmern. Die Anschläge auf Ausländer habe hier kaum jemand ernstlich aufgeregt.

O-Ton Hans-Jürgen Lünser:
"Sicher haben alle die Situation etwas unterschätzt und in der Vergangenheit zu wenig getan, aber der Vorwurf, es wurde nichts getan, der kann so nicht stehen bleiben."

Die Rathenower interessiert das kaum, obwohl zur Diskussion aufgerufen wird. Eine Arbeitsgruppe "Tolerantes Rathenow" soll gegründet werden, nur drei Abgeordnete sprechen sich dafür aus.

O-Ton:
"Möchte sich sonst noch jemand äußern?"

Die Bürger schweigen.

O-Ton Jugendliche:
"Ich meine die Deutschen sagen natürlich durch die Hitlerzeit trauen sich die Politiker nicht die Ausländer bei uns raus zu schmeißen, weil sie ja denken, wir sind verpflichtet, die jetzt aufzunehemn, weil wir die Juden und andere Leute getötet haben, wahrscheinlich ist es deswegen, daß hier so viele sind."

Deutsche sind auch für Katrin die besseren Menschen, andere Kulturen wollen sie nicht, nicht hier in Rathenow.

O-Ton:
"Also wir leben wie richtige Deutsche, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus. Das sind so die Hauptsprüche. Wenn jetzt ein Türke kommt mit seiner Religion, paßt es nicht - ist Deutschland, ist was anderes, also raus mit dem, so würd ich es sehen."

Einige Meter von Katrin entfernt kauft Ahmed mit seinem wenigen Geld im Supermarkt ein. Wenn er beschimpft wird mit den Worten: "Was machen die Scheiß Ausländer hier" - wie gerade geschehen, ist er empört. So etwas erlebt er fast täglich.

O-Ton Ahmed:
"Haben sie gehört, was dieser Mann gesagt, was machen die Scheiß Ausländer hier im Laden."

Der Mann versteckt sich vor unserer Kamera, auch später fehlen ihm die Worte.

O-Ton:
"Sie haben gerade gesagt: Scheiß Ausländer. Warum stören die Sie? Können Sie das sagen, warum? .... (stumm)

Unweit der Stadt liegt ein nobles Golfhotel. Katrin und Monique spielen in der Jugendmannschaft mit, Seite an Seite mit Ausländern. Die würden sie dulden, die reichen Ausländer in Deutschland, obwohl sie den Kontakt auch nicht wollen.

O-Ton:
"Es ist ja auf dem Golfplatz auch so, man hat da echt einen Ausländer hat, dann muß man eben seine Rassen- eh, rechte Meinung muß man echt wegstecken. Da hört es irgendwie auf. Hier muß man sich echt anpassen."

Auch Katrin denkt so.

O-Ton:
"-Wenn der dich fragen würde, der Ausländer, der hier auf dem Golfplatz spielt, ob er hier willkommen ist, was würdest Du ihm antworten? -Ja, er ist willkommen. -Also anpassen? -Ja."

Anpassen - es fällt ihnen schwer, doch schließlich wollen sie ja nicht vom Platz fliegen. In der Gruppe, bei den Jungens, brauchen sie sich nicht zu verstellen. das Feindbild ist klar. Und zu Hause? Der Familie geht es gut, auch wenn der Vater jetzt nicht mehr Meister, sondern Vorarbeiter ist. Geldsorgen habe sie keine. Einfluß auf die Tochter? Zu wenig Zeit, sagen sie. Hilflose Erklärungsversuche:

O-Ton Mutter:
"Wir können uns das nicht vorstellen. Okay, wir haben Arbeit, aber das ist vielleicht die Angst vor der Zukunft, diese Nullbockreaktion von den Kindern, ich muß ja nicht lernen, ich kriege sowieso keine Lehrstelle. Irgenwie ist die ganze Gesellschaft krank." O-Ton Vater: "Sie hat ja genügend andere Interessen, wo sie sich praktisch darstellen kann, da muß sie sich nicht auf diese Art auf Ausländerhaß versteifen. Die Reaktion haben wir eigentlich auch nicht fetsgestellt. Vielleicht in der Gruppe, unter sich, aber nicht zu Hause. Das Thema haben wir hier so nicht."

Ahmed ist in die Polizeiwache eingeladen worden. Man will sich gegenseitig kennenlernen. Die Polizei will jetzt schärfer vorgehen. Die Täter würden schneller ermittelt. Vorbeugend stünde man Tag und Nacht vor dem Heim Wache. Vorläufig. Das hat der Brief wenigstens bewirkt. Ahmed hat wieder Hoffnung.

O-Ton Ahmed:
"Das ist ein Anfang, ich glaube der Polizeipräsident hat gesagt, wir brauchen Nazi finden und sie muß Ausländer helfen und mit zusammenarbeiten."

Die Polizei ist die einzige Hoffnung. Denn Rathenow verlassen kann Ahmed nicht, das wäre ein Verstoß gegen die Ausländergesetze.


Und wie kommt jetzt ein bißchen Menschenverstand in die Köpfe...?
Die Landesregierung gibt sich bemüht aber hilflos, die Bundesregierung ist mit Österreich beschäftigt. Apropos Österreich: wer keine Lust hat, dort noch skizufahren, dem ist sicher auch die Freude am Wanderurlaub in Brandenburg vergangen.