Demo gegen Rechts in Rathenow (Quelle: rbb)

- Ratlos in Rathenow - Die Diskussion

In der Sendung vom 9. März berichtete Kontraste über ausländerfeindliche und rassistische Gesinnung vor allem junger Menschen im brandenburgischen Rathenow. Bürger und Bürgermeister zeigten sich empört. Jetzt diskutierte die Kontraste-Redaktion mit den Rathenowern.

In unserer letzten Kontrastesendung hatten wir über den Hilferuf von Asylbewerbern berichtet, abgeschickt aus Rathenow in Brandenburg. Sie glaubten, dort ihres Lebens nicht mehr sicher zu sein.
Unser Bericht hat viele Rathenower verärgert. Er habe das Ansehen der Stadt beschädigt, und das wollten sie mit uns diskutieren. Wir haben das getan. Anett Schwarz hat hingehört und zugesehen.


Die Polizei hat ihre Einsatzkräfte verstärkt vor dem Asylbewerberheim. Achmed und seine Freunde auf dem Weg zur Podiumsdiskussion über die Kontraste-Sendung. Obwohl sie die Hauptpersonenen sind, hat sie der Bürgermeister nicht eingeladen.

Am 9. März berichtet Kontraste über Achmed und seine Freunde: sie fühlen sich nicht sicher in Rathenow. Überfälle, Angriffe, Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Sie wollen in ein anderes Bundesland. Darum bitten sie in einem offenen Brief - unterschrieben von 47 Asylbewerbern.

Kontraste berichtet über eine erschreckend unverhohlene Ausländerfeindlichkeit. Kaum jemand macht einen Hehl aus seinem Rassismus - auch nicht vor der Kamera.

O - Ton Schüler:
"Warum schlagt ihr sie zusammen, was haben sie Dir denn getan? - Naja, die haben eine andere Farbe als wir. - Und das stört Dich. Das ist ziemlich rassistisch. - Na,klar! - Und darauf bist Du stolz? - Na, klar! Ist doch jeder hier."

Der Marktplatz von Rathenow ist sozusagen eine befreite Zone.

Über den Bericht von Kontraste sind die Bürger entsetzt. Der ursprünglich geplante stille Protest am Internationalen Antirassismustag wird zum Protest gegen das Magazin.
Einige Demonstranten fürchten offenbar weniger um das Wohl und Leben ihrer ausländischen Mitbürger, als vielmehr um das Image der Stadt. Der Bürgermeister empört sich in seiner Rede über die ARD-Sendung:

O - Ton Hans-Jürgen Lünser (parteilos), Bürgermeister
"Rathenow hat soviel überstanden: die Pest, den 30-jährigen Krieg und die Zerstörung im II. Weltkrieg und ich glaube, die Rathenower sind in der Lage, daß Negativimage, das durch die Sendung weltweit verbreitet wurde zu relativieren und zu beweisen, wir sind nicht von Grund auf ausländerfeindlich, gewaltbereit, intollerant und alles, was in diesen Jargon paßt."

Er möchte, daß Kontraste den Beitrag widerruft.

Deshalb am vergangenen Dienstagabend die Podiumsdiskussion unter dem Schutz der Polizei.
Bürgermeister Lünser hat die Bürger und die Macher der Sendung Kontraste in eine Aula geladen.

Etwa 300 Menschen sind gekommen. Auch Achmed und seine Freunde. Leicht ist es ihnen nicht gefallen.

Von einer Abrechnung mit den sogenannten Quotenjournalisten ist zu hören.

O - Ton Bürger
"Das ist ein ganz schlimmes Ding, was uns da ins Haus geflattert ist. Und wenn sie heute hieraus vielleicht entnehmen können, daß es ganz viele Bürger gibt, denen das weh tat und die einen ganz anderen Standpunkt haben, als den, den Sie geschildert haben, persönlich vertreten. Dann sollten Sie das auch irgendwie in ihre Darstellung mit einbauen."

Dabei hatte es am vergangenen Wochenende erneut Angriffe auf ausländische Mitbürger gegeben. Nachzulesen in der lokalen Presse. Beweis für den alltäglichen Rassismus, der auch in dem Kontraste- Beitrag zu sehen war.

O - Ton Reinhard Borgmann, Redaktion Kontraste
"Wir haben gesehen, Menschen in Angst. Wir haben Menschen in Angst in den Supermarkt begleitet. Ist Ihnen da nicht die Kinnlade runtergegangen, als Sie das gesehen haben? Da wird ein Schwarzer, ein Farbiger begleitet unter dem Schutz der Öffentlichkeit und da schreit jemand: "Scheiß Ausländer!". Wie weit muß es in dieser Stadt kommen, daß dies möglich ist, das war mitten am Tage, nicht abends in einer Diskothek. Das war Alltag und das ist Alltag hier in Rathenow."

Auch an diesem Abend: Bürgermeister Lünser beklagt wieder nur den Verlust des guten Rufes seiner Stadt. Verantwortlich dafür seien die Journalisten.

Dann aber gibt es auch zunehmend andere Stimmen und Vorwürfe gegen die Stadt.

O - Ton Bürger
"Wir haben - seit Jahren haben wir Probleme, seit -zig Jahren. Ob sie vielleicht mal die Verfassungsschutz-Berichte der letzten Jahre im Land Brandenburg gelesen haben. Alle Wege führen nach Rathenow, immer wieder. Seit Jahren wird in Rathenow demonstriert, noch nie wurde das von der Stadt unterstützt oder organisiert."

Lünser bleibt sprachlos. Betroffenheit äußert ein anderer.

O - Ton Bürger
"Ich entschuldige mich bei den Ausländern, die von den Deutschen verbal, nonverbal und tatsächlich angegriffen wurden."

O - Ton Asylbewerber
"Wir wollen nicht politisch mißbraucht werden. Wir verlangen nur Sicherheit - was immer der Abend hier bringen sollte.
Wir sind nicht damit einverstanden, daß hier, nur weil die Medien da sind, alles friedlich ist. Soll das hier eine Show sein oder worum geht es?"

In dieser Nacht bleibt die Polizei vor dem Asylbewerberheim. Achmed und seine Freunde fühlen sich einigermaßen sicher. Durch die Dunkelheit begleitet hat sie auch heute kein Rathenower.


In Rathenow aber ginge es gar nicht anders zu als anderswo, haben uns viele Bürger gesagt und geschrieben. Das mag Rathenower beruhigen. Für die Fremden, die in Rathenow und anderswo leben, könnte diese Aussage erschreckender nicht sein. Aber vielleicht wächst die Gruppe der engagierten Kerzenträger bald zu einer Bürgerbewegung, die dafür sorgt, daß Einheimische wie Fremde sorglos durch die Straßen laufen können. Dann ist Rathenow wirklich anders als anderswo und werden in Kontraste gern wieder berichten.