Rechtsradikale (Quelle: rbb)

- Rechtsradikaler Terror: Blinde Justiz, feige Polizei?

Ihre Tat ist durch Polizeizeugen belegt, ihre Namen sind der Justiz bekannt - und doch läuft die Gruppe rechte Schläger immer noch frei herum.

Jetzt zu dem Thema, das beinahe zwischen Konjunkturdebatte und Sozialhilfeschelte ins Sommerloch gerutscht wäre.

Gestern hat der Bundeskanzler zum Widerstand gegen den Rechtsextremismus aufgerufen. Sein Innenminister hatte mit neuen Zahlen Alarm geschlagen: Sie breiten sich aus: auf den Straßen, im Internet, in der Musikszene, immer offener, immer gewaltbereiter. Sie können sich das leisten, weil ihre Umgebung wegschaut. Sie haben Erfolg, weil ihre Ideen in Teilen der Jugendszene als chic gelten.

Widerstand also fordert der Kanzler - aber und von wem? Der Rechtsstaat hat Mittel sich zu wehren: das sind Polizei und Justiz. Aber was tun, wenn die so jämmerlich versagt, wie in unserem Beispiel?

Henno Osberghaus und Luzie Rüger mit einem Skandal aus der Bundesrepublik - im Jahr 2001: Rechtsextreme schlagen zu - und bleiben auf freiem Fuß.


Vor wenigen Wochen in Brandenburg - Aufmarsch von Neonazis. Ganz vorne: die sogenannte Kameradschaft Germania aus Berlin, überzeugte Nationalsozialisten mit Hass auf Fremde und Andersdenkende.

Er ist einer der Wortführer, Lutz Giesen. Beruf: Neonazi. Seit vier Jahren organisiert er Aufmärsche, verfasst Propaganda-Schriften und schult den Nachwuchs.

Lutz Giesen, Neonazi:
"Man muß uns erschlagen, um uns zu bekämpfen. Wir haben die Argumente, wir haben die Ideale und wir wollen unsere Zukunft haben."

Juli 99: Rasthof Stolpe in Mecklenburg-Vorpommern. Lutz Giesen und seine rechten Kameraden überfallen eine Gruppe von jungen Punks, die ihnen zufällig über den Weg läuft. Was jetzt geschieht, haben wir nachgestellt. Die 16 Neonazis vermummen und bewaffnen sich, schleichen sich an die Opfer heran - dann schlagen sie zu:

Zwei der Überfallopfer - Jan und Mike - aus Furcht vor den Tätern wollen sie unerkannt bleiben.

Überfallopfer
"Also, ich habe noch niemals so krasse Brutalität irgendwie live erlebt, selber. Wir hatten ziemliche Panik eigentlich. Alle. Wir haben ja noch versucht, irgendwie einer ist reingesprungen, der keinen Führerschein hatte, und hat versucht das Auto zu starten noch. Und das hat auch nicht geklappt, irgendwie. Weil die sind dann auch irgendwie nur noch unters Lenkrad gekrochen und in Deckung gegangen und so weil vorne die ganze Windschutzscheibe reinkam und immer weiter Steine und Flaschen reinflogen."

Jan trifft ein Stein am Auge, er verliert fast das Bewußtsein, rettet sich gerade noch ins Auto.

Überfallopfer
"Na, die wollten uns wahrscheinlich umbringen."
"Die wären auf alle Fälle bis zum äußersten gegangen."
"Ja."

Dabei war Hilfe eigentlich direkt vor Ort: Zwei Polizisten einer Spezialeinheit gegen rechte Gewalt. Eingesetzt um Straftaten zu verhindern. Sie beobachteten die Neonazis schon den ganzen Tag. Doch als die Schläger angreifen, verstecken sie sich hinter einer Hecke - und schauen zu.

Später geben sie zu Protokoll:

"Wir hätten nichts bewerkstelligen können, so brutal sah es aus".

Ganz anders verhält sich eine Augenzeugin. Sie springt in ihr Auto, fährt auf die Schläger zu - mit lautem Hupen - und schlägt sie damit in die Flucht.

Der Anwalt der Opfer hält das Verhalten der Polizei für einen Skandal.

Stephan Schrage, Opferanwalt:
"Wenn man dieses Verhalten der beiden Polizeibeamten und dieser unbeteiligten Zeugin mal gegenüberstellt, muss man ganz klar sagen: Die Polizei hat hier ihre Aufgabe nicht erfüllt und hat es sozusagen dem Zufall beziehungsweise couragierten Bürgern überlassen, dort einzugreifen und dann noch irgend etwas schlimmeres zu verhindern."

Kontraste fragt beim Landeskriminalamt Brandenburg nach - keine Stellungnahme der Polizei.

Im Festnahmebericht heißt es zu den Tätern:

"...Berliner Rechtsextremisten..., welche der Kameradschaft Germania zugeordnet werden können."

Seit über zwei Jahren laufen die 16 rechtsextremen Täter frei herum. Sie sind nach wie vor aktiv. Vor kurzem auf einer Neonazi-Demo - wir entdecken zwei der damaligen Täter: Alexej Schwabauer, und hier Lutz Giesen - der Wortführer. Die Parole: "Rote haben Namen und Adressen" unverhohlen drohen sie mit Gewalt gegen Andersdenkende.

Kameradschaften wie die Germania gelten als Auffangbecken für Fanatiker.

Matthias Adrian - Aussteiger aus der rechten Szene. Noch vor zwei Jahren war er Nazi durch und durch. Er kennt die Szene und hält die Mitglieder der Kameradschaften für gewaltbereite Überzeugungstäter - denen selbst die NPD zu lasch ist.

Matthias Adrian, Ex-Neonazi
"Warum sich gerade in Kameradschaften sehr viele Fanatiker sammeln, ist ganz einfach, dass die Leute schon zu radikal für politische Parteien sind, ja. Weil, wenn man gerade Leute wie den Lutz Giesen in einer politischen Partei hätte, dann wäre allein er schon wieder fast ein Verbotsgrund - ne."

Gegen Lutz Giesen wurden 43 Ermittlungsverfahren in den letzten Jahren geführt - u.a. wegen Volksverhetzung und Körperverletzung. Auch der Verfassungsschutz hält die Mitglieder rechter Kameradschaften wie die der Germania für äußerst gefährlich.

Klaus Dieter Fritsche, Bundesamt für Verfassungsschutz:
"Vor allem im letzten Jahr hat man bei den Mitgliedern neonazistischer Kameradschaften Waffen und Sprengstoff gefunden. Und das weist nach unserer Ansicht deutlich darauf hin, dass man sich nicht nur mit Gewaltkonzepten und der Diskussion über Gewaltkonzepte beschäftigt, sondern auch sich Gedanken darüber macht, mit welchen Mitteln man solche Gewalt durchsetzen kann."

Die rechten Kameraden sind eingeübte Schlägertrupps, wie gut organisiert zeigt der Überfall auf der Raststätte.

Stephan Schrage, Opferanwalt:
"Dieses gemeinschaftliche Anlegen von Vermummung finde ich einen ganz wesentlichen Punkt, das ist kein gelegentliches Zuschlagen, sondern da hat eine handfeste Überlegung vorher eine Rolle gespielt. Das ist generalstabsmäßiges Vorgehen gewesen und kein gelegentliches."

Generalstabsmäßig organisierte Schläger - und trotzdem lässt sich die Justiz Zeit - über zwei Jahre schon. Nur ein einziger der rechten Kameraden wurde bisher verurteilt - er kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Gegen 14 der Täter wurde noch nicht einmal Anklage erhoben. Sie laufen unbehelligt herum - obwohl zwei Polizisten die Tat bezeugen.

Zwei Staatsanwaltschaften sind zuständig. Beide sind in Erklärungsnöten.

Hanns-Rudolf Wirsich, Staatsanwaltschaft Schwerin:
"Die Ermittlungen dauern im Augenblick noch an."

Auch die Berliner Staatsanwaltschaft scheint mit dem Fall völlig überfordert.

Sascha Daue, Justizpressesprecher Berlin:
"Es handelt sich um einen äußerst komplexen Vorfall. Das bedeutet, es sind viele Beschuldigte erfasst worden. Diese Beschuldigten wohnen an unterschiedlichen Orten. Es gab hier auch unterschiedliche Zuständigkeiten."

Die Täter nutzen die Zeit für neue Propagandaarbeit und auch für neue Straftaten. Beispiel Marco Oemus: Nur sechs Tage nach dem brutalen Überfall auf der Raststätte attackiert er erneut einen Jugendlichen, den er für "links" hält. Er würgt ihn, drückt ihm eine Zigarette im Gesicht aus.

Stephan Schrage, Opferanwalt:
"Die Justiz hat ihren Teil dazu beigetragen, dass es in keiner Weise irgendein Umdenken bei diesem Personenkreis gibt und zwar deshalb, weil dieses Verhalten auf dieser Raststätte bis heute nicht geahndet worden ist."

Letztes Wochenende in Wunsiedel: Gedenkmarsch für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess. Wieder demonstrieren die Kameradschaften offen ihre rechtsradikale Gesinnung. Wieder treffen wir auf Täter von dem Überfall: Michael Gehler - und wieder Lutz Giesen.

Die Opfer fühlen sich von der Justiz allein gelassen. Sie haben Angst und sehen sich dem rechten Schlägertrupp ausgeliefert.

Überfallopfer:
"Angst, dass sie uns auf Listen setzen, habe ich auf jeden Fall, dass die irgendwie mal wieder auf uns warten irgendwie, oder uns irgendwo abfangen. Weil sie ja unsere Adressen haben."

Die Täter dagegen machen sich keine Sorgen. Viele Gerichtsverfahren gegen sie und rechte Kameraden blieben ohne Folgen.

Lutz Giesen, Neonazi:
"Wenn ich meinen Briefkasten des öfteren ankucke, dann flattern mir immer wieder Einstellungen von Verfahren ins Haus, von denen ich noch nicht mal von der Eröffnung wusste."


Vielleicht sollte der Kanzler in seine Sommerreise noch die eine oder andere Station einplanen: ein Besuch bei der Staatsanwaltschaft Berlin oder bei der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern. In Sachen "Widerstand gegen Rechtsextremismus".