Warum handeln die Krankenkassen keinen besseren Preis aus? Quelle: rbb

600 Euro für eine Tablette - Warum handeln die Krankenkassen keinen besseren Preis aus?

Mehr Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, davon profitiert der Versicherte. Sinkende Preise bedeuten mehr Leistungen für die Versicherten, hieß es. Und mit dem Arzneimittelneuordnungsgesetz sollte alles noch besser, das Preismonopol der Pharmakonzerne endlich gebrochen werden. Doch gerade bei neuen Arzneimitteln ist das Gegenteil eingetreten - jetzt rufen die Pharmakonzerne Phantasiepreise auf! Und die Krankenkassen lassen sich wegen des Wettbewerbs untereinander über den Tisch ziehen.

Anmoderation: Gucken wir mal in die Zukunft: Was das kommende Jahr uns bringt, da kann man nur spekulieren. Von einem können wir sicher allerdings ausgehen: Die Krankenkassenbeiträge, die werden weiter steigen. Über 33 Milliarden Euro haben die Krankenversicherer im vergangenen Jahr allein für Medikamente ausgegeben, und das, obwohl wir Patienten alle schon kräftig dazuzahlen. Und wem haben wir das zu verdanken? Den großen Pharmakonzernen, die die aktuelle Gesetzeslage gnadenlos ausnutzen, um die Preise für Arnzeimittel weiter in die Höhe zu treiben. Susanne Katharina Opalka und Ursel Sieber mit einem Beispiel, das Ihnen die Schuhe ausziehen wird.

Ein Medikament geht über den Ladentisch. Der Preis für eine dreimonatige Behandlung: 53.566, 53 Euro. Darin bereits enthalten: ein Rabatt des Hersteller gegenüber den Krankenkassen. Immer noch eine unglaubliche Summe für die Therapie eines einzigen Patienten: Sovaldi gegen Hepatitis C.

Uwe Lempert ist einer von den vielen tausend Infizierten in Deutschland. Schon lange trägt er den Hepatits C Virus in sich: Immer müde, immer krank, die Leber entzündet.  Viele Therapien hat er schon versucht, das innovative Medikament schlägt endlich an.

0-Ton Uwe Lempert
Die Aussicht, endlich diesen Virus loszuwerden und da habe ich mich natürlich gefreut und war auch begierig, das durchzuziehen.

Sein Arzt Dr. Klausen hat gute Nachrichten: Wenn seine Werte so bleiben, ist er wohl geheilt. Den Arzt freut es - was ihn empört, ist der hohe Preis.

0-Ton Dr. Gerd Klausen, Infektiologe
Da verlange ich tatsächlich auch von der Industrie, einen Blick dafür zu haben, wer denn die Preise dann zahlt, die da kreiert werden, nämlich ein öffentlich solidar-finanziertes Gesundheitswesen.

Auch sein Kollege Dr. Dupke ärgert sich. Er beobachtet, wie die Aktien des Herstellers steil angestiegen sind: Mit der Vermarktung des Medikaments begann der kometenhafte Aufstieg des Konzerns.

Dabei hat der amerikanische Hersteller Gilead den Wirkstoff nicht selbst entwickelt, sondern einer anderen Firma abgekauft. Gilead macht mit dem Medikament weltweit satte Gewinne - allein im letzten Jahr über 12 Milliarden Dollar.  

0-Ton Dr. Stefan Dupke, Infektiologe
Wenn man also bedenkt, dass dieses Medikament in der Herstellung 100 Dollar kostet und wenn Sie das  jetzt mit, sagen wir mal mit dem Preis eines Autos vergleichen würde, was es in der Herstellung kostet und sie würden den 600 fachen Preis fordern, dann würde jeder sagen, das kann jetzt nicht wahr sein.

Absurd hohe Preise sollte es in Deutschland nicht mehr geben. Als Gegenmittel präsentierte 2011 der damalige Gesundheitsminister Rösler das Arzneimittel-Markt- Neuordnungsgesetz - kurz AMNOG.

Gesetzlich vorgeschrieben ist seitdem ein kompliziertes Verfahren: Kommt ein neues Medikament wie Sovaldi auf den Markt, darf der Hersteller in Deutschland den Preis ein Jahr lang frei bestimmen. Ein Zugeständnis an die Pharmaindustrie.

Und: gleich nach Markteintritt bewerten unabhängige Gremien, ob das neue Medikament  einen zusätzlichen Nutzen hat. Falls ja - beginnen die Preis-Verhandlungen.

Mit dem Hersteller soll nur einer verhandeln: der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung - kurz GKV - zentral für alle Krankenkassen. Nach zwölf Monaten steht dann der ausgehandelte Preis: der sogenannte Erstattungsbetrag.

Und das war das Versprechen damals.  

Michael Hennrich (CDU)
Damit wir den Menschen deutlich machen, dass in Deutschland nicht die höchsten Arzneimittelpreise gezahlt, dass wir auch hier in Deutschland Einsparungen erzielen können.

Jens Spahn, (CDU)
Wir brechen das Preismonopol der Pharmaindustrie, sie kann nicht mehr einseitig die Preise festlegen.

Doch im Fall von Gilead hat das neue Gesetz nicht so ganz funktioniert. Warum?

Zentrale Preisverhandlungen: Der Versuch, eine Art "Waffengleichheit" herzustellen zwischen dem alleinigen Anbieter des neuen Medikaments und den Krankenkassen - vertreten durch den Spitzenverband.

Doch die Krankenkassen stehen auch im Wettbewerb. Das heißt: Jede Kasse schaut auf den eigenen wirtschaftlichen Vorteil. So geschehen beim neuen Hepatitis-Medikament:
Vier große Krankenkassen scheren aus. Sie schließen noch während der zentralen Preisverhandlungen eigene Rabattverträge mit der Firma Gilead.

Doch damit schwächen sie die Position des Spitzenverbands für die kollektive Verhandlung - und stärken die Position des Herstellers.

Das kurzsichtige Pokern hat der Chef der DAK, Herbert Rebscher nicht mitgemacht. Er kritisiert seine Kollegen, dass sie nicht, wie abgesprochen, die zentralen Preisverhandlungen abgewartet haben.

0-Ton Herbert Rebscher, Vorstand, DAK-Gesundheit
Es war weiß Gott keine Glanzleistung der Krankenversicherung, dass die zentrale Preisverhandlung unterlaufen wurde durch Einzelverhandlungen von Kassen. Es ist halt im Wettbewerb der Krankenversicherungen so, dass solche Absprachen nicht lange halten, wenn das individuelle Interesse einer einzelne Kasse für wenige Monate einen Vorteil ergibt.

0-Ton Herbert Rebscher, Vorstand, DAK-Gesundheit

Wenn zwei, drei große Krankenkassen eine Preismarke falsch gesetzt haben, hat der Spitzenverband kaum noch eine Chance, mit härteren Bandagen zu operieren.

Trotzdem versucht der Spitzenverband, noch gegen die Hochpreisstrategie des Konzerns vorzugehen.

Doch am Verhandlungstisch stocken die Gespräche.  Die Firma Gilead  will sich offenbar nicht weiter runterhandeln lassen. Nur um 11%. Und das ist nach Recherchen von Kontraste genau der Rabatt, den der Konzern einzelnen Kassen vorher auch schon gewährt hatte. So kläglich endet der Kampf gegen das Preisdiktat eines Pharmakonzerns.

0-Ton Herbert Rebscher, Vorstand, DAK-Gesundheit
Wenn zwei, drei große Kassen solche Verträge haben, darf man sich nicht wundern, wenn das die Obergrenze für alle ist.

Frage: Die setzen dann die Preismarke?

Klar.

Frage: Dann hat der Spitzenverband auch gar keine Chance, da drüber zu kommen?

Wenn zwei, drei große eine Preismarke falsch gesetzt haben, hat der Spitzenverband kaum noch eine Chance, mit härteren Bandagen zu operieren.

Gilead ist nun in eine bequeme Lage versetzt: Ein Drittel des deutschen Absatzmarktes hat die Firma schon im Sack. Zu seiner Preisstrategie befragt, antwortet der Konzern:
"Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns hierzu nicht äußern wollen, auch nicht schriftlich".

Wir wollten von den Krankenkassen wissen, warum sie ausgeschert sind. Die Techniker Krankenkasse teilt uns mit, das Sozialgesetzbuch biete "die Möglichkeit, zusätzliche Verträge mit pharmazeutischen Herstellern zu schließen".  Eine Rechtsauslegung, die jedoch umstritten ist. Auch die Bamer GEK beruft sich darauf und behauptet: "Wir sehen darin keine Schwächung des GKV-Spitzenverbands in den zentralen Verhandlungen".

Zu einem Interview bereit war der AOK Bundesverband: Vorstand Jürgen Graalmann rechtfertigt das Verhalten der Krankenkassen. Wegen der hohen Preise im 1. Jahr bleibe ihnen keine andere Wahl.

0-Ton Jürgen Graalmann, Vorstand, AOK Bundesverband
Wir reden über ein Ausgabenvolumen von fast 2 Mrd. Euro pro Jahr, allein für Hepatitis-C-Medikamente. Von daher halte ich es für absolut nachvollziehbar, dass einzelne Kassen für die ersten 12 Monate, wo dieser Preis vom Hersteller frei festgesetzt werden kann, dafür einen Rabatt auszuhandeln. Ich würde das mal als Nothilfe bezeichnen.

Nothilfe gegen überteuerte Medikamente. Allerdings auf Kosten anderer Krankenkassen und der Beitragszahler insgesamt.

Von diesem Ergebnis ist Dr. Dupke maßlos enttäuscht.

0-Ton Dr. Stefan Dupke, Infektiologe
Der von den Kassen verhandelte Rabatt ändert an dem Problem eigentlich nichts, dass es weiterhin komplett überteuert ist.

53566 Euro für eine Behandlung.

Dass die Krankenkassen sich so gegeneinander ausspielen lassen, liegt aber am Gesetz.  Denn das erlaubt die freie Preisbildung im ersten Jahr - was Pharmafirmen offenbar gnadenlos ausnutzen.

Weg mit dieser freien Preisbildung im ersten Jahr, fordert jetzt der GKV-Spitzenverband:  Der zwischen Hersteller und Spitzenverband ausgehandelte Erstattungsbetrag müsse stets rückwirkend, also ab dem 1. Tag der Marktzulassung, gelten.

0-Ton Ann Marini, GKV-Spitzenverband
Wir wollen, dass der Erstattungsbetrag ab dem 1. Tag gilt, der Patient würde natürlich vom Tag 1 davon profitieren und dann gäbe es auch keine Diskussion, egal mit wem, ob es parallel dazu anderer Verträge bedarf.

Dafür müsste das Gesetz geändert werden. Doch der Bundesgesundheitsminister will offenbar nicht. Er geht in Deckung. Wir bekommen lediglich zur Antwort: Das Ministerium "wird die weitere Entwicklung sehr genau beobachten".

Beobachten reicht Dr. Dupke nicht mehr. Die Lethargie in der Politik findet er unerträglich. Er bemüht sich stets, zu sparen, und dann das:

0-Ton Stefan Dupke, Infektiologe
Wir sind als Kassenärzte angehalten, möglichst kostengünstige Medikamente zu verschreiben. Das ist eine Sache, die ich sehr sinnvoll finde, weil wir das Geld der Versicherten ausgeben. Aber man muss sich klar machen, dass ich zum Beispiel bei einem Blutdruckmedikament vielleicht  30, 40 Euro im Jahr einspare, aber gleichzeitig Medikamente verordne, wo die Kassen es nicht schaffen, den Preis von 50 oder 60000 Euro wesentlich herabzusetzen und da fehlen für mich völlig die Relationen und da komm ich mir auch ein bißchen veralbert vor.

Abmoderation: Nachvollziehbar, dass Ärzte bei diesen Relationen die Welt nicht mehr verstehen. Unverständlich,  dass der Bundesgesundheitsminister sich taub stellt.
 

Beitrag von Susanne Katharina Opalka und Ursel Sieber