- Auf Kosten der Beitragszahler: Rekordpreise für Arzneimittel

Vor einem Jahr nahm der Pharmariese Sanofi ein erfolgreiches Medikament gegen Leukämie vom Markt. Viele fragten sich: Warum? Jetzt wird klar: Das Mittel hilft auch gegen MS und dank einer Gesetzeslücke ist es jetzt gut 40 mal teurer.

Zwei Worte reichen aus, um das seltsame Geschäftsgebaren eines großen Pharmakonzerns zu beschreiben: Maßlose Gier! Es geht um den Konzern Sanofi, der kürzlich ein neues Medikament gegen Multiple Sklerose auf den Markt gebracht hat. Dabei wird der Preis für den seit Jahren bekannten Wirkstoff mal eben so um das 40-fache erhöht! Lisa Wandt und Ursel Sieber über ein Millionenspiel in drei Akten - auf Kosten der Beitragszahler.

Vor einiger Zeit machten Forscher eine erstaunliche Entdeckung: Dieses Medikament enthält einen Wirkstoff, der nicht nur gegen Leukämie hilft - wie bislang gedacht - sondern auch gegen Multiple Sklerose. Eine glückliche Fügung. Eigentlich.

Doch im August 2012 verschwindet das Leukämiearzneimittel plötzlich vom Markt.

Diana Lüftner
Deutsche Gesellschaft für Onkologie

„Ich war erstaunt, ich war teilweise empört, ähnlich auch wie die Kollegen, weil hier ein gewisses Maß an Verantwortung durch die Pharmaindustrie fehlt.“

Torsten Hoppe-Tichy
Chefapotheker, Universitätsklinikum Heidelberg

„Ich kann nicht einfach ein Medikament vom Markt zurück nehmen, welches eine klare Indikation hat."

Prof. Wolf-Dieter Ludwig
Helios-Klinikum Berlin-Buch

„Ich finde das aus medizinischer Sicht skandalös."

Das lebenswichtige Leukämie-Medikament können Onkologen seitdem nur noch umständlich über eine englische Firma besorgen.

Verantwortlich: Der Pharmakonzern Sanofi und seine Tochterfirma Genzyme. 1. Akt eines Millionenspiels: Die Marktrücknahme. Das Ziel: Der Markt mit MS-Kranken. Er ist viel größer als der mit Leukämie-Kranken - und damit lukrativer.

Wie so etwas funktioniert, hat Torsten Hoppe-Tichy, Chefapotheker an der Uniklinik Heidelberg, genau beobachtet.

Torsten Hoppe-Tichy
Chefapotheker, Universitätsklinikum Heidelberg

„Ich finde es nicht ethisch, zu sagen, ich habe hier eine Patientengruppe, die im Moment ein Präparat bekommt, zu einem bestimmten Preis im Markt und diese Patientengruppe ist mir einfach zu klein und ich nehme deshalb dieser Patientengruppe das Medikament quasi weg und setze auf das neue Pferd und dort nehme ich dann einen viel, viel höheren Preis."

2. Akt: Die Preiskorrektur. Am 17. September dieses Jahres ist es soweit: Der alte Wirkstoff ist unter dem Namen Lemtrada wieder da. 40 mal teurer: Statt bislang 21 Euro pro Milligramm will der Hersteller jetzt 887 €. Wohlgemerkt für einen Wirkstoff, den es genauso vorher schon gab.

Eine maßlose Preisexplosion - so Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft.

Prof. Wolf-Dieter Ludwig
Helios-Klinikum Berlin-Buch

„Dieses Arzneimittel wird seit Anfang der 90er Jahre in der Klinik erforscht. Die Entwicklungskosten für dieses Arzneimittel, auch die Kosten für die klinischen Studien, rechtfertigen diesen hohen Preis nicht. Ich glaube es ist eindeutig natürlich das Profitstreben des pharmazeutischen Unternehmers und die Lukrativität dieses Marktes."

Das zum Beispiel ist die neue Zielgruppe von Sanofi. Ein Selbsthilfeverein für Multiple Sklerose-Kranke in Berlin. Hier setzen Patienten große Hoffnung in das Medikament Lemtrada.

„Das mit diesem Lemtrada ist eigentlich eine ganz schöne Sache, wenn man überlegt, Sylia, du spritzt dich wie oft in der Woche?“
„Dreimal.“
„Dreimal die Woche. Du täglich?"

Viele hier müssen sich regelmäßig ein anderes Mittel spritzen, um die Erkrankung zu bremsen. Manche sogar täglich. Mit Lemtrada kommt jetzt ein Medikament, das Erleichterung verspricht.

Denn die Behandlung muss angeblich nur noch zwei mal erfolgen - und zwar in zwei Phasen: Im ersten Jahr erhält der Patient an fünf aufeinanderfolgenden Tagen eine Infusion - jeweils für schlappe 10.653 Euro. Im zweiten Jahr dann nochmals drei Infusionen. Insgesamt kostet eine Therapie also rund 85.000 Euro.

Beim Pharmakonzern Sanofi findet man: ein angemessener Preis. Angeblich seien die bisherigen Medikamente für MS-Kranke ähnlich teuer. Ein Interview lehnen die Manager ab, schriftlich teilt man uns aber mit: Lemtrada sei „keine Langzeittherapie" wie alle anderen MS-Therapien, sondern nach zwei kurzen Behandlungsphasen in 80 Prozent der Fälle abgeschlossen."

Soll heißen: Dieses Arzneimittel brauchen die meisten MS-Patienten nur zwei Mal - und dann nicht mehr? Eine kühne Behauptung, die noch nicht wirklich bewiesen ist. An der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München hat Chefarzt Professor Bernhard Hemmer bereits Erfahrung mit dem Wirkstoff Alemtuzumab gemacht.

Prof. Bernhard Hemmer
Klinikum rechts der Isar, München

„Es ist so, dass die Therapie bei der Mehrzahl der Patienten nicht dazu führt, dass die Krankheit komplett geheilt ist, sondern man wird mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einem Teil der Patienten entweder das Alemtuzumab weiterführen müssen oder es werden andere Medikamente da zum Einsatz kommen."

Und es kann auch zu vorzeitigen Therapieabbrüchen kommen, weil bei der Behandlung mit Lemtrada gefährliche Nebenwirkungen auftreten können.

Kein Wundermittel also - dennoch ein derart hoher Preis? Eigentlich dürfte das nicht mehr gehen. Denn: Schwarz-Gelb schafft im Jahr 2010 extra ein Gesetz, das Mondpreise bei Arzneimitteln verhindern soll.

Philipp Rösler (FDP), 2010
„Wir wollen das Preismonopol mit diesem Gesetzentwurf der Industrie brechen."

Röslers Gesetz verlangt: eine Nutzenbewertung für neue Medikamente. Und danach: Preisverhandlungen mit den Krankenkassen.

Doch welch ein Zufall. 3. Akt: Die Lücke. Das Gesetz greift nicht beim teuren MS-Medikament Lemtrada. Denn es enthält einen Wirkstoff, der fast 20 Jahre alt ist. Und wenn ein alter Wirkstoff mit neuem Namen wieder auf den Markt kommt, gibt es keine Nutzenbewertung und keine Preisverhandlungen mehr. Eine Gesetzeslücke, die zum Preispoker von Sanofi perfekt zu passen scheint.

Prof. Wolf-Dieter Ludwig
Helios-Klinikum Berlin-Buch

„Aufgrund der derzeitigen Vorgaben ist es in der Tat so, dass der Hersteller wie früher zum Teil horrende Preise selber festlegen kann und wir keine Möglichkeiten haben nach einem Jahr durch vergleichende zweckmäßige Vergleichstherapie diesen Preis auf ein vernünftiges Maß abzusenken."

Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach verspricht als Juniorpartner in einer Großen Koalition, das Gesetz zu ändern.

Karl Lauterbach (SPD)
Bundestagsabgeordneter

„Wenn wir diese Lücke nicht schließen, würden auch andere Unternehmen das für andere Wirkstoffe machen, das ist abzusehen, da sind schon jetzt Wirkstoffe im Gespräch, wo man das machen könnte. Das setzt vollkommen falsche Anreize und lenkt die Forschung in das Recyclen von alten Produkten, die dann teurer neu auf den Markt kommen, und das wollen wir nicht."

Doch durchsetzen können hat sich die SPD damit im Koalitionsvertrag leider nur zum Teil. Übrigens: Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie kann die Aufregung gar nicht verstehen. Zitat Vorstand Bernd Wegener: " Wer in die Pharmaindustrie geht, tut das immer auch, um die Welt ein klein wenig besser zu machen." Wie zynisch.

 

Beitrag von Lisa Wandt und Ursel Sieber