Babyklappe (Quelle: rbb)

- Die Babyklappe: Ex und hopp oder Lebensrettung für Neugeborene?

Die Zahl der Kindesaussetzungen und Kindestötungen in Deutschland steigt. Hamburg reagiert: Hilflose Mütter, die keinen Ausweg aus der Situation mit einem Neugeborenen finden, können über eine "Babyklappe" ihren Säugling anonym in Obhut geben. Kritiker meinen, dies sei ein einfacher Weg zur "Entsorgung", Befürworter wollen die Zahl der oft tödlichen Aussetzungen verringern.

Das Baby war wohlauf, gefunden in einer Mülltonne am vergangen Freitag. Findelkinder im Jahr 2000, auch die modernsten Verhütungsmittel haben die älteste Methode, ein Kind loszuwerden nicht verhindert.

Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer bei Kontraste.

Wenn eine Frau ihr Baby loswerden will, muß ihre Not unvorstellbar sein. Unvorstellbar vor allem für die, die solche Not nicht kennen und denen fällt's umso leichter, den moralischen Zeigefinger ganz weit nach oben zu strecken. Moral mag gut klingen, aber in Notsituationen aber ist Hilfe gefragt.
In Hamburg bietet jetzt eine Klinik konkrete Hilfe an, und schon ist die Entrüstung groß. Entrüstung über ein Projekt das Leben rettet, Gabi Probst berichtet.


Mai 99: in diesem Keller in Zernsdorf erstickt eine Mutter ihr drei Tage altes Baby mit einer Decke und legt es in den Wald.

August 99, Hamburg: Babyfund in einem Müllcontainer. Tot. Die Mutter unbekannt.
Und nur vier Monate später: Ein Baby erstickt unter den Papiermassen einer Recyclinganlage.
März dieses Jahres: Brandenburg. Ein totes Baby wird in einem Plastiksack nahe der Autobahn geborgen. Ausgesetzt und dann gestorben.

Karin Staff, ihren Namen haben wir geändert. Sie ist eine Mutter, die ihre neugeborenen Zwillinge ausgesetzt hat. Zwei Kinder hatte sie schon, ihre Schwangerschaft konnte sie verbergen bis zum letzten Tag. Nur der Mann wußte es und der bestand auf Freigabe zur Adoption, gleich nach der Entbindung.

Karin Staff 0-Ton:
"Ich habe in der Schwangerschaft abgenommen und nicht zugenommen, weil ich nicht wußte , ob ich es sagen sollte oder nicht nicht sage.. Ich war nicht einverstanden mit einer Adoption oder mit...,ich wollte mit keinem darüber reden. Ich war innerlich nicht soweit, dass ich das Kind oder die Kinder abgeben konnte. Ich wollte sie eigentlich für mich behalten."

Zu einem Arzt ging sie nicht. Jeden Tag hoffte sie ihren Mann noch umzustimmen. Doch er wollte ein Haus kaufen, ein drittes Kind paßte da nicht. Frau Staff blieb allein mit ihrem Problem. Dass es Zwillinge würden, bemerkte sie erst bei der Geburt.

0-Ton:
"Ich habe allein zu Hause entbunden. Das erste kam, das war völlig normal und dann dachte ich die Nachgeburt kommt, aber da kam das zweite Kind. Und da wußte ich nicht mehr, was ich machen soll. Da war ich völlig überfordert, bin dann auch zeitweise weggetreten. Panik habe ich gekriegt, weil es zwei waren. Und die fingen dann auch noch an zu weinen. Und wir hatten unten eine Nachbarin, die zu diesem Zeitpunkt zu Hause war, wo ich Angst hatte, sie kriegt es mit, dass ich zu Hause entbunden habe. Und da mußte ich erst einmal raus. Und dann hatte ich den Zeitdruck noch von meinem Mann im Nacken, der ja dann irgendwann von der Arbeit nach Hause kam und da bin ich wahllos draufzugefahren, hatte kein Ziel, wußte nicht wohin."

Sie hat ihre neugeborenen Zwillinge an einem Straßenrand ausgesetzt. An einer Straße, wie sie sagt, zu der sie heute nie mehr finden würde. Aber sie wollte, dass die Kinder gefunden werden. Sie haben überlebt, wurden adoptiert.
Für ihre Tat ist die 38jährige auf Bewährung verurteilt worden.

Hamburg: hier bietet man eine Lösung für das Problem an. In dieser Kindertagesstätte gibt es jetzt die sogenannte Babyklappe, wo verzweifelte Mütter ihre Kinder anonym abgeben können, ohne sich strafbar zu machen.
Wird das Neugeborene abgegeben, landet es im beheizbaren Kinderbett. Ein Signal wird ausgelöst, zehn Minuten später sind Betreuer vor Ort. Das Kind wird in einem Krankenhaus untersucht und später zur Adoption freigegeben. Das Projekt Babyklappe wird von der Stadt Hamburg finanziell gefördert.

Dr. Herbert Wiedermann Jugendamt Hamburg
0-Ton:
"Wir hatten im letzten Jahr fünf ausgesetzte Babys, davon waren drei tot. Das hat uns natürlich erheblich zum Nachdenken gebracht, weil wir bisher davon ausgegangen sind, dass das Regelsystem in der Lage ist, Frauen, die Notlage haben, effektiv zu helfen, und wir mußten die Erfahrung machen, dass es für bestimmte Frauen einfach nicht wirkt."

Zum Beispiel für Frauen wie Karin Staff.
Sie fürchten Öffentlichkeit und öffentliche Ächtung.

0-Ton:
"Ich wohne auf einem Dorf und auf dem Dorf ist es das Schlimmste, was es überhaupt gibt, ein Kind zur Adoption freizugeben. Ein Kind adoptieren, das ist o.k., aber freigeben, so etwas ist, um Gottes Willen bei uns im Dorf nicht möglich."

Beim Bundesfamilienministerium findet das Hamburger Experiment Babyklappe Zustimmung.

Christine Bergmann, Bundesfamilienministerin 0-Ton:
"Wenn es dann hilft, dass Mütter sagen, ich gebe das Kind jetzt dahin, da findet es dann andere Eltern, ich muß mich sozusagen auch nicht öffentlich bekennen. Dann ist es eine Möglichkeit, das Leben von Neugeborenen zu retten."

In Hamburg jedoch hat sowohl das Projekt selbst als auch die staatliche Förderung zu kontroversen Diskussionen geführt.

Viviane Spethmann, CDU Hamburg 0-Ton:
"Ich lehne die Babyklappe ab, weil sie die Hemmschwelle herabsetzt, die Kinder abzugeben. Und diese Babyklappe wird nicht die Mütter betreffen, die die Kinder bislang ausgesetzt haben, sondern andere die ihr Kind einfach entsorgen wollen. Ich halte das für einen falschen Ansatz."

Auch Berlins Frauensenatorin sieht keine Notwendigkeit für eine Babyklappe.

Gabriele Schöttler, Frauensenatorin Berlin 0-Ton:
"Ich habe eine besondere Skepsis gegen das anonyme Abgeben von Neugeborenen. Ich halte es nach wie vor für wichtiger, Schwangerschaften nicht entstehen zu lassen und wenn man in einer Konfliktsituation ist, dann die Mütter in dieser Richtung zu beraten oder auch Familien in diese Richtung zu beraten, dass es gelingt, mit dem Kind zu leben."

Die Haltung der Senatorin steht im Widerspruch zu den Erfahrungen dieser Nonne aus dem brandenburgischen Schönow. Sie eröffnete ein Haus für Mütter, die hier anonym wohnen oder ihr Baby bei ihr abgeben können. Ein Projekt, das ausschließlich von Spenden lebt. Auch heute ist ein Besucher gekommen, der Babysachen verschenkt. Schwester Monika versteht die Aufregung der Kritiker nicht.

Schwester Monika, Schönow 0-Ton:
"Wenn gesagt wird, wir würden Frauen animieren, sich ihrer Kinder zu entledigen, dann erzähle ich einfach wie es Frauen geht, die dazu kommen, ihr Kind auszusetzen oder zu töten , wie auch immer ja und dann ist schon mancher stumm geblieben, viele kennen einfach die Hintergründe nicht, können aus ihrem normalen Denken nicht aus sich heraus gehen und damit gibt es das auch für andere nicht. Und was wir immer wieder erleben, gerade Frauen aus gut bürgerlichen Verhältnissen und dann bleibt vielen auch der Mund auf: ja und wir haben immer gedacht, dass sind nur Assis oder die untersten Schichten... So ist es nicht."

Vier Aussetzungen im Jahr in Brandenburg findet Schwester Monika vier zu viel, abgesehen von der Dunkelziffer, von der sie weiß, weil sie jahrelang auf der Straße Obdachlosen geholfen hat. Die Mutter von Valery hat die Kleine gleich nach der Geburt abgegeben. Keiner in ihrer Familie weiß von diesem Kind. Sie hat sie abgegeben, weil sie in der Zeitung über das Haus der Sonne las. Seitdem hat Schwester Monika die Verantwortung und damit Schlimmes verhindert. Schwester Monika, Schönow 0-Ton:
"Meinen Sie, dass Sie Kindstötungen verhindern können?
Das hoffe ich, das ist ja unser Anliegen, Leben zu retten und Leben zu schützen Und ich sage ja in zwei Fällen ist es ja schon passiert. Jedes Leben zählt.
Meinen sie, die Mutter hätte ihr Kind umgebracht?
Da sage ich nichts vor der Kamera zu, aber ich habe ja lange mit ihr gesprochen und weiß, was sonst mit ihr passiert wäre..."


Auch Karin Staff glaubt heute, dass sie nicht in Panik geraten wäre, wenn es eine Babyklappe schon damals gegeben hätte. Sie hätte sich nicht so allein gefühlt.

0-Ton:
"Wenn es dann das doch überall geben würde, ich denke, dass wird von den Frauen, die in dieser Situation sind gut angenommen. Bei der Babyklappe ist ja auch so gut, dass sich die Mutter jederzeit melden kann, halt stop, ich nehme das Kind doch und dann ist es o.k."

Valery ist gerettet worden, wird jetzt adoptiert. Auf der Geburtsurkunde werden die neue Eltern stehen, die schon lange auf ein Kind gewartet haben.