Patienten im Warteraum (Quelle: rbb)

- Die Tricks der Pharmaindustrie

Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel direkt beim Patienten ist in Deutschland verboten. Trotzdem finden Pharmafirmen offenbar Mittel und Wege, das Gesetz zu umgehen. Immer wieder gelingt es den Firmen, ihre Medikamenten-Werbung in Publikumszeitschriften zu lancieren – als Artikel getarnt. Caroline Walter und Alexander Kobylinski decken auf, wie das Geschäft mit der verbotenen Pharmawerbung funktioniert.

In unserem ersten Bericht müssen wir leider mal unserem eigenen Berufsstand ans Leder gehen: Journalisten sind bekanntlich der Wahrheit verpflichtet, ausgewogen und objektiv soll die Berichterstattung sein. Dazu gehört auch eine eindeutige Trennung zwischen redaktionellem Text und Werbung. Doch das wird offenbar gerade bei Gesundheitsthemen nicht immer ernst genommen. Kontraste hat aufgedeckt, wie Pharmafirmen systematisch verbotene Medikamenten-Werbung in die Medien lancieren. Dafür haben unsere Autoren monatelang unter schwierigsten Bedingungen recherchiert.
Marion Simon – ihre größte Angst ist: Sie wacht morgens auf und kann nicht mehr laufen. Sie hat Multiple Sklerose, eine unheilbare Krankheit. Bei Marion Simon kommt sie in Schüben, dann versagen ihr die Beine, die Hände zittern. Aber die Nebenwirkungen machen ihr schwer zu schaffen.

Marion Simon sucht nach Rat und Informationen über die Krankheit, im Internet, bestellt Broschüren und sammelt Zeitungsartikel.

Marion Simon:
„Überall da, wo etwas über die Multiple Sklerose geschrieben wird, auch wenn es nur so ein Funken ist, den sauge ich jetzt auf, um jetzt zu wissen, das habe ich jetzt, damit kann ich etwas anfangen, damit kann man mir helfen oder auch nicht. Und bin definitiv auch darauf angewiesen weil: ich kriege sonst nirgendwo Informationen. Ich muss danach selber suchen.“

Artikel aus den Medien, die bei schwer kranken Menschen Hoffnung wecken.

Was Marion Simon nicht ahnt: Pharmafirmen versuchen, die Informationen, die sie sucht, zu steuern.

Viele Patienten stoßen auf Informationen vor allem in den Gesundheitsseiten großer Zeitschriften. Dort gibt es auch berichte über Multiple Sklerose. Auffällig ist, dass Patienten vor allem auf eine Broschüre aufmerksam gemacht werden – ein Ratgeber soll es sein, zu bestellen beim MS-Service-Center. Mit der Post kommt dann ein Anschreiben, das die Interessierten zu einer Internetseite lotst. Auf der stehen Veranstaltungstermine für Betroffene – hier ein Patiententag zur Multiplen Sklerose.

Was steckt hinter diesem Informationsangebot? Wir gehen zu dieser Veranstaltung in Bielefeld, einem sogenannten Patiententag. Eingeladen hat eine Klinik in ihre Räume. Über hundert Betroffene sind in das Krankenhaus gekommen.

Doch gleich am Eingang treffen wir auf den Stand einer Pharmafirma, die Multiple-Sklerose-Medikamente herstellt. Haufenweise wird Werbematerial an die Patienten ausgegeben. Darin lesen wir vor allem über ein Medikament namens Tysabri.

Passen dazu: der Vortrag eines Oberarztes der Klinik über dieses Medikament. Darin lobt er dessen Vorzüge. Eine Studie habe ein dramatisch gutes Ergebnis gezeigt, und Tysabri habe eine gute Verträglichkeit.

Eine gravierende Nebenwirkung erwähnt der Oberarzt im Vortrag nicht – es können durch das Medikament schwere Leberschäden auftreten. Deshalb gibt es sogar eine Warnung der europäischen Zulassungsbehörde zu Tysabri.

Als nächstes tritt ein Patient auf, der Multiple Sklerose hat und Tysabri nimmt. Sein Text wirkt wie einstudiert:

Patient:
„Ich bin absolut dankbar, dass es dieses Medikament gibt und falls jemand unter Ihnen dieses Medikament bekommen soll, kann ich wirklich nur sagen, dass dieses Medikament absolut hilfreich ist und eine absolut gute Basis schafft.“

Ist er von der Pharmafirma engagiert? In der Pause erzählt er uns, dass er im Mai in derselben Rolle wieder bei so einer Veranstaltung auftritt. Und er gibt zu, dass er Geld dafür bekommt.

Wir zeigen dem renommierten Pharmakologen, Professor Bernd Mühlbauer, die Bilder von der Veranstaltung.

Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Institut für Pharmakologie, Bremen
„Ich halte eine solche Veranstaltung für absolut unverantwortlich. Der Patient erwartet eine neutrale Informationsveranstaltung und was er geboten bekommt ist, wie wir gesehen haben, eine Werbeveranstaltung. In Deutschland gibt es ein Heilmittelwerbegesetz und in diesem Heilmittelwerbegesetz ist ganz klar festgelegt, dass eine Werbung, eine direkte Werbung von pharmazeutischen Firmen für ihre Produkte am Patienten, absolut verboten sind.“

Das Verbot gilt für verschreibungspflichtige Medikamente. Es soll Patienten vor Manipulation durch Pharmafirmen schützen.

Doch das Verbot wird offenbar von Pharmafirmen mit Tricks umgangen. Weil sie nicht direkt beim Patienten werben dürfen, versuchen sie es indirekt über große Zeitschriften. Denn die Gesundheits- und Medizinseiten dieser Zeitschriften werden von Millionen gelesen.

Wir wollen es genau wissen. Wir durchforsten monatelang solche Massenblätter nach versteckter Pharmawerbung, nach verdächtiger Nennung von konkreten Medikamenten.

Auffällige Beispiele: Auf dieser Seite ist ein Bericht über Wege zum Rauchstopp. Nur ein Medikament wird mit Namen genannt und als neues Wundermittel gegen die Abhängigkeit gepriesen. Dabei ist es wegen aufgetretener Selbstmordfälle umstritten.

In einer anderen Zeitschrift, ein großer Artikel zum Thema „Besser leben mit Diabetes“. Dabei wird ein neues Medikament besonders positiv – mit Namen und sogar mit Foto hervorgehoben.

In der „Bunten“ finden wir einen großen Medizinartikel über eine neue Pille zum Abnehmen. Eine Professorin lobt auffällig: „Mit dem neuen Mittel ließen sich also tausende von Leben retten.“

Und der Name des verschreibungspflichtigen Medikaments wird genannt. Auch dieses Medikament ist umstritten. Es gibt Warnungen, weil gehäuft Depressionen aufgetreten sind.

Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Institut für Pharmakologie, Bremen
„Solche Artikel sind schon fast als Täuschung des Lesers, des Patienten zu bezeichnen. Der Patient, der Leser, erwartet einen sorgfältig recherchierten Artikel eines Fachjournalisten. Das heißt, es strahlt eine Neutralität aus, die überhaupt nicht gegeben ist. Teilweise werden Nebenwirkungen nicht erwähnt, teilweise wird die erwartete Hauptwirkung, die nützliche Wirkung völlig übertrieben, so dass letztendlich das Produkt, über das gesprochen wird, in einem viel zu günstigen Licht da steht. Und das ist völlig inakzeptabel.“

Doch wie kommt diese verbotene Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente eigentlich in viele Zeitschriften? Unser Verdacht: Dahinter steckt ein ausgeklügeltes System.

Wir hören uns in der Branche um und erfahren, Pharmafirmen nutzen Agenturen, die sich um diese „ganz spezielle Werbung“ kümmern.

Um herauszufinden, wie dieses Geschäft funktioniert, gründen wir zum Schein eine eigene Pharmafirma: Connex Pharmaceuticals. Und wir erfinden ein neues Medikament gegen Alzheimer. Der Name: Cerebon.

Unser Phantasieprodukt ist natürlich besser als alles andere auf dem Markt. Wir wollen herausfinden, wie man es in den Markt drücken kann.

Dafür suchen wir passende Agenturen. Sie sollen unser verschreibungspflichtiges Medikament direkt an den Patienten bringen. Sie sollen also das tun, was uns als Pharmafirma verboten ist.

Unser erster Versuch: Als Mitarbeiter unserer Pharmafirma gehen wir mit unserem erfundenen Medikament Cerebon zu einer Agentur.

Der Chef der Agentur präsentiert uns bereitwillig Beispiele dafür, wie erfolgreich er für Pharmafirmen schon Artikel in Zeitschriften gepusht hat. Auch bei unserem verschreibungspflichtigen Alzheimer-Medikament Cerebon sieht er keine Probleme. Da gäbe es viele Möglichkeiten.

Agentur-Chef
„Ich kann Ihnen eine wunderbare gekaufte PR-Kampagne liefern. Das heißt, man kauft sich in diverse Blätter ein. Ist natürlich ein ganz, ganz sensibles Thema … Das läuft dann nur über die Chefredakteure und Ähnliches, die man kennt. Und die veröffentlichen dann einen ganzseitigen Artikel zum Thema mit Produktnennung. Dann würde da wirklich drauf stehen: „Sensation aus den USA, neues Heilmittel bei Alzheimer“. Das heißt, die Redaktionen werden von uns gebrieft, die so was machen. Wir bekommen den Artikel vorher zu sehen, sie auch, und dann geben wir den frei und dann wird der gemacht.“

So 200 verschiedene Zeitschriften wären für die Kampagne interessant. Wir fragen:

KONTRASTE
„Kann man sich darauf verlassen, dass Sie Artikel in die Zeitschriften rein bekommen?“
Agentur-Chef
„Gehen Sie von mindestens 40 Artikeln aus, das erreiche ich im Schnitt.
Je mehr Geld sie haben, desto größer ist das Medienfeuerwerk, das man entfachen kann. Und das ist in dem Bereich eine ganze Menge, wenn man davon ausgeht, dass man eigentlich nicht werben darf.“

Dann erzählt er uns von seiner Spezialität. Er platziert für Pharmafirmen Telefonaktionen in den Blättern. Ein Arzt werde von der Agentur engagiert, der dann anrufende Leser berät und das Medikament nennt.

Agentur-Chef
„Der Mehrwert der ganzen Geschichte, ist jetzt nicht nur die Beratung, sondern es ist mit der Redaktion vereinbart, dass bei jeder Telefonaktion ein so genannter nachbericht erstellt wird. Wir schreiben die Nachberichte.“

Er empfiehlt uns diese Telefonaktionen auch für unser Medikament.

Nach diesem Treffen gehen wir die Zeitschriften danach durch. Wir suchen Hinweise auf solche Telefonaktionen. In dieser Zeitschrift finden wir eine Telefonaktion mit einem Professor zum Thema Multiple Sklerose. Man kann kostenlos anrufen.

Und in einer der nächsten Ausgaben findet sich auch der so genannte Nachbericht zur Telefonaktion, wieder mit dem Professor, der nur ein Medikament lobt.
Zitat: „wird heute häufig das moderne Tysabri eingesetzt, das in solchen Fällen besser wirkt“.

Eine verdeckte Werbe-Kampagne? Gleich in mehreren Zeitschriften wird genau über dieses Medikament berichtet. Teilweise mit gleichen Sätzen, wieder ist vom modernen Tysabri die Rede, das besser wirkt.

Und im Medizinteil der Zeitschrift „Freundin“: Ein dreiseitiger Bericht über dieses Medikament – gepriesen als Hoffnung aus dem Labor.

Alles Zufall? Wir haben bei den großen Zeitschriftenverlagen nachgefragt: Die WAZ-Mediengruppe lehnte eine Stellungnahme ab. Der BURDA Verlag äußert sich nur schriftlich: In ihren Zeitschriften fände keine versteckte Pharmawerbung statt, es herrsche eine klare Trennung zwischen Redaktion und Werbung.

Lassen Zeitschriften und Medizinjournalisten doch kaufen? Um mehr herauszufinden, besuchen wir als Mitarbeiter unserer erfundenen Pharmafirma eine weitere Agentur.

Der Geschäftsführer erzählt uns, seine Firma könne uns ein Gesamtpaket an verdeckter Werbekampagne für unser Medikament Cerebon anbieten. Sein Netzwerk sei verlässlich. Er erwähnt mehrere verschreibungspflichtige Medikamente, bei denen seine Agentur im Spiel war.

Für unser Cerebon hat er auch Ideen.

Agentur-Chef
„Wenn Sie jetzt zu mir sagen, Sie wollen in die ‚Bunte’, in der ‚Bunten’ vier Seiten, machen wir Ihnen. Da brauchen wir so ungefähr, wenn Sie dort was anzetteln wollen … zwei Monate Vorlauf. Das kostet 30.000 Euro. Das haben Sie jetzt nicht gehört …“

Bei anderen Zeitschriften wird es billiger, für eine halbe bis ganze Seite.

Agentur-Chef
„Je nachdem von der Auflage her. Da müssen wir schon mit 8 bis 10.000 oder so was müssen wir da hantieren.“

Getarnt wäre die Zahlung an die Zeitschrift später als sogenannter Druckkostenzuschuss, erfahren wir. Mit diesen gekauften Artikeln würden wir 13 bis 14 Millionen Leser erreichen. Seine Agentur würde die Artikel für uns schreiben. Unsere Pharmafirma Connex könne völlig im Hintergrund bleiben. Und wenn es Ärger wegen Nennung unseres Medikaments in den Artikeln gebe – kein Problem.

Agentur-Chef
„Man muss die Vereinbarung so treffen, dass Ihre Firma außen vor ist. Es ist immer so, dass dann natürlich versucht wird, natürlich die Firma anzugehen … Aber die Firma muss dann einfach sagen, was wollt ihr eigentlich, da steht eine Redaktion drunter, das sind Journalisten …“

Was sagen Zeitschriften wie „Bunte“ zu unseren Recherchen?
Die Chefredakteurin Patricia Riekel erklärt schriftlich:
„Niemand hat die Möglichkeit gegen eine Zahlung an ‚Bunte’ dort einen Artikel mit verdeckter Medikamentenwerbung zu platzieren.“

Verdeckte Pharmawerbung in Zeitschriften, sie wirkt beim Patienten. Das spürt auch Dr. Wiesner aus Bremen. Zu ihm kommen häufig Patienten, die über ein Medikament gelesen haben. Und sie verlangen von ihm, dass er genau das verschreibt

Dr. Mathias Wiesner, Allgemeinmediziner
„Jetzt letzte Woche war auch wieder eine Patientin hier. Ich hab ihr versucht, das zu erklären, dass das nicht richtig ist, und dass das aus pharmakologischen Gründen eine falsche Entscheidung wäre, ihr das Medikament zu verschreiben. Sie ist dann als Hausarztpatientin bei uns geblieben, aber hat sich scheinbar bei einem anderen Arzt das Medikament geholt. Ich hab es vorgestern dann gesehen, dass sie damit hier in der Praxis stand.“

Dr. Wiesner glaubt, dass so mancher Arzt dem Druck nachgibt, um den Patienten nicht zu verlieren.

Und so zahlt sich die verbotene Medikamentenwerbung für Pharmakonzerne am Ende aus.