Statuen und Schild "PSA"
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- Früherkennung bei Prostatakrebs: Das Geschäft mit der Angst

Die Angst vorm Prostatakrebs ist groß, deshalb zahlen Jahr für Jahr etwa 700.000 Männer auf Anraten ihrer Ärzte selbst den PSA-Test zur Früherkennung. Die Krankenkassen halten den Test für unnütz und gefährlich - denn er setzt oft eine gefährliche Spirale medizinisch fragwürdiger Behandlungen in Gang. Studien belegen: Nur selten ist ein Prostatakrebs, der durch den PSA-Test entdeckt wird, lebensgefährlich. Wer sich dennoch operieren lässt, kann impotent und inkontinent werden.

Die Angst vor Krebs treibt viele um, das macht die weltweite Diskussion um Angelina Jolie gerade nochmals deutlich. Wer etwas für seine Gesundheit tun will, nimmt deshalb regelmäßig an Früherkennungsuntersuchungen teil. Hunderttausende Männer lassen sich darum auch jedes Jahr auf Prostatakrebs testen, die häufigste Krebsart unter Männern. Doch unsere Recherchen ergaben: Der so genannte PSA-Test kann manchmal der Anfang eines langen Leidensweges sein. Ursel Sieber über das Geschäft mit der Angst.

Sonthofen im Allgäu. Hier treffen wir Paul Boos, Rentner, 82 Jahre alt. Er glaubte, etwas Gutes für seine Gesundheit zu tun, als er zur Früherkennung von Prostatakrebs ging. Doch dann geriet er in einen Kreislauf, aus dem er als Invalide wieder herauskam.

Paul Boos
„Sie müssen sich vorstellen, Sie gehen als kerngesunder oder als gesunder Mann in die Klinik und kommen raus, sind inkontinent, pinkeln in die Hose und sind impotent, beides gleichzeitig von heut auf morgen. Schlagartig. Und das muss man erst mal verkraften, als gesunder, lebenslustiger, froher Mensch.“

Es geht um einen eigentlich harmlosen Test zur Früherkennung von Prostatakrebs. Getestet wird auf das prostata-spezifische Antigen im Blut. Dieser Test kann zu unnötigen Operationen mit schweren Schäden führen. So begann das Unglück von Paul Boos.

Paul Boos
„Wenn ich jetzt zum Arzt komme und der dann mit freundlichen Worten mir das erklärt, ja, also, wenn wir den PSA-Test machen, sind wir auf der sicheren Seite. Ja, dann ist es ja nicht mehr wie logisch, dass jeder sagt, den machen wir.“

So denken wohl viele Männer. Sie wollen vermeiden, später einmal an Prostatakrebs zu sterben. Ein Geschäft mit der Angst vor Krebs. Weil die Ärzte den Test empfehlen, zahlen ihn rund 700 000 Männer jedes Jahr sogar aus eigener Tasche. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für den Test nicht, weil der Nutzen fraglich ist.

Florian Lanz
GKV-Spitzenverband

„Es ist ein großes Ärgernis, dass Urologen bei dem PSA-Test immer wieder den Eindruck erwecken würden, das sei ein wichtiger Test, den man unbedingt zur Früherkennung braucht und die Krankenkassen würden ihn einfach so nicht bezahlen."

All das wusste Paul Boos damals nicht. Er vertraute seinem Arzt. Und geriet in einen Teufelskreis. Der Bluttest zeigte bei ihm einen erhöhten PSA-Wert. Jetzt bekam er richtig Angst.

Paul Boos
„Das ist die ärztliche Maschinerie, aus der ich nicht mehr rauskomme. Nicht ich mache das ja gar nicht. Sondern wenn jetzt festgestellt wird, erhöhter PSA Wert ,dann sagt man ja jetzt müssen wir etwas unternehmen. Danach kommt also die Biopsie. Meistens wird dann dazu geraten, jetzt müssen was unternehmen. Wir müssen bestrahlen, bestrahlen von innen, bestrahlen von außen oder wir müssen operieren.“

Doch beide Behandlungen sind mit oft schweren Nebenwirkungen verbunden. Eine Studie der Barmer Ersatzkasse ergab: Nach der Operation waren 73% der Betroffenen impotent, 16% inkontinent.

Schäden, die Männer vielleicht in Kauf nehmen, wenn dadurch ihr Risiko drastisch gesenkt würde, an Prostatakrebs zu sterben. Doch eine Studie mit 180 000 Teilnehmern aus ganz Europa zeigt, das nur Wenige von der Früherkennung profitieren. Der Arzt und Gesundheitswissenschaftlicher Prof. Robra erklärt uns das Ergebnis.

Prof. Bernt-Peter Robra
Universitätsklinikum Magdeburg

„Wenn man die Ergebnisse mal vereinfacht auf tausend Männer runter bricht, dann wird von diesen eintausend Männern genau einer gerettet durch den PSA Test. Und die Nebenwirkung, unerwünschte Wirkung ist, dass insgesamt 36 Männer zusätzlich, überflüssig sozusagen, aber erst einmal zusätzlich diagnostiziert und dann auch behandelt werden. Die hätten zu ihren Lebzeiten von ihrem Krebs nichts erfahren. Der Nutzen entsteht für einen, der schaden entsteht für 36 andere, so dass das für den einzelnen auf eine Lotterie hinausläuft.“

Die Folge: Durch den PSA-Test werden immer mehr Männer in Deutschland mit der Diagnose Prostatakrebs konfrontiert - oft unnötigerweise. Denn in vielen Fällen wird dabei ein Tumor entdeckt, der die Betroffenen nicht beeinträchtigt hätte und an dem sie auch nicht gestorben wären. Bei der Obduktion von Unfallopfern fand man heraus: Viele ältere Männer tragen einen Tumor mit sich herum - bei den70jährigen sind es sogar bis zu 70%. Doch nur 3,3% der Männer insgesamt sterben an Prostatakrebs.

An der Berliner Charite fordern Ärzte deshalb schon lange einen anderen Umgang mit Tumoren, die durch den PSA-Test entdeckt werden. Wegen der schweren Nebenwirkungen sollen die Patienten eben nicht mehr sofort operiert sondern nur überwacht werden. Professor Miller nennt sein Konzept „Aktive Überwachung."

Prof. Kurt Miller
Charite Berlin

„Was für aktive Überwachung spricht, dass ein Teil der Prostatakarzinome sehr langsam wächst und über lange Jahre, 10, 15, 20 Jahre den Patienten nicht weiter tangiert. Und nachdem es immer konkurrierende Todesrisiken gibt, würden diese Patienten auch keine Behandlung erfordern.“

Dennoch werden die meisten Prostatakarzinome im Frühstadium bestrahlt oder operiert, trotz großer Risiken für die Patienten. Die Operation des Prostatakrebses ist längst ein Geschäft geworden.

Paul Boos ist erst nach der Operation klar geworden, dass er durch den PSA-Test in diese Maschinerie geraten ist. Über seine Erfahrungen hat er ein Buch geschrieben.

Paul Boos
„Da muss ich sagen, habe ich heute noch eine große Wut, dass man mir das nicht gesagt hat, dass man mich nicht aufgeklärt hat. Dass man mir nicht die Möglichkeiten gesagt hat. Bei mir kam nie zur Sprache: Abwarten und Beobachten. Bei mir kam nur zur Sprache: Ich schlage Ihnen vor: Operieren.“

Doch wozu eigentlich nach Tumoren suchen, die so harmlos sind, dass sie nicht behandelt werden müssen? Trotz aller Kritik verteidigt Professor Stöckle, Vorsitzender des Fachverbandes für Urologie den PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs.

Prof. Michael Stöckle
Deutsche Gesellschaft für Urologie

„Der Urologe ist einfach verpflichtet, bei dem heutigen Wissen, das wir haben, dem Patienten, der das Thema Früherkennung anspricht, zu sagen, dass der einzige Test, der glaubwürdig gezeigt hat, dass er den Tod an Prostatakarzinomen, die Wahrscheinlichkeit reduzieren kann, der PSA-Test ist. Damit kommt der Arzt gar nicht drum herum, diesen Test anzubieten, und wenn, da die Kasse ihn als Früherkennungsleistung nicht erstattet, ist es auch unvermeidlich, dass der Patient ihn aus eigener Tasche bezahlt.“

Ganz anders in den USA: Eine von der amerikanischen Regierung einberufene Expertengruppe rät gesunden Männern, am PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs nicht mehr teilzunehmen.

Um Patienten auch in Deutschland vor den Folgen des Testens zu schützen fordert der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach eine gesetzliche Regelung: Er verlangt, dass dieser Test nur noch nach einer Bedenkfrist verkauft werden darf.

Prof. Karl Lauterbach (SPD)
Mitglied des Bundestages

"Man muss vor dem Test warnen. Das muss ausliegen, der Patient muss das unterschreiben, das muss von neutraler Stelle formuliert sein. Man muss die Gelegenheit haben noch einmal darüber nachzudenken, sich zu informieren und man muss extra für diesen Test dann kommen. Nur dann hat man die Chance dem Ganzen zu entgehen. Wenn man den Test zulässt, obwohl man sich nicht gut auskennt, und das Ergebnis ist nicht gut, kann man den Rest seines Lebens damit verderben.“

Paul Boos hat eine Selbsthilfegruppe gegründet. Er will aufklären über den Schaden, den dieser Test anrichten kann.

Im Bundestag hat die schwarz-gelber Regierungskoalition eine Regelung, die eine verbindliche Bedenkzeit für den Patienten festschreibt, leider abgelehnt.