Gefährliche Antibiotika - Arzneimittelbehörden versagen beim Patientenschutz

Wer eine Infektion hat, benötigt manchmal ein Antibiotikum. Was die meisten Patienten nicht wissen, es gibt eine besondere Gruppe von Antibiotika, die dauerhafte Gesundheitsschäden verursachen kann: die Fluorchinolone wie z.B. Ciprofloxacin. In den USA wurde in diesem Jahr sogar die schärfste Sicherheitswarnung für diese Antibiotika verhängt. Doch was passiert hierzulande? Die Mittel werden weiter breit verschrieben. Die deutsche Arzneimittelbehörde und das Gesundheitsministerium bleiben untätig.

Anmoderation: Unsere nächste Geschichte handelt von fahrlässigen Ärzten, einer trägen Arzneimittelbehörde und einem tatenlosen Minister. Es geht um die Verwendung einer bestimmten Gruppe von Antibiotika, deren Risiken hierzulande unterschätzt werden. Über dieses Versagen beim Patientenschutz berichten Caroline Walter und Christoph Rosenthal.

Stefan Luginger kann kaum noch laufen. Jeder Schritt ist eine Qual, seine Achillessehnen können jederzeit reißen. Der 30jährige hat Gelenk- und Sehnenschmerzen, die Hände und Füße brennen. Er hat Angstzustände, Sehstörungen und Konzentrationsprobleme. Alles Nebenwirkungen, die über ihn hereingebrochen sind, nach der Einnahme bestimmter Antibiotika.

Stefan Luginger

"Es ist wie wenn ein ganzes Weltbild zusammenbricht. Im Vorhinein, ich war arbeitsfähig, ich konnte Sport machen, ich konnte im Haushalt was machen, was im Nachhinein ja überhaupt nicht mehr möglich ist. Ich brauch ja Hilfe bei allen Kleinigkeiten, lebe aber in einer Welt in Schmerz."

Die meiste Zeit kann er nur liegend verbringen. Vor 8 Monaten wurde ihm gegen Brennen beim Wasserlassen erst das Antibiotikum Ciprofloxacin und dann Levofloxacin verschrieben. Wie gefährlich diese Mittel sein können, wusste er nicht.

Stefan Luginger

"Sehr wütend macht mich die Tatsache, dass man wegen eines harmlosen Harnwegsinfekts oder eines Verdachts dazu, solche Medikamente bekommt, die zu bleibenden Schäden führen können und einem das restliche Leben zerstören."

Das Antibiotikum Ciprofloxacin ist das gängigste Mittel aus der Gruppe der so genannten Fluorchinolone. Sie sind schon lange auf dem Markt, aber diese Antibiotika bergen ein besonderes Risiko: für Sehnenrisse und vielfältige Nervenschäden. Sie können auch Psychosen und Angstattacken auslösen.

Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat in diesem Jahr die höchste Sicherheitswarnung verhängt: diese Antibiotika-Gruppe soll nicht mehr bei harmlosen Infektionen eingesetzt werden - wegen der gefährlichen Nebenwirkungen. In den USA fand dazu eine breite öffentliche Aufklärung der Patienten statt.

Und hierzulande? Keine aktuellen Warnungen von der deutschen Arzneimittelbehörde. Obwohl viele Ärzte weiter Cipro- oder Levofloxacin gegen banale Infekte verschreiben - trotz der hohen Risiken.

Wolfgang Becker-Brüser von der unabhängigen renommierten Fachzeitschrift "Arzneitelegramm" warnt schon seit den 90iger Jahren vor den Nebenwirkungen dieser Antibiotika. Er wirft den Aufsichtsbehörden Untätigkeit vor.

Wolfgang Becker-Brüser, Arznei-Telegramm

"Wenn klar ist, dass Tausende Menschen geschädigt werden, vielleicht sogar Zehntausende, dann muss gehandelt werden. Da hat man gar keine Chance noch groß zu überlegen, sondern es müssen Strategien gesucht und gefunden werden, wie man Patienten schützt und zwar vorbeugenden Verbraucherschutz. Das ist die Devise."

In den USA gibt es jetzt einen fett gedruckten und gerahmten Warnhinweis gleich oben auf dem Beipackzettel von Cipro, die sogenannte "Black Box Warning". Darin wird das Risiko irreversibler Schäden hervorgehoben. Auch heißt es explizit, Cipro sollte nicht das Mittel der ersten Wahl sein.

Der amerikanische Arzneimittelexperte Charles Bennett hält das für absolut notwendig.

Dr. Charles Bennett, US-Experte für Arzneimittelsicherheit

"Die Black Box Warnung ist neu und überarbeitet, es stellt die schweren Nebenwirkungen auf das zentrale Nervensystem heraus. Patienten können nach einer oder zwei Tabletten dieser Medikamente nicht mehr arbeiten, nicht mehr denken und haben wahnsinnige Schmerzen. Dieser schwarze Kasten als Warnung fällt auf dem Beipackzettel sofort ins Auge - dem Arzt und dem Patienten."

Doch auf dem deutschen Beipackzettel von Ciprofloxacin sucht man diesen auffälligen Warnhinweis vergeblich. Stattdessen werden immer noch breite Anwendungsgebiete beworben. Unverständlich denn die Fluorchinolone sollten eigentlich nur gegen schwerere Infektionen zum Einsatz kommen – wenn es keine Alternativen gibt.

Wir fragen bei der deutschen Arzneimittelbehörde BfArM nach, warum sie keine aktuelle Warnung zu dieser Antibiotikagruppe herausgegeben hat. Ein Interview bekommen wir nicht. Man teilt uns mit, die Nebenwirkungen stünden detailliert im Beipackzettel. Eine hervorgehobene Warnung wie in Amerika hält man hier für nicht sinnvoll.

Wolfgang Becker-Brüser, Arznei-Telegramm

"Es reicht überhaupt nicht aus, wenn es im Beipackzettel steht oder in der Fachinformation. Da steht dermaßen viel drin, dass kein Mensch, kein Verbraucher und auch kein Arzt überblicken kann, was alles drinsteht. Da steht Wichtiges neben Unwichtigem, da steht Lebensbedrohliches neben Banalem. Deswegen ist eine Black Box eine sehr gute Einrichtung in den USA. Eine Black Box, in der genau das drinsteht, was lebensbedrohlich und schwerwiegend ist und was der Arzt vermeiden muss."

Auch dieser Patient ist betroffen. Sven Forstmann hat niemand darüber aufgeklärt, dass diese Antibiotika nicht bei harmlosen Infekten genommen werden sollen. Auch über bleibende Schäden stand nichts im Beipackzettel. Forstmann kann gerade noch zum Briefkasten gehen – mehr schafft er nicht. Er und viele andere geschädigte Patienten haben jetzt eine Petition auf den Weg gebracht. Sie fordern, dass der Einsatz dieser Antibiotika stark eingeschränkt wird.

Sven Forstmann

"Ich hatte eigentlich den Eindruck, ich bin hinterrücks vergiftet worden, hinterhältig vergiftet worden, ohne überhaupt gewarnt zu werden davor. Also mir ist das Präparat vom Arzt ja verschrieben worden. Ich wurde weder vom Arzt noch von der Sprechstundenhilfe noch vom Apotheker gewarnt. Alle haben gesagt, es sei gut verträglich und das war es überhaupt nicht. Ich bin seit vier Monaten arbeitsunfähig."

Forstmann hat an den deutschen Gesundheitsminister geschrieben. Aber keine Reaktion auf seine Petition erhalten.

Dabei geht es auch um das Risiko der wachsenden Resistenzen. Denn die Fluorchinolone gehören zu den sogenannten "Reserveantibiotika" – die man sparsam einsetzen muss, damit sie noch wirksam bleiben gegen lebensbedrohliche Infektionen.

Doch Kontraste liegen aktuelle Verordnungszahlen vor. Sie belegen, dass die Fluorchinolone immer noch viel zu breit verschrieben werden – vor allem Ciprofloxaxin mit über 3,7 Millionen Packungen im Jahr 2015.

"Reserveantibiotika", die fahrlässig verordnet werden. Genau das wollte Gesundheitsminister Hermann Gröhe seit längerem mit seiner Antibiotika-Strategie ändern.

Hermann Gröhe (CDU), Bundesgesundheitsminister

"Die weltweite Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen muss dringend gestoppt werden."

Doch die Umsetzung verläuft mehr als schleppend – das kritisiert die grüne Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche.

Kordula Schulz-Asche (B'90/Die Grünen)

"Die Verschreibung ist insgesamt eigentlich nicht zu verantworten. Das geht zu Lasten der Patienten, des einzelnen Patienten, aber es geht auch zu Lasten der Gesellschaft, weil wenn wir keine Reserveantibiotika für bestimmte Infektionen mehr haben, dann werden zunehmend Menschen sterben, weil wir keine Medikamente mehr zur Verfügung haben."

Stefan Luginger hätte bei seinen Beschwerden überhaupt kein Antibiotikum gebraucht, wie sich später herausstellte. Gegen die Schäden, die das Mittel angerichtet hat, gibt es keine Therapie. Seine Prognose ist ungewiss.

Abmoderation: Das Bundesgesundheitsministerium hat uns schriftlich geantwortet. Eine Black Box Warnung wie in den USA für diese Antibiotika hält man hier für nicht notwendig. Sollten Sie übrigens eines dieser Medikamente nehmen und Fragen dazu haben - bitte sprechen Sie mit Ihrem Arzt darüber.

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal