- Heilpraktiker auf dem Vormarsch: Krankenkassen werben mit dubiosen Therapien

Immer mehr Gesetzliche Krankenkassen locken neue Mitglieder durch Kostenübernahmen für Alternativmedizin. Doch das Sozialgesetzbuch untersagt den Kassen eigentlich, Rechnungen von Heilpraktikern zu begleichen. Denn deren Kenntnisse sind oftmals ungenügend, die Methoden umstritten. Die IKK Südwest bricht nun ganz offensiv die Regeln im Kampf um Kunden: Auch teure Heilpraktiker-Gespräche werden abgerechnet.

Homöopathie, die sanfte Heilbehandlung, - für die einen Hokuspokus, die anderen schwören auf die Heilkraft der Globuli, der kleinen weissen Kügelchen. Immer mehr Menschen in Deutschland sind der Meinung: Homöopathie hilft, wo Schulmedizin versagt. Inzwischen übernehmen viele Krankenkassen sogar die Kosten für homöopathische und andere alternative Behandlungen. Das allerdings sorgt bei den Ärzten für großen Ärger. Denn die Homöopathen dürfen viel mehr Zeit für Patientengespräche abrechnen als die Ärzte. Chris Humbs, André Kartschall und Markus Pohl haben recherchiert.

Eine Erfahrung, die jedem Kassenpatienten vertraut sein dürfte: überfüllte Wartezimmer, kaum Termine, und eine Abfertigung im Minutentakt. Warum kaum noch Zeit für die Patienten bleibt, liegt für den Bonner Urologen Ayk-Peter Richter an der schlechten Bezahlung der Ärzte. Nur 16 Euro pro Fall und Quartal bekam er zuletzt von der Kasse. Damit er seine Praxis wirtschaftlich betreiben kann, muss er zwölf Patienten pro Stunde abarbeiten.

Er rechnet uns vor: für Bürokratie, Behandlung und Gesprächszeit bleiben ihm nur 5 Minuten. Und das kann Folgen haben.

Ayk-Peter Richter
Urologe

„Es können vielleicht durch das mangelnde ausführliche Gespräch Fehldiagnosen entstehen und auch vielleicht Medikamente aufgeschrieben werden, die nicht optimal sind. Und das wiederum kann weitere Arztbesuche nach sich ziehen, die vielleicht überflüssig gewesen wären, hätte man von Anfang an ausreichend Zeit für den Patienten gehabt. Das geht natürlich nur, wenn es auch ausreichend vergütet wird.“

Selbst bei Kinder- und Hausärzten weist die neue Gebührenordnung nur noch Vier Euro Fünfzig für ein Gespräch aus. Kalkulierte Zeit pro Patient: gerade einmal fünf Minuten!

Er dagegen darf sich Zeit nehmen. Steffen Jung ist Heilpraktiker im Saarland, seit kurzem werden seine Rechnungen für Patientengespräche auch von einer Kasse erstattet. Ein Angebot der IKK Südwest.

Der Amateur-Fußballer Christian Hertel sucht heute Jungs Rat. Trotz eines ausgeheilten Bandscheibenvorfalls leidet er immer noch unter Schmerzen. Es folgt ein einstündiger Frage-Marathon.

Steffen Jung
Heilpraktiker

„Was haben sie denn für ne Schlafposition?“
Christian Hertel
„Also ich bin Bauchschläfer, immer eigentlich.“
Steffen Jung
Heilpraktiker

„Wie ist das mit Hitze- oder Kälteeinfluss? Wie ist es denn mit Fett und fettigen Sachen, Schweinehaxe oder so?“
Christian Hertel
„Platzangst, Höhenangst habe ich keine.“

140 Euro bekommt Jung für so eine Anamnese, anschließend behandelt er mit homöopathischen Kügelchen, sogenannten Globuli.

Steffen Jung
Heilpraktiker

„Es ist einfach ne coole Sache, wenn von Seiten eines Krankenversicherers plötzlich da für die Homöopathie eine Lanze gebrochen wird.“

Obwohl immer mehr Menschen an die Erfolge der Homöopathie glauben: wissenschaftlich anerkannt ist sie nicht. Tatsache ist: Es gibt keine Belege für eine Wirksamkeit, die über den Placebo-Effekt hinausgeht

Deshalb dürfen Kassen die Kosten für diese Behandlungsmethoden eigentlich nicht übernehmen. Nur für solche, die wirksam und somit wirtschaftlich sind. Rechtlich bewegt man sich hier in einer Grauzone.

Ayk-Peter Richter
Urologe

„Die Krankenkassen unisono sind seit Jahren auf einem strikten Sparkurs. Das verkaufen sie uns bei allen Budgetverhandlungen. Und ich bin überrascht, dass da jetzt auf einmal eine Therapieform bezahlt wird, die schulmedizinisch keinerlei Wirkung bislang bewiesen hat. Bin ich überrascht, bin auch etwas neidisch!“

Wir wollen wissen, warum die IKK Südwest bei den Ärzten spart, aber fragwürdige Heillehren fördert. Bis zu 300 Euro im Jahr erstattet die Kasse ihren Versicherten für alternative Medizin.

KONTRASTE
„Wird’s denn angenommen?“
Martin Reinicke
Pressesprecher IKK Südwest

„Ja, das läuft, das ist ein Angebot für unsere Versicherten, für unsere Kunden.“
KONTRASTE
„Ich kann da als Hausarzt 4,50 abrechnen, aber wenn sie zum Heilpraktiker gehen, der kann seine 100-Euro-Gesprächsrechnung hinlegen, und die wird übernommen. Hat man sich von Seiten der IKK Gedanken gemacht, dass das auch vielleicht ein bisschen verzerrend wirkt?“
Martin Reinicke
Pressesprecher IKK Südwest

„Puuh…“

Hinzu kommt: Heilpraktiker wie Steffen Jung müssen keine vorgeschriebene Ausbildung absolvieren. Sie müssen lediglich einige medizinische Grundkenntnisse beim Gesundheitsamt nachweisen.

Das IKK-Angebot ist nach Ansicht von Experten deswegen sogar rechtswidrig! Denn: nur die Behandlung durch Ärzte dürfen die Kassen aus den allgemeinen Mitglieds-Beiträgen erstatten. So soll die Qualität der medizinischen Versorgung gesichert werden.

Zuständig für die Rechtsaufsicht der großen gesetzlichen Kassen ist das Bundesversicherungsamt.

Hartmut Beckschäfer
Bundesversicherungsamt

„Die ärztliche Behandlung setzt voraus die Tätigkeit eines Arztes, das heißt eines approbierten Mediziners und diese Voraussetzung für ärztliche Heilbehandlung haben Heilpraktiker nicht.“
KONTRASTE
„Also Heilpraktiker können nicht abrechnen gegenüber gesetzlichen Krankenkassen?“
Hartmut Beckschäfer
Bundesversicherungsamt

„Das ist unsere Rechtsauffassung und unsere Position, ja!“

Die IKK Südwest aber unterliegt nicht dem Bundesversicherungsamt, weil sie nur regional tätig ist. Sie steht lediglich Kunden aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland offen. Aufsichtsbehörde ist das Gesundheitsministerium in Saarbrücken. Die rechtlichen Bedenken schiebt man hier zur Seite. Minister Andreas Storm will Wahlfreiheit, selbst für höchst umstrittene Therapieformen.

Andreas Storm (CDU)
Gesundheitsminister Saarland

„Es ist die Entscheidung der Kasse, ob sie eine solche Leistung anbietet. Und die Kasse muss bewerten, ob sie die Leistung für effizient erachtet. Und wenn sie das tut, und das war in diesem Fall offenbar so gewesen, dann …“
KONTRASTE
„Aber müssen die das nicht nachweisen gegenüber der Rechtsaufsicht, dass es tatsächlich effizient ist?“
Andreas Storm (CDU)
Gesundheitsminister Saarland

„Das müssen sie so... Was heißt, müssen sie das nachweisen?“
KONTRASTE
„Ja, ob eine Heilpraktikertätigkeit tatsächlich effizient ist, nachweislich effizient sein kann.“
Andreas Storm (CDU)
Gesundheitsminister Saarland

„Können Sie das bitte ausmachen, das führt ja jetzt wirklich zu nichts.“

Wettbewerb der Krankenkassen auf Kosten anerkannter Therapien. Dabei ist die IKK Südwest nur Vorreiter eines Trends. Homöopathische Leistungen, sofern sie von Ärzten erbracht werden, übernimmt schon heute eine Vielzahl gesetzlicher Krankenkassen. Darunter zahlreiche Betriebs- und Innungskrankenkassen, aber auch große Versicherer wie die TK und die Barmer.

Wir zeigen dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach die Werbekampagne des Vorreiters bei der Alternativmedizin. Er sieht darin ein völlig falsches Signal.

Karl Lauterbach (SPD)
Bundestagsabgeordneter

„Für die einzelne Kasse lohnt es sich, weil: die gewinnen damit leistungsstarke, das heißt einkommensstarke Mitglieder. Wenn das aber alle machen würden, dann würde uns das Geld fehlen für die tatsächlich medizinisch notwendige Behandlung bspw. bei Krebserkrankungen oder bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wir haben ja Mühe, das zu bezahlen, was tatsächlich erwiesenerweise wirkt, da kann man sich eigentlich auf solche Experimente nicht einlassen.“

Trotzdem setzen die Kassen auf solche Experimente, statt den Ärzten längere Gesprächszeiten zu ermöglichen. Und so fühlen sich viele Patienten bei Alternativheilern inzwischen besser aufgehoben – denn hier hat man die Zeit zum Zuhören.

Christian Hertel
Kassenpatient

„Also so lange beim Arzt war ich noch nie gewesen, höchstens im Wartezimmer. Aber so in der Behandlung noch nie.“

Und genau das ist das Problem – wenn sich daran nichts ändert, wird der Ruf der Schulmedizin wohl noch weiter leiden.

 

Chris Humbs, André Kartschall und Markus Pohl